Die Debatte um die AfD-Anfrage zu ausländischen Behinderten aus Verwandtenehen hält an. Das ist gut so, denn hier geht es um Grundlagen unseres zivilisatorischen Zusammenlebens. Wenn eine parlamentarische Anfrage in einer Weise formuliert ist, dass viele Menschen sie so lesen, als ob Krankheit und Behinderung dadurch zu bekämpfen sind, dass man Kranke und Behinderte diskriminiert und ausgrenzt, ist das unakzeptabel. Das geht uns alle an. Solche Ansichten sollten in keiner Partei in Deutschland Platz haben. Wenn die AfD ihre Anfrage also nicht so gemeint haben sollte, sollte sie über ihre missverständliche Formulierung selbst erschrecken und sich entschuldigen.
Von einem solchen Erschrecken ist die AfD aber weit entfernt. Abgesehen davon, dass sich eine der Antragsteller/innen von der Anfrage distanziert, gibt keine selbstkritische Stimme aus der AfD. Im Gegenteil. Auf der Seite “AfD-Kompakt”, die als Mitgliedermagazin firmiert, verteidigt heute Frau Höchst noch einmal ihre Anfrage. Erneut weist sie jedes Moment von Behindertenfeindlichkeit zurück. Sie schreibt:
“Die politische Instrumentalisierung von Behinderten für den offensichtlich parteipolitisch motivierten Kampf gegen die AfD durch mehrere Sozialverbände ist unerträglich. Dass mir als Mutter eines behinderten Sohnes zudem ernsthaft unterstellt wird, ich würde behinderten Menschen das Lebensrecht absprechen, macht mich fassungslos.”
Den Passus sollte man zweimal lesen. Die Behindertenverbände instrumentalisieren also die Behinderten für einen “parteipolitisch motivierten Kampf”. Seit wann sind Behindertenverbände parteipolitisch motiviert? Dass Frau Höchst für eine unzweifelhaft parteipolitisch motivierte Anfrage auf ihren Sohn verweist, will ich nicht kommentieren, das muss Frau Höchst mit sich selbst ausmachen.
Ich glaube ihr auch gerne, dass sie Behinderten nicht das Lebensrecht absprechen will, das würde ich ihr auch ohne den Hinweis auf ihren Sohn glauben. Aber sie lässt zu, dass ausländische Behinderte, und zwar speziell die wenigen Fälle aus Verwandtenehen, für die Ausländerpolitik der AfD instrumentalisiert werden. Um die durch den Bürgerkrieg behinderten Kinder ging es ja in der Anfrage beispielsweise nicht, genauso wenig wie um behinderte Kinder aus Migrantenfamilien, deren Mütter vielleicht nicht über die Bedeutung von Folsäure in der Schwangerschaft aufgeklärt wurden. Auch wird beispielsweise nicht danach gefragt, ob im Rahmen der Schwangerenvorsorge mehr muttersprachliche Angebote für Migrantinnen nötig sind.
Mit keinem Wort lässt Frau Höchst erkennen, dass ihre Anfrage, einmal angenommen (!), sie wollte ausländische Behinderte aus Verwandtenehen wirklich nicht diskriminieren, sagen wir es ganz höflich, missverständlich formuliert sein könnte. Das müsste sich doch jeder fragen, der etwas in guter Absicht formuliert hat und so viel Kritik erfährt. Auch daher glaube ich ihr nicht.
Die absolute Härte ist aber der Schluss ihrer Verteidigung:
Was “möchten die Sozialverbände? Die Interessen ihrer Mitglieder vertreten offensichtlich nicht. Durch deren fehlgeleitete Uninformiertheit und interpretative Paranoia fühlen sich jetzt Menschen legitimiert, Morddrohungen gegen mich auszusprechen. Man fragt sich unwillkürlich, ob das der Zweck dieser Kampagne ist.“
Unterstellt sie allen Ernstes den Behindertenverbänden, sie würden nicht die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und der Protest der Verbände gegen die AfD-Anfrage habe womöglich den Zweck, Morddrohungen gegen sie, Frau Höchst, zu provozieren? Das macht mich jetzt fassungslos. Wie vor kurzem bei Frau v. Storch frage ich mich, ist Frau Höchst Gefangene ihres eigenen selbstgerechten Weltbilds, einer “interpretativen Paranoia”, oder macht sie das ganz bewusst?
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Nachtrag: Bevor die üblichen Interpreten fragen, ob ich nichts zu den Morddrohungen gegen Frau Höchst zu sagen habe: Morddrohungen sind absolut inakzeptabel, sie sind es umso mehr in diesem Zusammenhang, in dem es um die Sensibilisierung für den Wert allen menschlichen Lebens geht.
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