Zwei Monate ist es her, da haben sich viele darüber gefreut, dass wenigstens die „Große Koalition“, die GoKo, abgewählt wurde. Me too. Was stattdessen kommen sollte und ob es besser würde, war allerdings nicht so klar. Solche Konstellationen sind immer ein bisschen unheimlich und haben ein gewisses Potential, am Ende so kommentiert zu werden: „Das habe ich nicht gewollt“.

Jetzt scheint eine der Alternativen, Jamaika, erst einmal mit der Flucht aus der Karibik (das nette Bonmot ist nicht von mir) geendet zu haben. Das muss man angesichts dessen, was man bisher aus den Verhandlungen erfahren hat, nicht bedauern. Jamaika drohte nicht besser als die alte GroKo zu werden. Aber was kommt nun? Eine neue GroKo wird auch in SPD-Kreisen immer öfter nicht mehr mit „keinesfalls“, sondern mit „unter entsprechenden Bedingungen“ kommentiert. Als eine der Bedingungen wird die Einführung der Bürgerversicherung genannt. Die stand bisher in den Sternen, weil das Pro & Contra beim Thema Bürgerversicherung ideologisch derart aufgeladen ist, dass die Parteien in früheren Koalitionsverhandlungen lieber einen weiten Bogen darum gemacht haben.

Den Sozialversicherungsmarkt und seine diversen dysfunktionalen Effekte insgesamt neu zu ordnen, etwa was Verschiebebahnhöfe in der Reha oder in der Prävention angeht, oder eben alte Zöpfe bei der Organisation der Krankenversicherung abzuschneiden, könnte interessant werden. Wie viele Krankenkassen brauchen wir eigentlich? Und wozu genau brauchen wir die privaten Krankenkassen, die es als Vollversicherung in kaum einem anderen Land gibt? Bringen sie z.B. gute Innovationen wirklich schneller in die Versorgung, wie sie immer wieder sagen? Sind sie „effizienter“ als die gesetzlichen Krankenkassen? Müssten ohne die private Vollversicherung Arztpraxen schließen? Welche Versicherungswelt wäre unter dem Dach einer Bürgerversicherung vorstellbar? Gäbe es dann vielleicht sogar wettbewerblich bessere Lösungen? Bei den privaten Krankenkassen endet bislang der Wettbewerb ja mehr oder weniger mit dem Vertragsabschluss. Oder käme es zu einer klareren Trennung zwischen dem, was medizinisch notwendig ist und solidarisch finanziert werden muss und privat zu finanzierenden Zusatzleistungen?

Ich bin gespannt, was passiert, wenn in Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD solche Fragen diskutiert werden. Und was gesundheitspolitisch sonst noch auf die Agenda käme.

Kommentare (34)

  1. #1 rolak
    26. November 2017

    immer öfter nicht mehr mit „keinesfalls“, sondern

    Das wurde dem völlig verblüfften Ich heute morgen auch schon erzählt. Klang unglaubwürdig, wer würde denn schon gerne weiter den Prügelknaben geben wollen…

    Doch so, wie es sich mittlerweile herausstellte, zwar mit ziemlich brachialen Forderungen aber dafür mit gefühltem BegleitTusch als Retter aus dem geahnten DrohendenChaos™ aufzutreten – – – also falls das eine vorab aufgestellt gewesene Strategie sein sollte, Hut ab!

  2. #2 Laie
    26. November 2017

    @rolak
    Wenn die GroKo wieder kommt muss halt zuvor der Schulz politisch entsorgt werden. Das kann schneller gehen als man es für möglich hält, die Politik ist da sehr dynamisch. Er war nur der Kandidat, den niemand wirklich brauchte – vielleicht weiss er das bis heute nicht? 🙂

