In den letzten Tagen haben Meldungen, dass die Cochrane Collaboration eines ihres Gründungsmitglieder, Peter Gøtzsche (Leiter des Nordic Cochrane Centre, Kopenhagen), ausgeschlossen hat, die Medizin-Welt in Unruhe versetzt, Vier weitere Mitglieder des Führungsboards sind daraufhin zurückgetreten. Die Cochrane Collaboration ist so etwas wie der Musterbetrieb der Wissensproduktion in der evidenzbasierten Medizin. Auf Peter Gøtzsche habe ich mich hier im Blog immer wieder einmal bezogen und vor drei Jahren auch auf sein Buch „Deadly Medicines and Organised Crime. How big pharma has corrupted health care“ aufmerksam gemacht. Das Buch ist gewissermaßen die gnadenlose Version von Ben Goldacres „Bad Pharma“. Sein Buch über die Pharmaindustrie „Deadly Pharmacy and Organised Denial“ ist genauso hart.
Ich kenne Peter Gøtzsche nicht persönlich, aber seine Bücher und Artikel sind in der Sache und im Ton gleichermaßen kompromisslos. Das scheint innerhalb der Cochrane Collaboration anlässlich einer Kritik Gøtzsches an einem Review zur HPV-Impfung jetzt zum offenen Streit geführt zu haben. Hinter dieser persönlichen Ebene stehen allerdings auch Veränderungen der Cochrane Collaboration, die sich im Laufe der Jahre von einer kleinen Gruppe engagierter Vertreter (und –innen) der evidenzbasierten Medizin zu einer weltweiten Organisation entwickelt hat. Solche Professionalisierungen bringen häufig Konflikte mit sich zwischen denen, die sich in erster Linie nur der Sache verpflichtet sehen und denen, die auch die Entwicklung der Organisation im Auge haben.
Gerd Antes, Chef des deutschen Cochrane-Ablegers, hat dazu eine persönliche Einschätzung online gestellt. Darin erläutert er die doch ziemlich intransparente Geschichte und zieht folgendes Fazit:
„Das Vorgehen des Boards erscheint angesichts der über 25-jährigen Vorgeschichte, in der Cochrane sich mit Gøtzsche arrangiert hat, unangemessen. Die Entwicklung vor dieser Diskussion und Abstimmung war intransparent und es mangelte an essentieller Information. Dies wird damit begründet, dass in dem laufenden Vorgang das Stiftungsrecht Großbritanniens mit der Charity Commission als Aufsichtsbehörde und anwaltlicher Beratung über allem steht und dadurch Vertraulichkeit eingehalten werden musste. Damit werden vom Board in schädlicher Weise die Vorwürfe bestätigt, dass Cochrane sich von seinen Zielen entfernt und Grundprinzipien wie Transparenz und Integrität auf Leitungsebene aushöhlt.
Der Rücktritt der vier Mitglieder erscheint vor diesem Hintergrund aus meiner persönlichen Sicht heraus nicht nur als gut begründete Kann-Entscheidung, sondern als klares Bekenntnis zu Grundprinzipien von Cochrane und daher geradezu zwingend. Es war vorauszusagen, dass Cochrane durch diese Diskussion, Abstimmung und knappe Mehrheitsentscheidung innerhalb von Cochrane und in der Außenwahrnehmung beschädigt wird.“
Für die Weiterentwicklung von Cochrane Deutschland sieht Gerd Antes zunächst keine Konsequenzen – beruhigend, schließlich konnte erst vor kurzem die institutionelle Förderung für Cochrane Deutschland erreicht werden.
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Zum Weiterlesen:
• Trisha Greenhalgh im BMJ: ”The Cochrane Collaboration—what crisis?”
• Abel Novoa auf NoGracias: ”Greenhalgh is wrong about Cochrane crisis: it´s about science and democracy, not damage control” und “Is Gøtzsche good or bad for science?”
• Niall McCrae im Independent: „Why experts are walking out on a top medical research unit”
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