3. Amalgam
Jeder zahnärztlich eingesetzte Werkstoff kann individuelle lokale, allgemeine und auch allergische Reaktionen bei der Anwendung hervorrufen. Wegen der hohen Toxizität von Quecksilber wird im Bereich der sogenannten Alternativ-Zahnmedizin häufig die Entfernung von Amalgam-Füllungen empfohlen. „Amalgamsanierungen“ bilden daher einen Hauptbestandteil im Behandlungsportfolio dieser Behandlergruppe.
Amalgamfüllungen haben neben den hervorragenden werkstoffkundlichen Eigenschaften, wie z.B. hoher Kantenstabilität, schneller Verarbeitung, zuverlässiger Abbindung auch im feuchten Milieu, Langlebigkeit unter feucht-warmen Bedingungen, eine Eigenschaft, die langfristig betrachtet sehr kritisch zu bewerten ist: Korrosion. Alte Amalgamfüllungen korrodieren nach Jahren und Jahrzehnten ausnahmslos. Dabei ändert sich durch die entstandenen Oxidationsprodukte nicht nur das Metallgefüge, sondern lässt die Amalgamfüllung eine Änderung in ihrer ursprünglichen räumlichen Dimensionen erfahren. In der zahnärztlichen Werkstoffkunde ist dieser Prozess bekannt unter dem Terminus „Merkuroskopische Expansion“.
In einer über 12 Jahre (!) angelegten großen Studie wurde versucht, die Quecksilberbelastung durch Amalgamfüllungen genauer zu verifizieren. Im sogenannten „German Amalgam Trial (GAT)“ wurden zunächst 6744 Patienten befragt. Bei einer Serum- und Urinuntersuchung wurde die Quecksilberbelastung von Amalgam-Trägern mit denen von Nicht-Amalgam-Trägern verglichen (n=27). Messungen des anorganischen Quecksilbers im Blut und Urin zeigten einen hoch signifikanten Zusammenhang mit vorhandenen Amalgamfüllungen. So ließ sich im Serum von Patienten mit Amalgam-Füllungen ein 3,5-fach erhöhter Quecksilbergehalt nachweisen, die ermittelten Werte in den Urinuntersuchungen waren noch deutlicher, sie unterschieden sich sogar um den Faktor 4. Die Untersuchung der Freisetzung von Quecksilberdämpfen vor und nach dem Kauen von Kaugummi erbrachte Faktoren von bis zu 15. Quecksilberdampf in der Atemluft wird zu 80 % in der Lunge resorbiert. Dem Quecksilberdampf wird die größte toxikologische Relevanz beigemessen. Die Freisetzungsrate von Quecksilberdampf ist beim Legen und beim Entfernen der Amalgamfüllungen am höchsten. Differenzierte Angaben über den Grad der Korrosion wurden im Rahmen der Untersuchung leider nicht erhoben. Quecksilberbelastungen im Gewebe wurden in der GAT-Studie ebenfalls nicht untersucht.
Die Korrosion wirkt: Es zeigt sich unter alten, korrodierten Amalgam-Füllungen keine Aufweichung der Dentinsubstanz, weil eine bakterielle Besiedelung im Bereich der Grenzfläche Amalgam / Dentin aufgrund der hohen Zytotoxizität nicht entstehen kann. Im feucht-warmen Milieu des Mundes bilden sich auf jeder Amalgamoberfläche, sowohl an der Grenzfläche Füllung-Mund, als auch an der Grenzfläche Füllung-Dentin, durch die allmähliche Oxidation Metalloxide. Eine Ionendiffusion in das Dentin und somit eine Weiterleitung an tiefere Gewebeschichten wurde an der Grenzfläche Füllung-Dentin nachgewiesen. Auch auf der Kauoberfläche der Amalgamfüllung entstehen Metalloxide, die durch den sukzessiven Abrieb in den Verdauungstrakt gelangen und somit auch verstoffwechselt werden können. Als freiwerdende Ionen treten durch Oxidationsprozesse dabei nicht nur Kupfer (Cu2+), Zink (Zn2+) und Zinn (Sn2+) auf, sondern auch Quecksilber (Hg2+). Gefürchtet sind dabei besonders die Quecksilber-Ionen (Hg2+) aus durch Oxidation entstandenen Quecksilbersalzen. Diese sind in der Lage, als sogenannte „Chelat-Komplexbildner“ in der Funktion als Zentralionen die körpereigenen Calcium-Ionen (Ca2+) zu verdrängen. Aufgrund ihrer nachweislich hohen Neurotoxizität sollen quecksilberhaltige Substanzen daher aus dem Alltagsgebrauch verbannt werden. Die Minamata-Konvention lieferte den Anlass für ein EU-weites Anwendungsverbot von Amalgamfüllungen ab dem 1.7.2018 in Zusammenhang mit der Behandlung von Kindern, Jugendlichen, Stillenden und Schwangeren.
