Heute hat der SPD-Parteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen für eine neue GroKo entschieden. Von 642 Delegierten waren 362 dafür, also 56 %. Ein knappes Ergebnis, das zeigt, wie zerrissen die Partei in dieser Frage ist. Zu Recht.
Parteitage sind auch große Theateraufführungen. In dem Fall gehört zur Inszenierung, dass die Parteiführung ihren GroKo-Vorschlag mit dem Versprechen garniert hat, in den Verhandlungen noch rauszuholen, was rauszuholen ist. Andrea Nahles: „Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite”.
Mich interessiert aber nicht, ob es irgendwo quietscht. Mich interessiert, ob die Koalitionäre in spe die großen Herausforderungen, die sich politisch stellen, erstens erkennen und zweitens ernsthaft angehen: Bezahlbarer Wohnraum, auskömmliche Löhne, sinnvoller Umweltschutz (auch mit Blick auf den Klimawandel), ein gutes zukunftsfestes Gesundheitssystem, Gestalten des demografischen Wandels (mit den wichtigen Baustellen Renten und Pflege) und insgesamt wieder mehr solidarisches und menschenfreundliches Miteinander – im Land und international. Die Liste ist sicher nicht abschließend.
Ich glaube auch nicht, dass das ausnahmslos alles gegeneinander verhandelt werden muss. Die Spaltung der Gesellschaft will doch vermutlich keine Seite. Die Vermögensverteilung in Deutschland ist beispielsweise hochgradig unbefriedigend, die Wohneigentumsquote extrem gering. Ist es „links“, sich darüber angesichts der politischen Entwicklung im Land Sorgen zu machen? „Streuung von Besitz in weitem Umfang ist nötig, um einer möglichst großen Zahl von Staatsbürgern Selbstgefühl, das Gefühl der Zugehörigkeit zum Volksganzen zu geben.“ Dieser Satz ist kein Satz aus dem Parteiprogramm der SPD vor Godesberg, sondern er ist aus der Regierungserklärung Konrad Adenauers 1957. Oder die Pflege, die ja im Sondierungspapier wie manch anderes mit durchaus erfreulichen Absichtserklärungen versehen ist: Wer muss da gegen wen verhandeln, bis es quietscht? Den demografischen Wandel menschenwürdig gestalten – ich wüsste nicht, warum das nicht im gemeinsamen Interesse sein sollte.
Aber mir scheint, die wahren Gemeinsamkeiten liegen woanders. Man ist sich beim großen Weiter-so so einig, dass man statt um die Lösung der wirklich wichtigen Fragen in der “Politik des Gefühls“ allzu oft lieber um die politische Farbgebung des Weiter-so streitet – bis die andere Seite quietscht. Das Quietschen der anderen ist aber kein politisches Erfolgskriterium.
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Nachtrag 24.1.2018:
Seit der Veröffentlichung letzten Sonntag hatte dieser Beitrag mehrere hundert Aufrufe, aber nur 3 mal wurde (nachverfolgbar) der Link zur Vermögenverteilung bei Wikipedia angeklickt. Daher als Service hier die Daten bei Wikipedia als Grafik aufbereitet (je höher der Gini-Index, desto höher die Vermögensungleichheit):
Und als Ergänzung: Es gibt auch einen Wikipedia-Eintrag zur Ungleichheit der Einkommen, auch diese hat zugenommen, in Deutschland übrigens stärker als im OECD-Mittel, aber das ist hier nicht der springende Punkt.
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