Im Jahr 2009 ging die Schweinegrippe um die Welt, die von einer neuen Variante des Influenza A-Virus H1N1 verursacht wurde. Die Weltgesundheitsorganisation hatte nach besorgniserregenden Krankheitsverläufen in Mexiko und der schnellen Verbreitung des Virus über den Globus damals den Pandemiefall ausgerufen, man wusste anfangs nicht, was auf die Welt zukam. Dass bei der Influenza neue Viren-Subtypen verheerende Auswirkungen haben können, steht außer Zweifel, dazu muss man sich nicht erst die Spanische Grippe Anfang des 20. Jahrhunderts mit mutmaßlich 50 Mio. Todesopfern weltweit in Erinnerung rufen. Schon „normale“ Grippejahre können mit vielen Toten einhergehen. Für die Grippesaison 2016/17 geht das Robert Koch-Institut allein für Deutschland von mehr als 20.000 Sterbefällen aus. Die Grippeimpfung ist also an sich eine sehr sinnvolle Impfung. Bei der Schweinegrippe gibt es allerdings eine Reihe offener Fragen.

Die Schweinegrippe hat sich im Nachhinein als recht harmlos herausgestellt, dafür hatte es einer der speziellen Pandemie-Impfstoffe in sich. Mit dem Ausrufen des Pandemiefalls traten in den Ländern Pandemiepläne in Kraft, einschließlich der Empfehlung zur Impfung mit Impfstoffen, die sehr schnell auf den Markt kamen. Der bekannteste davon war Pandemrix. Er ist nach allem, was man heute weiß, für eine erhebliche Anzahl von Narkolepsiefällen vor allem in Skandinavien verantwortlich. Ärzte haben frühzeitig vor dem Impfstoff gewarnt und hatten Bedenken, was Nebenwirkungen in Zusammenhang mit dem eingesetzten Wirkstoffverstärker AS03 anging.

Nun berichtet der SPIEGEL, dass der Hersteller GSK wohl interne Dokumente über Nebenwirkungen ignoriert hat. Hintergrund ist ein Artikel von Peter Doshi im British Medical Journal. Gerichtsunterlagen belegen, dass dem Hersteller GSK frühzeitig alarmierende Hinweise auf erhebliche Unterschiede in der Häufigkeit von Nebenwirkungen bei Pandemrix und dem nahezu identischen Impfstoff Arepanrix vorlagen, was auf Probleme im Herstellungsprozess bei Pandemrix hindeuten könnte. Aus den Daten wurden, so das BMJ, aber keine Konsequenzen gezogen, die Bevölkerung wurde auch nicht informiert. Es sei, hier übernimmt das BMJ eine Formulierung einer irischen Abgeordneten, eine „avoidable catastrophe“ gewesen, eine vermeidbare Katastrophe.

Wie gesagt, die Grippeimpfung ist an sich eine sehr sinnvolle und potentiell für viele Menschen lebensrettende Impfung und Pandemrix ist auch nicht mehr auf dem Markt. Aber was bleibt von alldem wohl in den Köpfen hängen? Die Pharmaindustrie genießt bekanntlich ohnehin keinen guten Ruf, dazu hat sie sich schon zu viel geleistet und dieser Vorfall wird absehbar Wasser auf den Mühlen der Impfgegner sein. Die Impfaufklärung hat wieder einen Klotz mehr am Bein.

Kommentare (18)

  1. #1 NorbertN
    24. September 2018

    Die Letalität der Grippe Viren wird mit unter 0,1 % angegeben in besonderen Fällen wie die Spanische Grippe wird vielleicht 5 % vermutet.

    Ist es vorstellbar, daß es in Zukunft Viren gibt, die so ansteckend sind wie die Grippe Viren und eine Letalität von mehr als 50 % aufweisen?

    Gab es vielleicht schon in der Vergangenheit diese Situation die zu einem Massensterben geführt hat?

  2. #2 Phero
    25. September 2018

    Ich glaube, so hohe Letalität führt tatsächlich eher zu weniger Todesfällen (wobei es natürlich auf die konkrete Inkubationszeit ankommt) – es sterben einfach zu viele Leute, als dass sich die Grippe gut ausbreiten könnte.

  3. #3 gedankenknick
    25. September 2018

    @Phero #2
    Und was war mit der Beulenpest? Mortalität unbehandelt ca. 40-60%.

