Beim Dieselthema kämpfen viele Parteien. Nicht alle kämpfen um die Wahrheit und die Medien spielen manchmal mit und manchmal sind sie Spielball.

Wie zu erwarten, ist die kürzlich hier auf Gesundheits-Check angesprochene Methodenkritik von Peter Morfeld Teil des Spiels geworden. Der NDR hat darüber informiert, heute Abend soll noch ein Beitrag in Plusminus kommen. Die Medien laufen einer neuen gefühlten Story schon hinterher wie die Katzen dem toten Fisch. Von der Tagesschau über Focus bis hin zu den diversen Lokalblättern sind alle dabei.

Viel verstanden haben die meisten Journalisten von der Sache vermutlich nicht. Die Tagesschau bemüht dafür den Allroundfachmann Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Der ist zwar Virologe, aber er sagt gern zu allem was, genau wie ich, warum also nicht auch dazu. Da erfährt man dann – „aus WHO-Protokollen (…), die Professor Alexander Kekulé untersucht hat“, die WHO habe schon 1994 festgestellt, Asthmatiker würden erst ab 380 bis 560 Mikrogramm pro Kubikmeter auf NO2 reagieren. Nein, so was! Und was folgt daraus für das Grenzwertthema? Die Frage sparen sich die beiden Journalisten des Tagesschau-Beitrags.

Bei manchen Medienbeiträgen hat man den Eindruck, dass man jetzt einen „Rechenfehler“ des Umweltbundesamtes gegen die Rechenfehler von Dieter Köhler in Stellung bringt. Was wird dabei rauskommen? Beides unglaubwürdig? Jeder suche sich selbst heraus, was er für richtig hält? Glaube nur der Statistik, die Leute Deines Vertrauens gefälscht haben, denn verstehen wirst du sie eh nicht? Wissenschaft kann man vergessen? Doubt is our product, an dieser Strategie von Industrielobbyisten arbeiten manche Medien mit, oft wohl weniger als Lügenpresse denn aus Dummheit. Hanlon‘s Law.

Daher hier noch einmal eine ganz einfach verständliche Einordnung des Morfeld-Papiers: Morfelds Methodenkritik ist diskussionswürdig, aber sie ist weder neu noch sollte sie zu dem Fehlschluss verführen, deswegen gäbe es keine Evidenz zu den Folgen von Luftschadstoffen. Morfeld kritisiert nur die Berechnung der vorzeitigen Sterbefälle, ausdrücklich nicht die der verlorenen Lebensjahre!

Wie kommentierte Dieter Köhler seine Rechenfehler: das ändere an der Gesamtaussage nichts. Die Medien wären gut beraten, sich angesichts des Morfeld-Papiers zu fragen, ob das hier vielleicht erst recht gilt und ob sich an der wissenschaftlichen Evidenz zur Schädlichkeit der Luftschadstoffe wirklich etwas ändert. Aber dazu müsste man ja wenigstens halbwegs verstehen, um was es dabei geht – und das Papier lesen. Wie viele Journalisten haben das wohl getan?

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Zum Wiederlesen: Sterbefälle durch Stickstoffdioxid: Zahlenakrobatik? Weckruf? Beides?

Kommentare (23)

  1. #1 Jens-Uwe Voss
    Müllheim/Baden
    20. Februar 2019

    Morfeld meint (Zitat aus heutigen Pressetexten, z. B. der ARD): “Der Effekt der NO2-Exposition sei in Wahrheit klein, im Jahr 2014 statistisch für die Gesamtbevölkerung betrachtet nur acht Stunden pro Person.”
    Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren ergibt das 640 h oder etwa 1 Monat Verlust an Lebenserwartung.
    Es ist hilfreich, diese Abschätzung der folgenden gegenüberzustellen:
    In Deutschland gab es 2018 etwa 3200 Verkehrstote, die durchschnittlich 46 Jahre alt waren. Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung und einen Zeitraum wiederum von 80 Jahren ergibt das einen durchschnittlichen Verlust an Lebenserwartung von 1,3 Monaten.
    Beide Risiken sind demnach vergleichbar.
    (Wobei die Abschätzung zu NO2 aus hier in der Kürze nicht darlegbaren Gründen eher eine Unterschätzung darstellen dürfte.)

  2. #2 shader
    20. Februar 2019

    Danke Herr Kuhn auch für dieses Spotlight auf eine aktuelle Diskussion. Ich frage mich dabei, wann der nächste March of Science stattfindet. Es wird wohl wieder Zeit, als Mensch der Wissenschaft Haltung gegenüber der Gesellschaft zu zeigen. Leider scheint das wieder notwendig zu sein.

  3. #3 spacefan
    20. Februar 2019

    Dazu der epg: “Wie dreckig sind Euro-5-Diesel? – Stickoxid- und Rußemissionen verhalten sich im Motor gegenläufig. Optimieren Ingenieure den einen Wert, steigt der andere und belastet die Umwelt.”
    Tja, Solarenergie aus dem All abschöpfen und u.a. mit Brennstoffzellen nutzen. Elektromotoren sind einfach herstellbar, Stromer lassen sich völlig dezentral herstellen. Würde gerne meinen vor Ort mit zusammenbauen helfen, lach. Akkuentwicklung wurde 100 Jahre lang bewußt verweigert. Biobots sind Objekte ihrer Einschirrer.

