In Deutschland gibt es derzeit ca. 3,1 Mio. Menschen, die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen. Zwei Drittel sind Frauen, mehr als die Hälfte ist über 80 Jahre alt. Letzteres ist eine halbwegs positive Botschaft: Pflegebedürftigkeit trifft die meisten erst im hohen Alter, vor allem, wenn es um stationäre Pflegebedürftigkeit geht.

Über Pflege spricht man nicht gern. Das Thema passt nicht so recht dazu, wie wir alt werden wollen: selbständig lebend, in einer seniorengerechten Wohnung im Grünen, halbwegs gesund, vielleicht bei bisschen schwerhörig, aber sonst ganz fit. Vor allem geistig. Für viele kommt es auch so, aber eben nicht für alle.

Im Zusammenhang mit dem GroKo-Koalitionsvertrag kam auch das Thema Pflege gelegentlich in den Talkshows zur Sprache. Der Koalitionsvertrag macht immerhin erste kleine Schritte in Richtung einer Verbesserung der Pflege. Der Abschnitt zur Pflege beginnt dabei mit den Worten „Eine gute und verlässliche Pflege ist für immer mehr Betroffene und ihre Angehörigen von zentraler Bedeutung.“ Im Fokus stehen dann mehr Pflegekräfte, deren Bezahlung und weitere Rahmenbedingungen, alles zweifellos wichtig. Zwei Wörter kommen aber nicht vor: Pflegenotstand und Pflegequalität. Beide Begriffe findet der Google Ngram-Viewer vor allem seit den 1970er Jahren und verstärkt seit Mitte der 1980er Jahre. Keine neuen Themen also.

Pflegenotstand_Ngram

Wenn man die Pflege verbessern will, also weniger Pflegenotstand und mehr Pflegequalität haben will, was genau hat man dann eigentlich im Blick? Die Zahl der Pflegekräfte? Die Differenziertheit des Angebots etwa zwischen ambulanter Pflege, Tagespflege, Vollzeitpflege usw.? Die Häufigkeit von Dekubitus-Fällen in den Einrichtungen? Oder die von Harnwegsinfektionen? Die vermeidbaren Verlegungen ins Krankenhaus? Oder lässt sich auch so etwas wie „Achtung der Menschenwürde“ als Qualitätsindikator messen?

Mit diesen Themen beschäftigt sich der „Pflege-Report 2018“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Neben konzeptionellen Überlegungen gibt es auch eine Reihe von Datenanalysen. Auswertungen von Routinedaten der Kranken- und Pflegekassen ergaben z.B., dass 2015 ca. 9 % der Pflegeheimbewohner eine Dekubitusdiagnose haben, mehr als sonst in der Literatur angegeben, und viele werden nicht adäquat versorgt. Gut 7 % haben eine ärztlich diagnostizierte Harnwegsinfektion, 62 % davon wurden antibiotisch therapiert. Knapp 20 % der Heimbewohner kamen 2015 mindestens einmal ins Krankenhaus, etwa 40 % davon hätte man möglicherweise durch eine gute heimärztliche Versorgung vermeiden können. Wie viele Heimbewohner sich nicht menschenwürdig behandelt fühlen, weiß man leider nicht so genau. Es werden nicht wenige sein.

Der Pflegereport 2018 beschreibt das Thema Pflegequalität auf gut 200 Seiten. Informativ, mit vielen interessanten Befunden. Manches ist recht fachspezifisch, aber der eine oder andere Beitrag ist auch für „Laien“ lesbar. Wobei, wie gesagt, viele Menschen doch auf die eine oder andere Weise „Experten“ sind, sei es, weil sie pflegebedürftige Angehörige haben oder selbst pflegebedürftig geworden sind. Die Printausgabe kostet 53,49 Euro, aber es gibt erfreulicherweise eine kostenfreie Open-Access-Version.

Kommentare (8)

  1. #1 Intensivpfleger
    22. August 2018

    Vielen Dank für den link zur Open-Access-Version.
    Muss ich mich mal durcharbeiten…

    Gruß vom
    Intensivpfleger

  2. #2 Beobachter
    31. August 2018

    Danke für Ihren Beitrag.
    Schade, dass er offenbar auf wenig Interesse stößt (Anzahl der Kommentare !) –
    obwohl es ja um eine Thematik geht, die früher oder später jeden betreffen kann.

    Die Kriterien zur Pflegequalität z. B. in Pflegeheimen müssten weit mehr Bereiche umfassen – wie z. B. auch Mobilisation, fachärztliche Versorgung, prophylaktische Maßnahmen, Ernährung.

    In Pflegeheimen wird die pflegerische (inkl. notwendige Hilfsmittel) und ärztliche Versorgung (selbst die Medikation!) meist sehr schlecht dokumentiert, weil das zuständige Fachpersonal dazu zu wenig Zeit hat.

    Wie müssen eigentlich Sterbefälle und Todesursachen in Alten-/ Pflegeheimen dokumentiert werden?
    Müssen die vollständigen Totenscheine dort (kopiert) aufbewahrt und (eine best. Zeit lang) archiviert werden?

    • #3 Joseph Kuhn
      31. August 2018

      @ Beobachter:

      1. Instrumente zur Qualitätsmessung/Qualitätssicherung in der Pflege umfassen auch mehr Bereiche. Der Pflegereport ist, wie gesagt, online zugänglich.