    @Problem
    Eine Grippe hat eine ausreichende Inkubationszeit, um eine komplette Durchdringung der Gesellschaft zu erreichen, wenn sie nur ansteckend genug ist (Und nicht Teile der Gesellschaft hermetisch abgeschottet sind). Bei der Schweinegrippe haben wir unheimliches … Schwein gehabt, dass die Mortalität weit hinter den Erwartungen zurück blieb. Im nachhinein zu behaupten, die Impfaktion gegen H1N1 unnütz, ist aus meiner Sicht wohlfeil und zynisch. (Ich habe mich auch impfen lassen damals, und ich hatte eine Nacht lange schweres Fieber mit Schüttelfrost.) Denn genau die selben Leute, die heute gegen diese Impfaktion schimpfen, hätten im anderen Fall (keine Impf-Dramatik aber dafür viel höhere Mortalität) genau das Gegenteil behauptet und die Nebenwirkungen im Nachhinein lachend in Kauf genommen. Aber nun behaupten Hinterher hab ich es ja vorher gewusst! ist peinlich.

    • #4 Joseph Kuhn
      25. September 2018

      @ gedankenknick:

      Für die unbehandelte Beulenpest wird in der Literatur eine “Letalität” von 40-60% angegeben, d.h. jeder zweite Erkrankte stirbt. Die “Letalität” bezeichnet die Sterblichkeit bezogen auf die Erkrankten. Die “Mortalität” bezeichnet üblicherweise die Sterblichkeit bezogen auf die Bevölkerung. Bei einer Mortalität in dieser Größenordnung wäre die Menschheit ausgestorben.

      Beim Bericht des BMJ über Pandemrix geht es nicht darum, dass man die Schweinegrippe ernst genommen hat, solange man es nicht besser wusste, sondern darum, dass man Hinweise auf ungewöhnliche Unterschiede der Nebenwirkungen bei den Impfstoffen nicht ernstgenommen hat, obwohl man es besser hätte wissen können bzw. müssen.

  4. #5 gedankenknick
    25. September 2018

    Zugegeben habe ich Letalität und Mortalität verwechselt. Ein eigentlich dummer Fehler. Jedoch hatte der “Schwarze Tot” 1346-53 eine Mortalität von zwar nicht 50%, aber geschätzt immerhin ca. 33%, zumindest in der Endemieregion Europa.

    Andererseits stand, soweit ich mich korrekt erinnere, Arepanrix in Deutschland gar nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. Die eingekauften Bestände reichten für die Bundesregierung, eine Auswahl (höherer) Beamter und die Bundeswehr. Mehr war nicht geplant, mehr wurde nicht geordert, mehr war auch gar nicht produziert. (Das lag wohl auch am Preis, denn Arepanrix war etwas teurer als Pandemrix, so ich diese 9 Jahre alten Dinge korrekt in meinem Gedächtnis finde.)

    Auch erinnere ich mich mit Freuden an die Listen, die ich über Einkauf, Lagerung und Verbleibt sowie Abrechnung (bei der gKV) von Pandemrix führen dürfte. Ein Wahnsinnsaufwand an Zusatzdokumentationen – übrigends kostenlos (und umsonst). Ich hab diese Unterlagen wohl noch irgendwo rumliegen, da ich sie vorsichtshalber in die langfristig aufzubewahrenden Dokumentationen geheftet hatte. Aus reiner Angst vor Regressen seitens der gKV, warum auch sonst?

    Ansonsten bleibe ich bei meiner Aussage – hätte H1N1 2009 eine Letalität der spanischen Grippe A/H1N1 1918-20 gehabt, hätte es die Menscheit ziemlich schwer erwischen können.

    • #6 Joseph Kuhn
      25. September 2018

      @ gedankenknick:

      “Ein eigentlich dummer Fehler.”

      Naja, so sauber getrennt wird das oft nicht. Und was meinen Sie, was ich schon für Fehler gemacht habe, auch wirklich dumme. Und manche davon mehrmals.

      “eine Mortalität von zwar nicht 50%, aber geschätzt immerhin ca. 33%”

      Bei der Mortalität ist auch der Bezugszeitraum wichtig. Meist wird stillschweigend ein Jahr unterstellt. Wenn ich es recht sehe, bezieht sich die Aussage, dass der Pest ein Drittel bis die Hälfte der europäischen Bevölkerung zum Opfer gefallen ist, auf einen mehrjährigen Zeitraum. Aber ich muss zugeben, mit dem Aussterben der Menschheit habe ich keinerlei Erfahrung, ich selbst lebe bisher auch noch.