  3. #3 PeterK
    München
    27. November 2017

    Die GroKo hat für das Desaster gesorgt, wo wir uns heute befinden. Es wird Zeit für eine Minderheitenregierung. Es wird Zeit, dass die Regierung mit qualitativ hochwertigen Vorlagen Punkten muss, damit sie Thema für Thema neue “Koalitionspartner” findet.
    Dann haben weder faule Kompromisse, noch falsche Entscheidungen eine Chance. Für mich sind Koalitionsverträge ein sehr undemokratisches Ding, wodurch wenige Parteifunktionäre autokratisch über eine Legislatur “durchregieren” können, während die Opposition, jegliche Mitwirkungsrechte verliert. Folgedessen verlieren unter Koalitionsregierungen nicht nur die Stimmen aller Kleinparteien unter 5% ihre Mitwirkungsrechte, sondern auch diejenigen der Opposition. oder anders gesagt: ca. 50% der Wahlstimmen, werden sind durch die ganze Legislatur wertlos geworden. Es wäre ein sehr demokratischer Schritt, eine Minderheitenregierung zu gestalten, welche in andere Ländern der Normalfall darstellt.
    Und nein, ich halte das Gespenst der ewigen Blockade mit der Minderheitenregierung für ein Ammenmärchen der Regierungen, weil sie da nicht mehr jeder, noch so schlechte Vorschlag durchgewunken wird.
    Freundliche Grüsse
    Peter

  4. #4 Withold Ch.
    27. November 2017

    @ PeterK

    Das sehe ich auch so. Eine GroKo-Neuauflage wäre enttäuschend und würde die dringend notwendige “personelle Erneuerung” bei den beiden grossen Parteien nur hinausschieben.

  5. #5 Kai
    27. November 2017

    Ich weiß zwar nicht, von welchem Desaster PeterK genau spricht (eigentlich geht es Deutschland ja vergleichsweise gut), und mir ist auch nicht klar warum eine Koalitionsregierung undemokratisch sein sollte – aber davon abgesehen finde ich auch, dass eine Minderheitsregierung ein tolles Experiment wäre. Es könnte den demokratischen Diskurs im Parlament beleben. Und für die meisten Projekte der CDU findet sich bestimmt auch locker eine Mehrheit im Parlament (was widerum beängstigend ist). Nur, da stimme ich den Grünen zu, für Umweltschutz wird nicht viel übrig bleiben, das Thema wird mittlerweile ja von allen anderen Parteien gemieden.

  6. #6 PeterK
    27. November 2017

    @Kai: Mir fallen da grad einige Desaster der GroKo ein…Siehe NSU- und NSA- Ausschüsse. Oder kuck dir mal an, wieviele und welche Gesetze das Bundesverfassungericht gekippt hat… Es gäbe noch unzählige weitere Beispiele. Oder anders gefragt: Wo und und wie hat irgendeine Gesetzesänderung für dich konkret etwas verbessert? Mich hat jedenfalls nichts erfreuliches aus Berlin erreicht.
    Und ja, uns gehts gut. Aber unter den gegebenen Umstände muss es doch möglich sein, im Sozialen Bereich aufzubauen. Wir sind sind in einer Boom-Phase, aber mit den Sozialleistungen gehts immer bergab.

    Und Koalitionsverträge sind undemokratisch weil, nur noch Parteien zählen, was die Parteien in die Koalitionsverträge einbringen. Wähle ich zB Beispiel explizit einen SPD Abgeordneten, weil dieser nicht nur rot, sondern auch noch grüne Aspekte berücksichtigt, so nützt mir das nichts, weil dieser wegem dem Koalitionsvertrag jederzeit zur Parteilinie Gedrängt wird, nicht umsonst heisst es “Abweichler”. Und dank Koalitiensvertrag und der Einigkeit der Mehrheit der Koalitionären hat die Opposition kein einziges Mitwirkungsrecht. Dementsprecht wird eine Stimme an eine Oppositionspartei in der ganze Legislatur wertlos.

  7. #7 Kai
    27. November 2017

    @PeterK: Schlechte Politik und Desaster sind für mich trotzdem zwei verschiedene Dinge. Und Koalitionsverträge haben doch rein gar nichts mit dem Fraktionszwang zu tun. Der Fraktionszwang existiert ja auch nur inoffiziell. Offiziell darf jeder Abgeordneter frei nach seinem Gewissen abstimmen. Ob mit oder ohne Koalitionsvertrag macht da keinen Unterschied. Vielleicht wird es aber durch eine Minderheitenregierung mehr Abweichler geben, das mag schon sein.
    Und das die Opposition kein Mitwirkungsrecht hat, stimmt so auch nicht. Die sitzen auch mit in den Ausschüssen und haben darüber indirekt auch Einfluss auf die Gesetzgebungsverfahren.

    Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde auch, dass eine Minderheitenregierung den demokratischen Prozess im Parlament vorranbringen könnte. Aber ich sehe nicht, dass Koalitionsregierungen per se undemokratisch sind.

  8. #8 Joseph Kuhn
    27. November 2017

    Update:

    Heute in der Ärztezeitung: “Trommeln gegen die Bürgerversicherung”, mit Statements der Vertreter der Ärzteschaft. Darunter auch wieder das Argument, ohne PKV würde dem System Geld entzogen. Warum eigentlich? Das hängt doch davon ab, welche Beiträge die privat Versicherten bezahlen, ist also gestaltbar. Allerdings “klumpt” das Geld, das ein Fall in die Praxis bringt, dann nicht mehr so an den lukrativen privat Versicherten, sondern verteilt sich über alle Versicherten.

  9. #9 Alisier
    27. November 2017

    Geld an alle Versicherten, womöglich auch noch gerecht verteilen???
    Das riecht nach Kommunismus, und da müssen die edlen Ritter der PKV einfach mutig mit bestem Schild und Schwert in den Kampf ziehen.
    Wär ja noch schöner, wenn althergebrachte Privilegien plötzlich wegfallen würden. Für wen denn? Fürs schnöde Volk?
    Selbst Schulzens Martin wird da nicht mitmachen, wetten?

  10. #10 Fat Boo
    27. November 2017

    Ich würde eine Minderheitenregierung begrüßen. Anträge sollten entsprechend erklärt und diskutiert werden, nicht nur abgenickt weil man in der Koalition ist oder abgelehnt weil man es nicht ist.

  11. #11 Alisier
    27. November 2017

    Ich stimme zu, Fat Boo.
    Zudem es ein unwürdiges Schauspiel ist, dabei zugucken zu müssen, wie die SPD sich endgültig zerlegt.

  12. #12 Joseph Kuhn
    27. November 2017

    @ Alisier:

    Dass eine Bürgerversicherung jetzt schon kommt, glaube ich auch nicht, aber vielleicht lassen sich die Fronten etwas aufweichen. Das ist im Moment ja völlig verrückt, wie die staatlich geschützte, wettbewerbsabstinente PKV als freiheitliche Alternative der angeblich kollektivistischen Einheitsmedizin der GKV gegenübergestellt wird, obwohl dort wirklich Wettbewerb herrscht, leider noch nicht ausreichend an den richtigen Zielen ausgerichtet.

    Bei Hart aber Fair hat heute Jens Spahn, den manche schon als deutschen Kurz hochschreiben, ernsthaft gefragt, ob denn die Bürgerversicherung das Thema sei, das die Leute beschäftige, oder nicht doch die Migration. Sehr klug, im Sichtfeld des Tellerrands empirisch auch völlig korrekt. Und doch kurz vor Kurz. Wozu sich mit den komplizierten Fragen des Gesundheitswesen beschäftigen, wenn es auch einfache Sprüche gibt.

  13. #13 Laie
    28. November 2017

    @Fat Boo
    Das würde bedeuten, Politiker müssten “arbeiten”. Das tun sie sich die meisten der Sesselerwärmer nicht an.

    @Alisier
    Vollkommen richtig. Die SPD zerlegt sich leider selber, angefangen vom “spitzen Kandidaten”…. egal was man in die Wahlurne reinwirft, unten kommt Merkel raus meint sogar Augstein.

  14. #14 Kassandra
    28. November 2017

    @Dr. Kuhn:

    Ich weiß ja nicht, was sich die SPD konkret vorstellt – obwohl ich es eigens noch im Wahlprogramm nachgelesen habe -, aber ich könnte mir eine Bürgerversicherung nur in einer Form vorstellen, die den privaten Versicherungen nicht von jetzt auf gleich die meisten Kunden entzieht. Der einzige Weg, den ich da sehe, ist über das Leistungsspektrum der gesetzlichen Versicherung, das auf eine Art Grundversorgung reduziert werden müsste und damit die Patienten vor die Wahl stellt, die gestrichenen darüber hinausgehenden Leistungen entweder privat zu bezahlen oder dafür eine private Versicherung abzuschließen.

    Eine Zwei-Klassen-Medizin hätten wir dann natürlich trotzdem wieder, nur eben auf andere Art. Aber ich gebe Ihnen recht, eine Neuordnung ist immer eine Chance, Fehlentwicklungen zu beseitigen und ein unter dem Strich deutlich besseres Versicherungssystem zu bekommen.