Die im sogenannten Alternativ-Zahnmedizinischen Bereich routinemäßig angebotenen „Entgiftungsbehandlungen“ auf homöopathischer Basis sind, weil sie keinerlei für eine „Ausleitung“ notwendige pharmakologisch wirksame Substanzen enthalten, über einen möglichen Placebo-Effekt hinaus, völlig wirkungslos. In Anbetracht der Langzeitrisiken von quecksilberhaltigen Zahnfüllungen bei gleichzeitiger Verfügbarkeit anderer Werkstoffe ist eine konsequente Vermeidung der Amalgam-Verarbeitung sinnvoll. Obwohl alternative Werkstoffe und effektive Präventivmaßnahmen längst verfügbar sind, werden im zahnärztlichen Bereich der Europäischen Union immer noch 75 Tonnen Quecksilber verarbeitet.
Zusammenfassung
Die im Bereich der sogenannten Alternativen Zahnmedizin propagiertenVerfahren sind überflüssig. Sei es, weil die eingesetzten Methoden nicht wirksam sind (z.B. homöopathische Quecksilber-Ausleitung), die eingesetzten Verfahren keine relevante Aussagekraft haben (z.B. Prognos-Messgerät bei der Messung von Quecksilber-Belastungen, LTT-Test bei Materialtestungen, Odontom-Projektionen als Diagnoseverfahren bei Allgemeinerkrankungen) oder das Risiko-Nutzen-Verhältnis eine Anwendung bedenklich erscheinen lässt (z.B. DMPS bei Verdacht auf chronischer Quecksilberintoxikation durch Amalgam, Knochenfräsungen bei Verdacht auf Restostitis). Dass sich trotz der Irrelevanz komplementärer Zahnmedizin diese Verfahren etablieren konnten und sich allein in Deutschland mittlerweile drei Fachgesellschaften rund um das Thema gebildet haben, stimmt nachdenklich. Versicherungsmodelle, die sich speziell diesem Markt widmen, sind entstanden, weil es bis dato keinerlei Regulationsmechanismen im Bereich der ärztlichen Fortbildung existieren und sich daher ein enormer Wildwuchs etablieren konnte, der sich langsam und stetig ausbreitet. Paradox mutet die perpetuierende Nachfrage an, der mittlerweile Landeszahnärztekammern nicht widerstehen können und ebenda Kurse mit zweifelhaften Inhalten anbieten, um hier an einem offensichtlich florierenden Markt zu partizipieren. Die Einführung notwendiger Kontroll- und Regulationsmechanismen erscheint daher zwingend notwendig und zum Qualitätserhalt unabdingbar. Die Einführung solcher Mechanismen ist dabei erstaunlich einfach. Ein für die Fortbildungskurse zuständiger Esoterik-Beauftragter kann anhand des Themenkreises sehr schnell entscheiden, ob es sich um wissenschaftlich orientierte Medizin handelt, oder um Glaubensfragen, die einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten. Eine unkontrollierte Fortbildungspraxis wird sich dagegen sehr zum Nachteil auf die zahnmedizinische Versorgungsqualität auswirken.
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