Als „haarsträubenden Unsinn“ bezeichnet Prof. Jens Türp (Basell) die von CMD-Diagnostikern geäußerte Standarddiagnose, wenn Patienten Spuren nächtlichen Knirschens aufweisen. Eine Vielzahl von Allgemeinsymptomen soll angeblich durch eine CMD hervorgerufen werden: Ohrgeräusche, Augendruck, unterschiedliche Beinlängen, Rücken-, Hüft- und Knieschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Fingerkribbeln und vieles mehr. “Für keines dieser Symptome ist jemals ein Zusammenhang belegt worden”, sagt Türp. Eine echte CMD verursache Beschwerden beim Kauen und Schmerzen. Die Patienten hätten Schwierigkeiten, ihren Mund weit zu öffnen oder zu schließen. Als Therapie wird auf der Website “CMD-Arztsuche” eine “dauerhafte Korrektur der Bisslage” empfohlen – mithilfe von Keramikonlays, Kronen und Zahnimplantaten. Teuer und unnötig, urteilt Jens Türp. Er behandelt seine CMD-Patienten mit Aufbissschienen, Physiotherapie und Entspannungsübungen – fast immer erfolgreich, wie er versichert. Generell kann Patientinnen und Patienten daher geraten werden, bei einer Diagnose, die invasive Behandlungsverfahren nach sich ziehen soll, stets eine qualifizierte Zweitmeinung einzuholen.
2. Materialtestungen
Allergische Reaktionen auf im zahnmedizinischen Bereich verwendete Materialien sind möglich. Man unterscheidet hier die Typ I – Reaktionen („Sofort-Typ“) von der verzögerten Reaktion vom Typ IV. Während eine Reaktion des Sofort-Typs durch die Freisetzung von humoral aktiven Substanzen gekennzeichnet ist und zu asthmatischen Anfällen, Schleimhautanschwellung bis hin zum gefürchteten anaphylaktischen Schock führen kann, ist die Reaktion des verzögerten Typs von der Bildung sogenannter Halbantigen (Haptene) charakterisiert, die sich an Gewebsproteine binden und in der Kombination dann ein Vollantigen bilden. Eine Allergie kann leitlinienkonform diagnostiziert werden, wenn klinische Symptome mithilfe eines Allergietests bestätigt werden.
In der sogenannten Alternativen Zahnmedizin wird der Bereich der Testungen stark ausgedehnt. Testungen im Materialbereich Zahnmedizin werden in unzähligen Varianten durchgeführt und gehören ebenfalls zum „Marketing“ im Bereich der sogenannten Alternativen Zahnmedizin. Dramatische Konsequenzen können entstehen, wenn auf dem Boden dieser Wünschelruten-Fehldiagnostik umfangreiche Therapien abgeleitet werden. Kieferverstümmelungen und schwerwiegende kaufunktionelle Einschränkungen können die Folge sein. Bereits 1992 warnte die Rechtsmedizinerin Prof. Oepen, es seien „bei nicht nachweisbarer Effektivität (…) weder Risiken bei der Anwendung noch die Behandlungskosten solcher Methoden gerechtfertigt.“
Eine Sonderrolle bei der Suche nach Unverträglichkeiten im Rahmen der Materialtestung nimmt die Labormedizin ein. In der Labormedizin kommen zur Generierung einer medizinischen Diagnostik blutanalytische Verfahren zum Einsatz. Diese oftmals sehr teuren Analyseverfahren (zum Beispiel „LTT-Test“) haben oftmals leider nur eine geringe spezifische Aussagekraft und sind daher zur Diagnostik allergischer Reaktionen auf die verwendeten Metalle im Mundbereich ungeeignet. Es werden hohe Kosten generiert, die, außer, dass sie einen wirtschaftlichen Nutzen besitzen, für die betroffenen Patienten wegen der limitierten Aussagekraft der durchgeführten Tests völlig wertlos sind.
Abhängig von dem Allergietyp – Soforttyp oder verzögerter Typ – unterscheidet sich in der allergologischen Diagnostik die Güte des Interpretationsniveaus sehr stark. Auf der einen Seite findet man im Bereich der IgE-Antikörpermessungen gegenüber Pollen, Milben und Tierhaaren eine hohe diagnostische Wertigkeit. Im Gegensatz zu den Varianten des verzögerten Typs, zu denen auch die sogenannten Kontaktallergien zählen, denen allergische Reaktionen auf Metalle im Mundbereich zugeordnet werden. Allergiediagnostik im Bereich der Kontaktallergien liefern häufig falsch-positive Ergebnisse und sind daher für die Diagnostik im Bereich der Metall-Allergien im Bereich der Zahnmedizin häufig als untauglich einzuordnen. So teilte mir der Direktor des Institute of Laboratory Medicine and Pathobiochemistry, Molecular Diagnostics der Universität Marburg, Prof. Harald Renz mit:
„Die Ergebnisinterpretation des LTT und anderer zellulärer Tests ist durch die Möglichkeit falsch-positiver und falsch-negativer Befunde deutlich erschwert. Der LTT ist nicht vollkommen standardisiert, er ist ein komplexer Text, der große Erfahrung nicht nur in der Durchführung sondern auch in der Interpretation der Testergebnisse voraussetzt und bei dem sich der Untersucher unbedingt an die Qualitätssicherungsaspekte des Testherstellers halten muss. Der Test zeigt zudem eine große inter-individuelle Variabilität, es gibt keine sogenannten „Normwerte“ oder „Referenzwerte“. Mit dem LTT wird auch nur nachgewiesen, ob das spezifische Immunsystem eine T-Zell-Antwort gegen das entsprechende Metall entwickelt hat. Positive und negative Kontrollsubstanzen müssen mitgeführt werden.
Auch von Metall zu Metall gibt es Unterschiede in der klinischen Aussagekraft. Für Beryllium und Nickel sind die Sensitivitäten ausreichend. Bei anderen Metallen, gerade auch die, die bei Implantaten relevant sind oder im Bereich der Zahnersatzheilkunde, liegen noch nicht ausreichend Untersuchungsergebnisse vor.
Ganz wichtig: Ein positives Testergebnis alleine bedeutet noch keine klinische Diagnose! Das Testergebnis kann nur in Verbindung mit der Klinik sinnvoll interpretiert werden. Auch zeigt ein positives Testergebnis nicht an, dass der Patient jetzt, aktuell und akut und dauerhaft exponiert ist. Die Exposition kann auch schon Jahre zurückliegen und trotzdem noch zu einem positiven Testergebnis führen. Dies liegt an den Gedächtniszellen, die auch im Blut zirkulieren können.“
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