Letzte Woche hatte der „Münsteraner Kreis“ die wissenschaftlich unhaltbare „Forschung“ über Homöopathie beim Prader-Willi-Syndrom an der LMU München aufgegriffen, die hier auf Gesundheits-Check vor kurzem auch Thema war. Die Ärztezeitung hat darüber berichtet. In den Kommentaren dort hat sich auch der frühere Berliner Ärztekammer-Präsident Ellis Huber zu Wort gemeldet, ein Mann mit vielen Verdiensten, was die Kritik an Fehlentwicklungen in der Medizin angeht, aber auch ein Mann mit blinden Flecken in Sachen Alternativmedizin. Ellis Huber schrieb:
“[21.06.2018, 10:13:45]
Dr. Ellis E. Huber
VerantwortungWas ist denn falsch an einem “verantwortungsvollen Umgang mit der Homöopathie und anderen komplementärmedizinischen Therapien?” Wenn wir einen verantwortungsvollen Umgang mit den vom Münsteraner Kreis propagierten Verfahren der Medizin hätten, wären manche Patienten besser dran und manche Probleme weniger hätten wir auch. Wissenschaft, die nicht mehr neugierig forscht und Erklärungen für die Verhältnisse sucht, verkrustet zur dogmatischen Glaubensgemeinschaft. Der Münsteraner Kreis hat mit der heiligen Inquisition mehr gemeinsam als mit einer offenen Wissenschaftlichkeit.“
Ich habe bei der Ärztezeitung eine Antwort auf diesen Kommentar eingereicht, die aber (bisher) nicht freigeschaltet wurde und wohl auch nicht mehr freigeschaltet wird:
“Lieber Ellis,
an einem “verantwortungsvollen Umgang” mit der Homöopathie ist nichts falsch. Aber wie sähe der aus? Doch sicher nicht so, den Leuten unhaltbare Ansichten aus dem 18. Jahrhundert einzureden oder gar, wie in manchen Kliniken (nicht an der LMU!), Krebs rein homöopathisch zu behandeln und den schwer Kranken dafür auch noch eine Menge Geld abzunehmen. Und es ist auch nicht verantwortungsvoll, schon Kinder bei Nichtigkeiten wie dem “Aua” auf Medikamente (auch Homöopathika sind Medikamente!) zu orientieren.Den Münsteraner Kreis als “heilige Inquisition” zu denunzieren und für die verbohrte Glaubensgemeinschaft der Homöopathen die “offene Wissenschaft” in Anspruch zu nehmen, ist Demagogie, eine herablassende Arroganz in der Tradition der alten Halbgötter in Weiß. Schade, dass Du Dich auf dieses Niveau begibst. So wird dem Anliegen, den Patienten eine informierte Entscheidung zu ermöglichen (nach der sie vielleicht – “verantwortungsvoller Umgang” – trotz Aufklärung Homöopathika nehmen), ein Bärendienst erwiesen. Das Elend der Medizinkritik der 1980er Jahre ist allzu oft die Hinwendung zu anderen autoritären Systemen.“
Statements wie die von Ellis Huber sind Beispiele dafür, wie der confirmation bias erstens auch kluge Leute überwältigt, und zweitens eine verkehrte Welt entstehen lässt. Da wird die Wissenschaft zur „dogmatischen Glaubensgemeinschaft“, die „nicht mehr neugierig forscht“, während die Homöopathie, deren fehlende Neugier doch gerade Anlass der Debatte war, dem als Hort der wahren Wissenschaft gegenübergestellt wird.
Wenn Meinungen einmal interessenzementiert fest stehen, hat es die Kritik schwer. Ellis Huber sollte das eigentlich aus seiner eigenen Erfahrung des Kampfes gegen die Betonköpfe der Berliner Ärzteschaft in den 1980er Jahren kennen. Wie seltsam, wenn jemand, der einmal dafür eingetreten ist, dass Ärzte ihren Halbgötterhabitus ablegen, selbst den autoritären Abbügler hervorkehrt. Wie seltsam, wenn einer, der noch heute zu Recht gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens zu Felde zieht, selbst zum Steigbügelhalter eines Zweigs dieser Entwicklung wird, ungeachtet dessen, dass auch hier Menschen zu Schaden kommen oder gar sterben und eine starke Lobby mit aller Macht den Schein einer sanften Medizin aufrechterhält. Ob es überhaupt ein Argument gibt, das ihn „neugierig“ werden ließe, ihn selbstkritisch fragen ließe, ob nicht vielleicht er Teil einer „dogmatischen Glaubensgemeinschaft“ geworden ist?
Dass sich die Homöopathie an den Universitäten festsetzen konnte, ist ein Makel auf der weißen Weste der Wissenschaft, beileibe nicht der einzige, aber das macht es nicht besser. Dass niemand Anstoß daran nimmt, wie die Carstens-Stiftung mit Geld den Universitäten diesen Makel beibringt, ist ein Skandal. Mit gleichem Recht könnte man dafür eintreten, auch Geistheilung oder Astrologie an die Universitäten zu bringen, eine Stiftung, die dafür bezahlt, wird sich schon finden. Und wer versteht da noch, warum die Universitäten kein Geld von der Tabakindustrie nehmen sollen – deren Unwissenschaft hatte wenigstens Niveau.
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