  15. #15 Alisier
    28. November 2017

    @ Joseph Kuhn

    Jens Spahn ist wahrscheinlich nicht nur kurz vor Kurz, sondern hat zudem begriffen, dass er an Aufmerksamkeit einbüßt, wenn er nicht alle seiner Aussagen mit einer meist dezenten braunen Söße anrichtet. Diesen Menschen (und das ist er, obwohl er anderen nur zu gern das Menschsein teilweise abspricht) als Hoffnungsträger der CDU zu präsentieren und ihn unwidersprochen gewähren zu lassen kreide ich der Partei an. Einen AfD-Ähnlichen Bauernfänger braucht eigentlich keiner, aber anscheinend hat gerade die jüngere Riege der Union wenig Ideen.

    @ Laie

    Erstens hat Augstein das nicht geschrieben, zweitens habe ich nicht gemeint, dass sich die SPD notwendigerweise selber zerlegen muss, und drittens ist Ihre permanente Verunglimpfung von gewählten Vertretern keine geeignete Methode irgendwas zu verbessern.
    Holzhammerschwinger gibts genug, Demokratieverächter auch. Was wir brauchen sind gute Ideen. Die kommen einem aber eher nicht, wenn man lediglich Feindbilder pflegt.

  16. #16 Laie
    28. November 2017

    @Alisier
    Aus dem Web-Link
    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-grosse-koalition-angela-merkels-bettvorleger-kolumne-a-1180483.html

    ist folgende Eröffnung zu lesen:

    Was ist Politik? Ein Automat, in den man oben Wählerstimmen reinwirft, und unten kommt Merkel raus. Jedenfalls sehen das offenbar viele Leute im Land so.

    Ich habe auch nicht gemeint, dass Sie gemeint hätten, die SPD solle sich zerlegen. Sie tut das nämlich selbst. Es gibt wohl genug gutverdienende Politikerberater und Politikerchoaches, damit diese ?Volksvertreter? keinen Unsinn in die Kamera sprechen. (Aber das funktioniert halt nicht immer so.)

    Jetzt muss man sich halt um 180Grad wenden, wegen der kommenden GroKo.

  17. #17 Alisier
    28. November 2017

    Augstein spitzt zu, Laie, und beschreibt, wie viele das wohl tatsächlich wahrnehmen. Er selbst nimmt es weitaus differenzierter wahr, was er auch immer wieder beschreibt.
    Und wenn man Politiker und deren Berater nicht gut genug bezahlt, muss man sich nicht wundern, wenn man nicht die Besten bekommt. Die gehen dann nämlich woanders hin und müssen sich zudem dort bei viel besseren Bezügen nicht beschimpfen und bedrohen lassen.
    Ein respektvoller Umgang darf und muss eingefordert werden dürfen. Wer undifferenziert schimpft ist raus, egal zu welcher Gruppe er gehört.
    Sie haben sicher von der Messerattacke auf den Bürgermeister von Altena gehört: genau das kommt dabei raus, wenn undifferenziert gehetzt wird. Von Attacken auf unbescholtene Ausländer ganz zu schweigen.

  18. #18 Laie
    28. November 2017

    @Alisier
    Mir ist bekannt, dass zu viele Idioten mit Messern in Deutschland herumlaufen und schon damit zu viele Verbrechen begangen haben. Hier müssen zur Abschreckung hohe Strafen ausgesprochen werden, egal wer sie verübt.

    Davon unabhängig muss Kritik an Politikern geübt werden, wenn es dazu berechtigte Gründe gibt – die gibt es leider, wie z.B. den nicht vorhandenen Stellenwert wesentlicher Themen. Jetzt kommt die GroKo “Man möchte Verantwortung übernehmen, blah blah blah”.

  19. #19 Alisier
    28. November 2017

    Hohe Strafen haben noch nie geholfen, auch wenn sie immer wieder gefordert werden.
    Menschen mit Tendenz zu sehr vereinfachtem Denken nicht unnötig in ihrem primitiven Weltbild zu bestätigen wäre eine sinnvolle Möglichkeit. Deswegen meine Forderung nach Zurückhaltung.

