Heute sind die Medien voll mit den Meldungen über die Dieselabgas-Experimente mit Affen in den USA und mit Menschen in Aachen. Die halbe politische Klasse regt sich demonstrativ auf, die Autokonzerne distanzieren sich von sich selbst. Dass die Autokonzerne auf das, was bisher beim Dieselskandal bekannt wurde, noch was drauf legen können, war nach dem ganzen Vorlauf anzunehmen, jetzt also das. Die allgemeine Aufregung ist zum Teil berechtigt, zum Teil aber auch hysterisch und an den falschen Punkten festgemacht. Eigentlich hätte die Politik an anderen Stellen des Dieselskandals mehr Anlass zur Aufregung gehabt. Der wirklich schlimme Dieselabgas-Menschenversuch läuft seit Jahren mit der ganzen Bevölkerung.
Worum geht es? Wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, haben BMW, Daimler, VW und ursprünglich auch Bosch vor Jahren eine „Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT)“ eingerichtet. Diese „Forschungsvereinigung“ beauftragte 2013 in den USA das Lovelace Respiratory Research Institute (LRRI) damit, zu untersuchen, wie sich die Autoabgase eines alten Ford und eines neuen VW bei mehrstündiger Exposition auf Affen auswirken. Ziel war, die Sauberkeit des neuen VW zu demonstrieren. Eine Marketingstudie. Ob auch gemessen wurde, welchen Schadstoffen im Einzelnen die Affen ausgesetzt waren, ist nicht bekannt, manche Medien melden, das sei gar nicht bestimmt worden. Die Studie wurde nicht veröffentlicht, weil das LRRI nach den Medienberichten über Abschalteinrichtungen vermutete, auch beim VW könnte eine solche Abschalteinrichtung aktiv gewesen sein. Eine wissenschaftlich wertlose Studie also auch noch. Für die Frage, ob eine alte Dreckschleuder gesundheitsschädlicher ist als ein neues Auto, eine neue Dreckschleuder oder eines mit guter Abgasreinigung, hätte man ohnehin keine Tierversuche gebraucht, es hätte gereicht, zu messen, was hinten rauskommt. Aber vielleicht wäre das zu gefährlich gewesen.
Die Studie an Menschen elektrisiert die Medien erst recht. Bei „Menschenversuchen“ denkt jeder spontan an die Menschenversuche in den KZs. Aber an sich sind „Menschenversuche“ natürlich nicht verwerflich, kein Medikament kommt ohne Test am Menschen auf den Markt. Gottseidank. Unfreiwillige Menschenversuche wie bei Contergan will niemand mehr. Wichtig ist, dass die ethischen Verpflichtungen zur Durchführung von Versuchen an Menschen eingehalten werden, z.B. die Helsinki-Deklaration des Weltärztebundes und die darauf aufbauenden konkretisierenden Bestimmungen.
In diesem Fall geht es um eine Studie, mit der die EUGT das Institut für Arbeits- und Sozialmedizin an der RWTH Aachen beauftragt hat. Ziel war, kurzfristige biologische Effekte von Stickstoffdioxid, u.a. auf die Lungenfunktion, zu untersuchen. An sich kein Problem. Die Fragestellung ist legitim, man hatte 25 freiwillige Probanden (überwiegend Studierende, 19 Männer, 6 Frauen), die Studie ging durch die zuständige Ethikkommission der medizinischen Fakultät der RWTH, 2016 wurde sie unter dem Titel „Biological effects of inhaled nitrogen dioxide in healthy human subjects“ veröffentlicht.
Herausgekommen ist nicht so wirklich viel. Für manche mit Blick auf kurzfristige Expositionen interessante Fragen, z.B. was unterschiedliche Effekte bei unterschiedlich vulnerablen Personen angeht, war das Studiendesign auch nicht angelegt. Dazu hätte man nicht einfach 25 junge gesunde Leute nehmen dürfen, was womöglich unter ethischen Gesichtspunkten wiederum schwierig geworden wäre – worauf die Autoren im letzten Satz ihres Artikels selbst hinweisen. Die Studie nimmt ihren Ausgang übrigens nicht von einer Fragestellung zu Autoabgasen oder Belastungen an verkehrsreichen Straßen, sondern von Belastungen am Arbeitsplatz. Getestet wurden vier verschiedene Stickstoffdioxid-Konzentrationen, maximal 1,5 ppm, deutlich unter dem alten MAK-Wert.
Die Autoren geben ordnungsgemäß an, dass die Studie von der EUGT finanziert wurde: “This study has been financially supported by the European Research Group on Environment and Health in the Transport Sector (EUGT).” Obwohl damit die Frage nahelag, was wohl die Autoindustrie damit wollte, schreiben die Autoren zum conflict of interest für meinen Geschmack etwas unbeschwert: “None of the authors have a conflict of interest to declare in relation to this work.” Aber daraus ist kein Staatsdrama zu machen. Die Studie der RWTH ist kein Skandal. Der Skandal droht in den dubiosen Machenschaften der EUGT zu schlummern, siehe die Affenstudie in den USA. Der notorisch industriefreundlich gutachtende Helmut Greim war natürlich auch bei der EUGT mit im Boot. Die Forschungsvereinigung mit dem schönen Namen wurde, wie Medien berichten, 2017 aufgelöst. Game over? Wohl eher nicht.
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