      “Arepanrix … Bundeswehr”

      Für die Bundeswehr wurde Celvapan bestellt, ein Ganzkörperimpfstoff ohne Adjuvantien. Aber das ist eine andere Geschichte. Wie im BMJ nachzulesen, gab es die großen Unterschiede bei den Nebenwirkungen ja bei den fast gleichen Impfstoffen Pandemrix und Arepanrix.

      “hätte H1N1 2009 eine Letalität der spanischen Grippe A/H1N1 1918-20 gehabt, hätte es die Menscheit ziemlich schwer erwischen können.”

      Keine Frage. Wenn es schlimmer gekommen wäre, wäre es schlimmer ausgegangen. 😉

      Das Argument, hinterher ist man immer schlauer, greift hier nicht, weil man aufgrund der der gemeldeten Nebenwirkungen vorher hätte schlauer sein können. So etwas beschädigt das Vertrauen in öffentlichen Impfempfehlungen und Aussagen über die Sicherheit von Impfstoffen – und die Impfgegner werden genau damit arbeiten.

  5. #7 Karl Mistelberger
    26. September 2018

    > #6 Joseph Kuhn, 25. September 2018
    > So etwas beschädigt das Vertrauen in öffentlichen Impfempfehlungen und Aussagen über die Sicherheit von Impfstoffen – und die Impfgegner werden genau damit arbeiten.

    Bei den Impfgegnern schwurbelt es so stark, dass dieser vermeidbare Fall vermutlich untergeht:

    https://www.skepticalraptor.com/skepticalraptorblog.php/flu-vaccine-refusal-healthcare-worker-dumbasses/

    https://www.redwineandapplesauce.com/2013/10/28/setting-the-record-straight-dubunking-all-the-flu-vaccine-myths/

    Aus Flu Shots: It’s That Time Again auf Science-Based Medicine

  6. #8 wereatheist
    26. September 2018

    @Joseph Kuhn:

    Bei einer Mortalität in dieser Größenordnung [40-60%] wäre die Menschheit ausgestorben.

    Warum eigentlich? Solang noch genug Manderl und Weiberl übrig sind, und zueinander finden, sollte die Bevölkerung sich irgendwann wieder erholen.
    @NorbertN:

    Die Letalität der Grippe Viren wird mit unter 0,1 % angegeben

    Von wem(Quelle)? Das kommt mir ein bisschen tief gestapelt vor.

  7. #9 NorbertN
    26. September 2018

    Von wem(Quelle)? Das kommt mir ein bisschen tief gestapelt vor.

    z. B. hier

    https://www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag2/infepi/influenza.html

    oder hier

    https://pharmakologie.wordpress.com/tag/grippeviren/

  8. #10 wereatheist
    26. September 2018

    @NorbertN:
    In der ersten Quelle heißt es, bezogen auf die “Schweinegrippe” von 2009, mit Stand August ’09, also noch vor der hiesigen Grippesaison:

    ihre Letalität bewegt sich in den meisten Ländern mit um 0,1-0,2 % im Bereich der saisonalen Grippe

    Wie Du daraus auf unter 0.1% Letalität schließt, ist mir ein Rätsel.
    (deutlich) Unter 1% hätte ich unbesehen geglaubt, BTW.

  9. #11 Joseph Kuhn
    26. September 2018

    @ wereatheist:

    “Solang noch genug Manderl und Weiberl übrig sind, und zueinander finden, sollte die Bevölkerung sich irgendwann wieder erholen.”

    Ja. Das mit dem “ausgestorben” war etwas salopp. Die Mortalität würde möglicherweise mit der Zeit auch sinken, z.B. weil die wenigeren Menschen nicht mehr so intensiv in Kontakt kommen, weil man Gegenmaßnahmen ergreifen würde, weil manche immun werden usw. So einfach ist die Menschheit durch Mikroben vermutlich gar nicht auszurotten.

    “Letalität … 0,1-0,2 %”

    Ich bin kein Experte für Infektionsepidemiologie, aber offensichtlich ist es nicht einfach, für die Influenza einen Letalitätswert anzugeben, z.B. weil sich die pathogenen Eigenschaften der Viren von Saison zu Saison verändern und weil die Zahl der Erkrankten so schlecht zu bestimmen ist (und somit auch das Verhältnis zwischen Erkrankten und Gestorbenen). Sie bringt jedenfalls, da sie so viele Menschen anstecken kann, um Größenklassen mehr Menschen um als Ebola oder Marburg, die eine extrem hohe Letalität haben.