      2. Die Daten auf der ärztlichen Todesbescheinigung unterliegen verständlicherweise hohen Datenschutzanforderungen. Im Bestattungsrecht ist genau geregelt, wer welchen Durchschlag bekommt. Zur Archivierung ist in den meisten Bundesländern das zuständige Gesundheitsamt verpflichtet. Das Pflegeheim ist ein Dienstleister, es hat kein Recht auf diese Daten.

      3. Eine statistische Zusammenführung von Daten aus der Pflegedokumentation (oder anderen Behandlungsdokumenationen) und Daten aus den Todesbescheinigungen ist in Deutschland als Routineverfahren aus Datenschutzgründen nicht zulässig. Für Forschungszwecke kann dies mit Zustimmung der nach Landesrecht als zuständig bestimmten Behörden geschehen. Forschung an dieser Schnittstelle gibt es auch, auch international, für einen ersten Einstieg könnten Sie z.B. nach Sterblichkeit/Sterberate und Pflegeheim/Altenpflege googeln.

  3. #4 Beobachter
    31. August 2018

    @ Joseph Kuhn:

    Danke für die Infos.

  4. #5 Beobachter
    31. August 2018

    Nachtrag:

    ” … Das Pflegeheim ist ein Dienstleister, es hat kein Recht auf diese Daten. … ”

    Dennoch müssten Alten-/Pflegeheime (gerade auch bei Heimbewohnern in vollstationärer Pflege) ihrer Dokumentationspflicht auch bei Sterbefällen und Todesursachen nachkommen.

    Wie machen sie das – ohne Totenscheine ?!

    • #6 Joseph Kuhn
      31. August 2018

      @ Beobachter:

      Die Heime sollen ihre Pflege dokumentieren. Die Daten auf der Todesbescheinigung gehen die Heime nichts an und sie könnten damit auch nichts anfangen. Nicht einmal das Standesamt, das den Sterbefall beurkundet, bekommt den vertraulichen Teil der Todesbescheinigung mit den Todesursachen zu Gesicht.

  5. #7 Beobachter
    31. August 2018

    @ Joseph Kuhn:

    Pflegebedürftige können in einem Pflegeheim also sterben, ohne dass es das Heim (als bloßer “Dienstleister”) im Geringsten interessiert, was die Todesursache ist?
    Und auch nicht interessiert, welcher Arzt den Totenschein ausstellt?
    U. U. “irgendein” Arzt vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst/Notdienst, dessen Zentrale beim Sterbefall am Wochenende/Feiertag von der Station verständigt wird?

    Wen interessiert es denn überhaupt?
    Wer oder welche(s) Institution/Amt MUSS den kompletten Totenschein (nichtvertraulicher und vertraulicher Teil) aufbewahren, und wer darf beide Teile einsehen?
    Dem Bestattungsunternehmen reicht die Sterbeurkunde des Standesamtes.

    Die ärztliche Untersuchung vor dem Ausstellen des Totenscheins wird nach der GOÄ abgerechnet (und beides nur geringfügig honoriert) und stellt die letzte ärztliche Handlung am Patienten dar.
    Und diese (inkl. des Untersuchungsergebnisses) müsste m. E. auch als solche im Heim dokumentiert werden – sozusagen als Abschluss der Pflege.

    • #8 Joseph Kuhn
      31. August 2018

      @ Beobachter:

      Da kommt er wieder, der vertraute inquisitorisch-vorwurfsvolle Unterton. Worauf wollen Sie denn hinaus? Möchten Sie, dass der Heimleiter anhand der Todesbescheinigungen die Auswahl seiner Fälle optimiert? Oder dass ein Heim, wenn der Arzt eine unnatürliche Todesursache vermerkt, sicherheitshalber die Pflegedokumentation ändert, damit kein Verdacht auf das Heim fällt? Oder die philippinische Pflegekraft anekdotenepidemiologisch darüber nachdenkt, warum Herr Müller sterben musste und darüber den Notfall in Zimmer 12 vergisst? Niemand hindert Sie, wenn Sie einmal pflegebedürftig werden, über eine Vollmacht Ihrem Heim den Zugang zu allen Informationen über Ihre Todesursache und Ihr Bankkonto zu ermöglichen. Sie sollten sich nur überlegen, warum Sie das wollen.

      Welche Institution zur Archivierung verpflichtet ist, habe ich oben schon geschrieben: die Gesundheitsämter. Sie öffnen den vertraulichen Teil und nehmen mehr oder weniger weitreichende Plausibilitätsprüfungen vor. Meist nicht im wünschenswerten Umfang. Das hat mit den hier im Blog immer wieder angesprochenen Personalressourcen zu tun. Ebenso die in Deutschland eher geringen Obduktionsraten. Aber das hat mit der Frage, ob es sinnvoll wäre, dass Heime die Todesbescheinigung hätten, nichts zu tun. Was die ärztliche Gebührenordnung mit dem Abschluss der Pflege zu tun hat, verstehe ich auch nicht. Mit dem Heim hat man als Pflegebedürftiger einen Vertrag. Mit dem Arzt, der die Todesbescheinigung ausstellt, nicht. Auch das Heim nicht. Die Gebühr für die Todesbescheinigung ist im Regelfall von den Angehörigen zu entrichten.

      Und bitte fragen Sie mich jetzt nicht endlos immer weiter nach Details des Datenschutzes zur Todesbescheinigung oder des Bestattungsrechts, Sie können genauso gut googeln wie ich, da bin ich sicher.