Wenn wir ein Medikament einsetzen, wollen wir wissen, ob es wirkt, und zwar vor allem, ob es besser wirkt als Placebo. Außerdem natürlich, wie gut es wirkt, bei welchen Personengruppen, in welchem Zeitraum, wie die Nebenwirkungen sind und so weiter. Aber das sei hier einmal vor die Klammer gestellt, denn wenn ein Medikament gar nicht wirkt, ist der Rest auch egal. In der Aufklärung der Patienten darf daher die Information darüber, ob es Evidenz zur Wirksamkeit einer angebotenen oder gewünschten Medikation gibt, nicht fehlen, sonst trägt die Aufklärung nicht viel dazu bei, dass der Patient (oder die Patientin) eine informierte Entscheidung treffen kann.
Auf der Seite der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie“ ist seit 1. Oktober ein Beitrag von Hartmut Schröder online, der eine ganz andere Sicht der Dinge propagiert. Hartmut Schröder unterhält zusammen mit seiner Frau eine therapeutische Praxis „Therapeium“ in Berlin und hat einen Lehrstuhl für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation an der Viadrina in Frankfurt/Oder inne, in Skeptikerkreisen seit Harald Walachs Verteidigung einer Masterarbeit über den sog. Kozyrev-Spiegel als „Hogwarts an der Oder“ bespöttelt.
Hartmut Schröder beginnt mit einer sprachlichen Unterscheidung zwischen „Debatte“ und „Diskussion“:
„Während es in einer Diskussion darum geht, Ansichten und Meinungen auszutauschen sowie eine Übereinstimmung herzustellen, geht es in der Debatte darum, einen vermeintlichen Gegner mit der Macht des Wortes zu schlagen, die eigene Position durchzusetzen und die andere zu vernichten.“
Das darf man wohl guten Gewissens als Privattheorie der Kommunikation bezeichnen. Er braucht diesen Begriff der Diskussion, in der am Ende die Übereinstimmung stehen soll, damit Kritik schon von der Diskursform her kastriert wird. Durchsetzen darf sich keiner, egal wer Recht hat. The show must go on.
Folgerichtig darf man auch dem Patienten (und der –in) nicht sagen, dass Hömopathika nach dem Stand der Wissenschaft nicht wirken. Denn, und jetzt wird es raffiniert: Gerade wenn Homöopathika nur als Placebo wirken, könnte das die Wirkung kosten oder gar in eine Nocebo-Wirkung verkehren:
„Die Aussage „Homöopathie ist ja nur ein Placebo“ ist als Vorwurf gedacht und soll Globuli in den Bereich der Irrationalität und Pseudowissenschaft verbannen. Dabei wird schlicht übersehen, dass der Placebo in gewisser Weise der am besten erforschte Effekt in der Medizin ist und in keinem Heilprozess fehlt. Bei diesem Effekt geht es auch keineswegs nur um Glauben und Erwartung, sondern es geht um die Wirkmächtigkeit von Sprache und Information in einem bestimmten Kontext.“
(…)
Es ist zutiefst unethisch, wenn auf Grund von unterschiedlichen Ideologien in polemisch geführten Debatten kranke Menschen verunsichert werden, ihnen das Vertrauen genommen wird und letztendlich heilende Placebo-Reize in schadende Nocebo-Reize verwandelt werden. Selbst wenn Homöopathie nicht über einen reinen Placeboeffekt hinausgehen würde, so ist sie dennoch für eine patientengerechte Versorgung von großer Bedeutung. Einen Streit darüber zu führen ist nicht zielführend – in einem pauschalen entweder-oder kann der kranke Mensch nur verlieren.“
Selbstverständlich muss man in der Arzt-Patient-Kommunikation sensibel vorgehen und Patientenerwartungen berücksichtigen. Das gehört zu den Grundprinzipien evidenzbasierter Medizin. Aber dass man ihnen nicht die Wahrheit sagen darf, oder gar in der Meta-Diskussion über die Wirksamkeit von Therapien die Homöopathie (genauer: die Homöopathika) nicht mehr als wirkungslos kritisieren darf, ist schon ein starkes Stück. Für jemanden, der „Therapeutische Kommunikation“ lehrt, ganz besonders. Man ersetze einfach einmal probeweise in den letzten beiden Zitaten das Wort „Homöopathie“ durch „Geistheilung“, oder durch „Engeltherapie“, oder durch „wirkungslose Pharmazeutika“. Die Pharmaindustrie könnte sich keinen besseren Fürsprecher wünschen.
Mit der Schröderschen Argumentation ist jedwede Evidenzbasierung dahin. Hauptsache Arzt und Patient verstehen sich gut und gesundheitspolitisch bleibt die Diskussion offen. Wer die Evidenzfrage aus der Arzt-Patient-Kommunikation und aus dem wissenschaftlichen Diskurs über den Nutzen von Medikamenten aussperrt, erweist der sprechenden Medizin und der Behandlungsqualität einen Bärendienst. Das ist nicht, wie Hartmut Schröder suggeriert, „eine Diskussion, die den kranken Menschen in den Mittelpunkt stellt“, sondern eine Diskussion, die allein auf die Rechtfertigung wirkungsloser Mittel abzielt, d.h. Marktsicherungslobbyismus, in Schröders Privattheorie wäre das wohl eine „Debatte“.
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