  20. #20 Robert
    28. November 2017

    Joseph Kuhn #12,
    Bürgerversicherung ist ein Ideal, für das es zu spät ist. So ähnlich als wenn eine 70jährige einen Kinderwunsch hegt.
    In der Praxis sind die Beamten in der PKV, sie haben gar keine Wahl. Viele dieser versicherungen haben ihren Sitz im Ausland z.B. der Schweiz. Für die gilt das Solidaritätsprinzip nicht, sondern nur das Deckungsprinzip.
    Wenn man jetzt per Gesetz die Personengruppe für diese Versicherungsform verringert, dann können diese Versicherungen die Tarife nicht mehr halten, weil die ja danach berechnet werden, wie hoch der Neuzugang der Versicherten ist. Am Ende bezahlen dann die Versicherten, in der Mehrzahl die Beamten, ihre Krankheit selbst. Das wär auch nicht im Sinne der Versicherten.

  21. #21 Joseph Kuhn
    1. Dezember 2017

    Update:

    Einer SPON-Meldung zufolge sieht der Chef des Beamtenbundes Ulrich Silberbach durch die Bürgerversicherung “die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens” gefährdet.

    Jetzt warte ich noch auf die Meldung, dass die Bürgerversicherung den Untergang des Abendlandes heraufbeschwört und die biblischen Plagen über uns hereinbrechen. Immerhin hat Silberbach nicht wie Lisa Nienhaus in der ZEIT davon gesprochen, dann sei “der Weg frei für 100 Prozent Staatsmedizin” – was ja nichts anderes bedeuten kann, als dass die 5,3 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen alle zu verbeamten wären. Daran glaubt dann wohl selbst Ulrich Silberbach nicht.

    Früher als erwartet hat Lauterbach seinen Vorstoß für die Bürgerversicherung, vor wenigen Tagen vom ihm noch als “zentrales Anliegen” seiner Partei deklariert, schon heute lt. FAZ (Wirtschaftsteil, S. 18) wieder zurückgezogen. Demnach habe er gesagt, die Bürgerversicherung sei nur eine von mehreren SPD-Forderungen für mehr Gerechtigkeit und “Bedingungen sollte zum jetzigen Zeitpunkt niemand stellen.” Schön, wenn man den Unernst seiner Vorschläge derart unverblümt offenlegt, das ist dann wenigstens keine Wählertäuschung.

  22. #22 Robert
    1. Dezember 2017

    Joseph Kuhn,
    Einerseits wäre eine Bürgerversicherung wünschenswert, weil damit die soziale Ungerechtigkeit zum Teil beseitigt wird, auf der anderen Seite muss man sich eingestehen, dass sie nicht kommen wird. Die Entscheidungsträger sind wahrscheinlich alle in der PKV und die sind an einem Wechsel nicht interessiert. Nicht wegen Elitedenken, sondern weil es praktisch nicht durchführbar ist. Versicherungen arbeiten im Prinzip nach dem “Schneeballsystem”. Nur Wachstum garantiert die Tarife. Jede Einschränkung ist da eine Katastrophe.

  23. #23 Beobachter
    2. Dezember 2017

    Tja, und was wird wohl aus der AfD?
    Die sortiert derzeit ihr Führungspersonal neu – auch dort nichts als Machtkampf und Posten-Schacherei …

    Der aktuelle AfD-Parteitag findet in Hannover im Kongresszentrum statt und wird von einem Polizei-Großaufgebot vor vorwiegend friedlich herumsitzenden Demonstranten mit Wasserwerfern und Stacheldraht geschützt:

    https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-parteitag-polizei-setzt-wasserwerfer-gegen-afd-gegner-ein-1.3775543

    Zum Hannoverschen Kongress-Zentrum (HCC) fiel mir der “MMS”-Spirit-of-Health-Kongress 2014 ein, der auch dort stattfand:

    https://www.youtube.com/watch?v=nC0wl9tHfyo

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mms-quacksalber-werben-auf-kongress-in-hannover-a-967307.html

    Es ist schon interessant zu verfolgen, an wen große Kongresszentren vermietet werden und wer vor wem wie geschützt wird …

  24. #24 Beobachter
    3. Dezember 2017

    Nachtrag zu # 23:

    Ergebnis des AfD-Parteitages in Hannover:
    Erfolg für Höcke … :

