Vergangenheit und Zukunft
Am letzten Samstag war ich, wie berichtet, bei einer Industriemesse der Anbieter von Komponenten für die bisher geplante Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen. Möglicherweise war ich, ohne es zu wissen, in einem Industriemuseum. Das E-Health-Gesetz, das erst Ende 2015 in Kraft getreten ist, sah vor, dass in einem geschlossenen System Daten der ambulanten und stationären Versorgung besser verfügbar und austauschbar sein sollen. Dem ging seit der Gründung der gematik, die die Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen steuern soll, ein Jahrzehnt Verhaltensstarre der Akteure voraus. Mit den Terminsetzungen im E-Health-Gesetz kam die Sache halbwegs in Gang.
Politische Aufbrüche
Der neue Gesundheitsminister Jens Spahn hat allerdings schnell erkennen lassen, dass er andere Vorstellungen von der Zukunft hat. Er will, dass die Patienten überall Zugriff auf ihre Daten haben. Wer würde dagegen sein? Auch die Forschung soll es leichter haben, Zugang zu den Daten zu bekommen. Wer wollte dagegen sein? Das könnte doch zu ganz neuen Therapien führen. Und zu neuen Produkten natürlich. Im Kern geht es um die Schaffung eines Gesundheitsdatenmarktes, in dem die Wirtschaft das Gold (und das Katzengold) der Gesundheitsdaten heben kann.
Nach Gesundheitsminister Spahn hat (daher?) nun auch Bundeskanzlerin Merkel die elektronische Gesundheitskarte zur Investitionsruine erklärt. Ein bis zwei Milliarden Euro sind damit durch den Schornstein. Gut, man soll schlechtem Geld kein gutes Geld hinterherwerfen, aber man soll gutes Geld auch nicht für fadenscheinige Versprechen ausgeben, was ein freierer Gesundheitsdatenmarkt alles bringen wird.
Problemlösungen und Problemverdrängungen
Die großen Gesundheitsprobleme des Landes – die unteren Einkommensgruppen sterben 10 Jahre früher als die oberen, es fehlen zehntausende Pflegekräfte, die intersektorale Zusammenarbeit ambulant-stationär funktioniert nicht – wird man mit einem freieren Gesundheitsdatenmarkt nicht lösen. Dafür verspricht die wunderbare neue Datenwelt personalisierte Angebote von der Prävention über die Arzneimitteltherapie bis zur Reha. Eine Unterrichtung der EU-Kommission, veröffentlicht als Bundesratsdrucksache 157/18, sei zur Lektüre empfohlen. Ein europäischer Gesundheitsdatenmarkt wird dort als Schlaraffenland der künftigen Versorgung vorgeführt. Kein Problem, dessen Lösung im Gesundheitsdatenmarkt nicht versprochen wird. So wie vor ein paar Jahren durch die Gentechnik und dann die Hirnforschung. Jetzt eben die Gesundheitsdaten. Big Data, Big Brother, takes care for you?
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