Politisches Machertum
Manches ist schneller getan als bedacht. Vor drei Wochen hat das bayerische Kabinett beschlossen, dass ab 1. Juni im Eingangsbereich aller Landesbehörden ein Kreuz hängen soll. Das Kreuz sei, so Ministerpräsident Söder, „sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland“. Das war der Beginn einer anhaltenden Debatte sowohl um die Bedeutung des Kreuzes als auch um das Wesen des säkularen Staates.
Darüber hatte die CSU sichtlich nicht genug nachgedacht, wie die erratischen Erklärungen aus der CSU-Führung nach dem Erlass erkennen ließen. “Das Kreuz ist nicht ein Zeichen einer Religion”, sagte Söder unmittelbar danach, sondern “Bekenntnis zur Identität” und zur “kulturellen Prägung” Bayerns. Spöttische Zungen haben das schnell aufgegriffen und gefragt, ob es dann nicht auch ein Leberkäs getan hätte. Was erst einmal wie ein dummer Witz daherkommt, trifft das Problem aber schon ziemlich punktgenau, weil in dieser Frage auch die nach der religiösen Bedeutung des Kreuzes jenseits seiner Einbindung in die kulturelle Tradition Bayerns aufscheint.
Politisches Mackertum
Zwei Tage später warf dann CSU-Generalsekretär Markus Blume den Kritikern des Kreuz-Erlasses zu allem Überfluss auch noch vor, sie seien „Religionsfeinde“. Das war erstens logisch nicht konsistent mit Söders nichtreligiöser Deutung des Kreuzes, und zweitens hatte er damit ausgerechnet Kardinal Reinhard Marx zum Religionsfeind erklärt, als der sich wiederum ein paar Tage später gegen Söders Deutung wandte: „Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden”, so Marx. “Dann würde das Kreuz im Namen des Staates enteignet.” Dass ein führendes Mitglied einer sich christlich nennenden Partei, im Bemühen, seinem Ministerpräsidenten brutalstmöglich zur Seite zu springen, ungewollt den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von München und Freising zum „Religionsfeind“ macht, war schon ein erstaunlicher Tritt in den Fettnapf. Wie gesagt, manches ist schneller getan als bedacht.
Ein anderer unfreiwilliger Religionsfeind, der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf, emeritierter Professor für Systematische Theologie in München, hatte in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 27.4. ebenfalls deutliche Worte gefunden. Mit dem Kreuz würde „politisches Schindluder“ getrieben und wer sich wie Landesbischof Bedford-Strohm mit „unklarem Gerede“ am Konflikt um die Deutung des Kreuzes vorbeimogeln wolle, gebe das Kreuz „zur beliebigen Verzweckung frei“.
Graf argumentiert von der theologischen Seite her, aber er reißt auch die staatstheoretische Dimension des Ganzen an: „Dieselben staatlichen Amtsträger, die seit Jahren erklären, ‚der Islam‘ könne nicht zwischen Religion und Politik unterscheiden und sei deshalb nicht demokratiefähig, inszenieren nun genau jene Entdifferenzierung von Religion und Politik, unter der sie ansonsten zu leiden vorgeben.“ Dieser Aspekt sollte auch denen zu denken geben, die zwischen Kreuz und Leberkäs nicht weiter unterscheiden wollen.
Präziser hätte Graf allerdings von der Entdifferenzierung von Religion und Staat gesprochen. Die „Politik“ ist ein Teilsystem der Gesellschaft und als solches darf sie so religiös sein, wie die Menschen, die Politik machen, eben sind. Aber der moderne Staat ist ein säkularer Staat. Er ergreift nicht Partei in Sachen religiöser Bekenntnisse, und zwar genau deswegen, damit jeder Bürger in dieser Hinsicht frei ist.
Politische Klugheit
Der moderne Staat bezieht seine Legitimation nicht von Gott, sondern von den Menschen: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es in Art. 20 (2) des Grundgesetzes. Damit haderte die CSU von Anfang an. In der Landtagssitzung am 20. Mai 1949, als es um die Abstimmung über das Grundgesetz ging, ließ der CSU-Abgeordnete Rindt in Abwesenheit eine Erklärung verlesen, warum er gegen das Grundgesetz ist: „Als überzeugter Christ kann ich eine Staatsverfassung nicht billigen, die den Grundsatz aufstellt (Art. 20 Abs. 2): ‚Alle Gewalt geht vom Volke aus‘. Diese Auffassung stellt den diametralen Gegensatz dar zu der christlichen Überzeugung, für die alle Gewalt von Gott ausgeht.“ Im ersten Abschnitt der bayerischen Verfassung steht allerdings auch, dass das Volk Träger der Staatsgewalt ist, gleich drei Artikel halten das unmissverständlich fest.
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