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-und-ihre-neuer-co-chef-alexander-gauland-bjoern-hoeckes-erfolg-a-1181473.html

    “Chaos beim AfD-Parteitag
    Höckes erstolperter Erfolg
    Wenn die “Altparteien” kungeln, empört sich die AfD. Doch die Wahl von Alexander Gauland zum Ko-Chef kam nun genau so zustande. Die Rechtspopulisten sind tief gespalten.
    … “

  25. #25 Joseph Kuhn
    3. Dezember 2017

    @ Beobachter:

    Sie bestätigen gerade auf’s Schönste die in Kommentar #12 zitierte These von Jens Spahn, dass mit der Bürgerversicherung kaum jemand hinterm Ofen hervorzulocken sei, anders als mit der Ablehnung von Zuwanderung, der Monstranz der AfD, hinter der so viele hinterherlaufen.

  26. #26 Beobachter
    3. Dezember 2017

    @ Joseph Kuhn, # 25:

    Wie meinen Sie das?
    Weil ich hier die AfD erwähne, deren Parteitag in Hannover und das Ergebnis – statt die realen Chancen einer Bürgerversicherung zu beackern?
    Keine der Parteien “in unserer Parteienlandschaft” beschäftigt sich ernsthaft mit dem Gesundheitswesen geschweige denn mit einer Bürgerversicherung für alle.
    Das riecht zu sehr nach “Staats-Medizin/-Gesundheitswesen”, und selbst die derzeitigen (ungerechten) Zustände und Organisationsformen im bestehenden Gesundheitssystem mit dessen Zwei-Klassen-Medizin sind vielen “neoliberalen” Kräften noch viel zu sehr staatlich reglementiert und durch Verwaltungsbürokratie an einer “freien Entwicklung behindert” (frei nach “Tim”, Kommentator nebenan).
    Es wäre schon viel erreicht, wenn kurz- und mittelfristig die schlimmsten Missstände im bestehenden Gesundheitssystem angegangen und beseitigt werden würden –
    bevor man sich eventuell und irgendwann an grünen Tischen wieder zusammensetzt und Kommissionen/Gremien/Ausschüsse bildet und über längerfristige grundlegende Verbesserungsmöglichkeiten wie die Einführung einer Bürgerversicherung redet.

    Seltsamerweise interessiert sich (auch hier) kaum jemand für Gesundheitspolitik,-wirtschaft und Pflegenotstand –
    obwohl doch (fast) jeder mal krank und/oder alt wird.

    Und mir ist bitter aufgestoßen, dass sowohl der unsägliche MMS-Spirit-of-Health-Kongress als auch der AfD-Parteitag im prunkvollen HCC stattgefunden haben.
    Das kommt mir doch recht symptomatisch und bezeichnend vor – es geht in beiden Fällen um Macht und Markt(anteile) …

  27. #27 Joseph Kuhn
    5. Dezember 2017

    Update:

    Hartmut Reiners hat einen lesenswerten Kommentar zur Debatte um die Bürgerversicherung bei “Makroskop” geschrieben, allerdings erst ab 8.12. kostenfrei zugänglich.

    Reiners weist u.a. darauf hin, das Argument Lauterbachs, mit der Bürgerversicherung würde die Zwei-Klassen-Medizin beendet, sei “eine politische Dummheit. Damit wird implizit die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) schlecht geredet und die private Krankenversicherung (PKV) besser gemacht als sie ist.” Das ist was dran.

    Oder, vermutlich vielen nicht bewusst: Krankenhäuser bekommen von PKV und GKV die gleichen Fallpauschalen. Die berühmte “Chefarztbehandlung” für PKV-Versicherte erhöht die Versicherungsprämien, so wie sich auch GKV-Versicherte durch eine Zusatzversicherung diese Wahlleistung sichern können. Falls man das will: Die Chefarztbehandlung ist nicht immer die bessere Behandlung, manchmal haben die anderen Ärzte mehr Routine.

  28. #28 shader
    7. Dezember 2017

    Ich habe zu der Bürgerversicherung noch eine Frage. Ist es richtig, dass man in anderen europäischen Ländern gar keine Art von Privatversicherung, die alles abdecken, kennt? Mit anderen Worten, dass in ganz Europa Bürgerversicherungen existieren? Weil wenn ja, ist das wieder ein schönes Beispiel, wie unwillig der deutsche Michel ist, über den Gartenzaun zu schauen. Dasselbe übrigens mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Da meinen auch einige, wenn das kommt, dann wäre die Freiheit in Gänze abgeschafft. Aber überall in Europa gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen.