    Das Entscheidende ist, dass die Impfung gegen Influenza in großem Stil Leben retten kann und es daher fatal ist, wenn die Industrie durch solche Vorgänge die Impfmotivation vermindert.

  10. #12 wereatheist
    26. September 2018

    @Joseph Kuhn:

    fatal ist, wenn die Industrie durch solche Vorgänge die Impfmotivation vermindert.

    Noch fataler ist, wenn dergleichen durch intelligente Regeln erschwert/verhindert hätte werden können, dies aber unterblieb.
    Man kann einem Unternehmen nicht vorwerfen, dass es auf seinen Profit schaut.
    Man kann aber dem Staat vorwerfen, dass er die ‘Konsumenten’ zu wenig schützt. Zumindest dem demokratischen Staat (wenn erst das Zensuswahlrecht oder dergleichen eingeführt sind, ist der Staat natürlich nur noch für das Wohl der Oberklassen zuständig).

  11. #13 NorbertN
    27. September 2018

    Ich muß zugeben, daß ich mich wieder einmal zu sehr auf Wikipedia verlassen habe.

    Die Letalität dieser Form des Influenzavirus bleibt unklar, da es keine exakten Daten zur Zahl der Erkrankten gibt; sie wird deutlich höher als 2,5 % vermutet. Andere Influenza-Pandemien wiesen eine Letalität unter 0,1 % auf.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Spanische_Grippe

    Die erste Quelle die ich angegeben habe gibt 0.1 % – 0.2% an.

    Die zweite Quelle die ich angegeben habe, und die sie natürlich unterschlagen haben gibt ca. 0.1% an.

    Aber eigentlich interessiert mich das nicht so sehr, ob 0.1% oder 0.2%. Was ich bestimmt nicht wollte, ist die saisonale Grippe zu verharmlosen!

    Was mich interessiert ist meine Frage, die ich zuallererst gestellt habe:

    Ist es vorstellbar, daß es in Zukunft Viren gibt, die so ansteckend sind wie die Grippe Viren und eine Letalität von mehr als 50 % aufweisen?

    Wahrscheinlich kann aber diese Frage nicht seriös beantwortet werden, weil es spekulativ ist.

  12. #14 uwej
    27. September 2018

    fatal ist, wenn die Industrie durch solche Vorgänge die Impfmotivation vermindert.

    Daß durch solche, wiederkehrenden Vorgänge das Vertrauen in den Impfoptimismus abnimmt, ist nachvollziehbar. Will man wirklich (die nüchternen) Impfskeptiker überzeugen, hilft es nicht, besonders abwegige Argumentationen anzuführen und jeden, der es wagt nachzufragen, in Bausch und Bogen zu beschimpfen; es bedarf vielmehr sachlicher, analytisch faktischer Aufklärung, die auch für bedarfte Leser möglichst wenig Fragen offen läßt.

    • #15 Joseph Kuhn
      27. September 2018

      @ uwej:

      “jeden, der es wagt nachzufragen, in Bausch und Bogen zu beschimpfen”

      Das hilft in der Tat nicht. Wer fragt, um eine Antwort zu bekommen, verdient auch eine Antwort und keine Beschimpfung.

  13. #16 Karl Mistelberger
    30. September 2018

    > #6 Joseph Kuhn, 25. September 2018
    > Keine Frage. Wenn es schlimmer gekommen wäre, wäre es schlimmer ausgegangen.

    Four pandemics have occurred in the past century: 1918, 1957, 1968, and 2009. The 1918 pandemic was the worst of them. But the threat of a future flu pandemic remains. A pandemic flu virus could emerge anywhere and spread globally.

    https://blogs.cdc.gov/publichealthmatters/2018/05/1918-flu/

    • #17 Joseph Kuhn
      30. September 2018

      @ Karl Mistelberger:

      “The 1918 pandemic was the worst of them”

      Siehe Blogbeitrag, erster Absatz. Leseempfehlung: Laura Spinney: “1918. Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte.” München 2018.

  14. #18 Karl Mistelberger
    2. Oktober 2018

    Lessons to be learned

    – Never rely on a single study.

    – Do your research carefully. Read what the study actually said rather than relying on a second-hand report from a possibly biased or ill-informed source.

    – Look for studies that refute the claim, not just ones that confirm it.

    – Make sure you have found the most recent information available.

    – When you find indications of a possible harm, weigh it against the known benefits.

    https://sciencebasedmedicine.org/more-about-flu-vaccine/