Junk Science, Wissenschaftsmüll, ist eines der Probleme, mit der sich unsere Massenwissenschaftsgesellschaft auseinandersetzen muss. Je mehr publiziert wird, desto mehr nimmt der Aufwand zu, Wissen aus dem Müll zu filtern. Echter Müll kann dagegen eine richtig gute epidemiologische Erkenntnisquelle sein. Heute war in der Süddeutschen Zeitung wieder ein Bericht über das Projekt des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) über die Untersuchung von Abwässern auf Drogenrückstände bzw. –abbauprodukte. Die Medien berichten seit Jahren gerne darüber, welche Städte bei welchen Drogen das Ranking anführen. Im europäischen Vergleich war es 2017 bei Kokain Barcelona, bei den Amphetaminen Eindhoven in den Niederlanden, gefolgt von Antwerpen und Saarbrücken, bei den Methamphetaminen (z.B Crystal Meth) waren es Chemnitz und Erfurt und bei Ecstasy Amsterdam und wiederum Eindhoven.
Wie zuverlässig die Rückschlüsse von den Stoffkonzentrationen in den Abwässern auf personenbezogene Verbrauchswerte sind, kann ich nicht beurteilen. Vorsicht beim Städteranking walten zu lassen, ist aber sicher nicht falsch. Schon die Zuordnung von Haushalten bzw. Personen zu den einzelnen Klärwerken und die Hochrechnung ist sicher fehlerträchtig, hinzukommen eine Reihe weiterer Faktoren, wie das EMCDDA schreibt:
Die Abwasseranalyse stellt zwar eine interessante ergänzende Datenquelle für die Überwachung der Mengen von auf Bevölkerungsebene konsumierten illegalen Drogen dar, doch liefert sie keine Informationen zur Prävalenz und zur Häufigkeit des Konsums, zu den Hauptkonsumentengruppen und zum Reinheitsgrad der Drogen. Zusätzliche Herausforderungen ergeben sich durch Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Verhalten der ausgewählten Biomarker in der Abwasserleitung, verschiedenen Rückrechnungsmethoden und verschiedenen Ansätzen zur Schätzung der Größe der untersuchten Bevölkerungsgruppe (Castiglioni et al., 2013, 2016; Lai et al., 2014; EMCDDA, 2016b). Die Schwierigkeiten bei der Auswahl der Analyseziele für Heroin beispielsweise machen die Überwachung dieser Droge im Abwasser im Vergleich zu anderen Substanzen komplizierter (Been et al., 2015). Außerdem schwankt der Reinheitsgrad von Produkten im Straßenhandel auf unvorhersehbare Weise im Zeitverlauf und an verschiedenen Standorten. Ferner ist die Umrechnung der konsumierten Gesamtmenge in die entsprechende Anzahl an durchschnittlichen Einzeldosen kompliziert, da Drogen auf unterschiedlichen Wegen und in sehr unterschiedlichen Mengen eingenommen werden können und sie sehr unterschiedliche Reinheitsgrade aufweisen (Zuccato et al., 2008).
Aber auch von den mediengängigen Städterankings einmal abgesehen, ist die Abwasserepidemiologie ausgesprochen erkenntnisträchtig, etwa was die regionale Verbreitung von Drogen oder anderen Stoffen angeht. Die Methode, Abwässer für epidemiologische Fragestellungen zu nutzen, dürfte in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, z.B. mit Blick auf Medikamente (die Rückschluss auf Krankheitshäufungen geben könnten), oder den Infektionsschutz, wenn im Abwasser nach bestimmten Krankheitserregern gesucht wird, z.B. Polio-Viren: Hier gab es wiederholt Funde von Impfviren in Abwässern in verschiedenen Ländern. Manche Epidemiologen fordern sogar die regelmäßige Kontrolle von Abwässern auf Polioviren.
Wenn man bei Pubmed nach Sewage Epidemiology oder wastewater-based Epidemiology sucht, werden ca. 1.600 Publikationen angezeigt. Ich habe die Titel und abstracts nicht durchgesehen, ein Teil der Publikationen ist nicht wirklich einschlägig und wäre noch herauszufiltern, aber offensichtlich ist hier ein eigenes Forschungsfeld entstanden. Ein sicheres Zeichen dafür ist auch, dass es bereits ethische Leitlinien für die abwasserbezogene Epidemiologie gibt (Prichard J. et al., 2014). Pettenkofer, über den wir vor kurzem hier diskutiert haben, hätte sich über diese Entwicklung der “Kanalwissenschaften” bestimmt gefreut.
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