    • #29 Joseph Kuhn
      7. Dezember 2017

      @ shader:

      “Ist es richtig, dass man in anderen europäischen Ländern gar keine Art von Privatversicherung, die alles abdecken, kennt?”

      Der im Kommentar oben zitierte Hartmut Reiners schreibt in seinem Buch “Krank und pleite? Das deutsche Gesundheitssystem” auf S. 38: “Eine mit der GKV als Vollversicherung konkurrierende PKV kennt man sonst nur noch in Chile. In allen europäischen Staaten beschränken die privaten Versicherungsunternehmen ihr Geschäft auf Zusatzversicherungen zu den Leistungen der öffentlichen Gesundheitssysteme.” Nachrecherchiert habe ich es nicht.

      “Mit anderen Worten, dass in ganz Europa Bürgerversicherungen existieren?”

      Das wiederum nicht, weil es Länder mit staatlichem Gesundheitssystem gibt, z.B. Großbritannien, in denen also die öffentliche Basisversorgung gar nicht versicherungsbasiert ist.

  29. #30 Joseph Kuhn
    8. Dezember 2017

    Update:

    Meldung der Ärztezeitung: Der “rechte” Seeheimer Kreis der SPD beharrt auf der Bürgerversicherung.

  30. #31 Joseph Kuhn
    12. Dezember 2017

    Update:

    Neue Töne in der Ärztezeitung: Kommen langsam doch differenzierterere Stimmen in der Debatte um die Bürgerversicherung durch?

  31. #32 Beobachter
    27. Dezember 2017

    Update zur “Bürgerversicherung”:

    Aktuell in der SZ:

    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/buergerversicherung-wie-die-spd-die-zwei-klassen-medizin-abschaffen-will-1.3806384

    Die Bürgerversicherung ist also wieder verstärkt im Gespräch.
    Mich erstaunt immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit seit Jahren und auch aktuell von “unserer Zwei-Klassen-Medizin” gesprochen wird – als wäre diese Tatsache (und ihre Folgen) nahezu ein gottgegebener, nicht zu verhindernder und hinzunehmender Zustand.

    Wenn überhaupt etwas daraus werden sollte, dann hoffentlich nicht nur Flickschusterei mit weiterhin “pragmatischer Akzeptanz” vieler Missstände.

    Denn:

    Zitate, Auszüge:

    ” … Die Versicherungsunternehmen könnten deshalb künftig verstärkt Zusatzversicherungen anbieten, zum Beispiel für Zahnersatz oder Homöopathie. Gegner der Bürgerversicherung warnen davor, dass durch diesen neuen Geschäftszweig auch eine neue Zwei-Klassen-Medizin entstehen könnte. … ”

    ” … Der CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe deutete zudem an, dass die Politik künftig mehr Steuergeld in die Gesundheit stecken könnte, um alle Bürger vor steigenden Beiträgen zu bewahren. Doch neue Honorarregeln für Ärzte, wie es die SPD will, lehnt er weiter ab. Genauso wie eine Einheitskasse.”

    Die Homöopathie als “therapeutische ärztliche Maßnahme” für Besserverdienende mit Befindlichkeitsstörungen per Zusatzversicherung wäre immer noch nicht vom Tisch –
    während sich Geringverdiener und “sozial Schwache” sich weiterhin keine Zusatzversicherungen/Zuzahlungen für notwendigen (guten) Zahnersatz und Hilfsmittel wie Brillen, Hörgeräte, Rollator, Rollstuhl leisten können.

    Nach dem Motto: Mache den Mund auf und ich sage dir, wie hoch dein Kontostand ist …

    Was ist eigentlich aus der “Reform” des Heilpraktiker(un)wesens geworden?
    Bis Ende des Jahres sollte doch aus dem Entwurf ein Gesetz werden.

  32. #33 Beobachter
    27. Dezember 2017

    Berichtigung:

    Bitte das zweite, doppelt gemoppelte “sich” streichen –
    nach “sozial Schwache”.
    – Danke –