  4. #4 Joseph Kuhn
    20. Februar 2019

    Denn sie wissen nicht, was sie tun:

    Münchner Merkur: “Mathematiker Morfeld denkt jedoch, dass die durchgeführten Berechnungen nicht richtig sind. Seiner Ansicht nach sei die für die Schlussfolgerung genutzte AF-Formel (Attributale Funktion) in diesem Fall nicht anwendbar.”

    Ich vermute, die “attributale Funktion” besteht darin, dass einer gedankenlos vom andern abschreibt. Auch in der “Motorzeitung” wird die “Attributale Funktion” erklärt. Genau wie in der Sächsischen Zeitung, bei ntv oder der Bild-Zeitung.

    Wenigstens haben sie keine brutale Funktion daraus gemacht. Oder von “voreiligen Sterbefällen” geschrieben.

  5. #5 luftikus
    20. Februar 2019

    @JK Vielen Dank für die verständliche Einordnung.

    Herr Morfeld ist schon länger unterwegs mit seiner Kritik an vorzeitigen Todesfällen. Marie-Eve Heroux hat darauf geantwortet:

    Response to ‘‘Quantifying the health impacts of ambient air pollutants: methodological errors must be avoided’’

    https://www.researchgate.net/publication/301646578_Response_to_Quantifying_the_health_impacts_of_ambient_air_pollutants_methodological_errors_must_be_avoided

  6. #6 Thomas
    21. Februar 2019

    In seinem Paper schreibt Herr Morfeld „Eine geeignetere Metrik zur Evaluation der Wirkung von Schadstoffbelastungen in einer Population stellt die durch die Exposition pro Person verlorene Lebenszeit dar (YLL).“
    Besteht hier nicht die Gefahr der Verharmlosung durch Glattbügelung mittels eines Mittelwertes? Wieviele Stunden/Tage/Wochen verlorene Lebenszeit sind tolerabel damit z.B. der Absatz von Dieselmotoren nicht gestört wird? Gäbe es hier einen Schwellenwert, z.B. 2 Tage, ab dem die Alarmsirenen schrillen sollten?

  7. #7 Jens-Uwe Voss
    Müllheim
    21. Februar 2019

    Na ja, dieselbe Frage stellt sich ja bei der Angabe von rechnerischen Todesfällen: Wie viele sind denn tolerabel, bevor die Ursache abgestellt werden sollte? Das ist übrigens generell in der Risikobewertung eine Frage, die nur politisch entschieden werden kann – die Wissenschaft kann dazu “nur” relevanten Input liefern.
    Aber natürlich ist die Angabe von rechnerischen Todesfällen in der Diskussion sehr viel griffiger als ein schwer einzuordnender rechnerischer Verlust an Lebenszeit. Und da wird gefühlsmäßig vermutlich ein Verlust von einem Monat eher als nicht so schlimm empfunden wie eine Anzahl von 6000 Toten pro Jahr.
    Deswegen wird – bei aller Kritik, die übrigens nicht bloß von Morfeld kommt – dennoch gerne mit Todesfällen argumentiert.

  8. #8 shader
    21. Februar 2019

    @Thomas: “Besteht hier nicht die Gefahr der Verharmlosung durch Glattbügelung mittels eines Mittelwertes? Wieviele Stunden/Tage/Wochen verlorene Lebenszeit sind tolerabel damit z.B. der Absatz von Dieselmotoren nicht gestört wird? Gäbe es hier einen Schwellenwert, z.B. 2 Tage, ab dem die Alarmsirenen schrillen sollten?”

    Gute Frage(n). Aber ich denke, dass man durchaus Vergleichsgrößen heranziehen kann, die einem die Relevanz verdeutlicht. Jens-Uwe Voss hat im ersten Beitrag einen Vergleich mit den tödlichen Verkehrsunfällen gebracht.

    Ich habe auch mal gelesen, dass eine Zigarette die Lebenserwartung um 30 Minuten verringert. Klingt ja eigentlich nicht so viel, könnte man meinen. Bei einem Gelegenheitsraucher dürfte das eigentlich nicht viel ausmachen. Aber wenn man es mal durchrechnet, wird es deutlicher. Angenommen jemand raucht 3 Zigaretten am Tag, also rund 1000 im Jahr. Wenn jemand vom 20. bis 60.Lebensjahr diesen Konsum beibehält, sind das 40.000 Zigaretten im Leben. Das sind 20.000 Lebensstunden gleich 2,28 Jahre. Ich weiß jetzt nicht, ob der Wert tatsächlich 30 Minuten waren. Selbst wenn es nur 10 Minuten wären, macht das zusammen immer noch 9 Monate weniger Leben.

  9. #9 Thomas
    21. Februar 2019

    @shader
    Der Vergleich von Jens-Uwe Voss hat mir auch sehr gut gefallen. Aber auch hier haben Relativierer es einfach sich hinter einer kleinen Zahl zu verstecken. Das ganze Elend der Verletzten und für lange Zeit Geschädigten wird doch genau durch einen einfachen Mittelwert weggebügelt. Wie weit das gehen kann konnte man ja an der aufgeflammten Diskussion um das Tempolimit sehen. Kein Vergleich war da zu dumm um ihn nicht doch hinter den Ofen hervorzuzerren.
    Was ist mit eingeschränkter Lebensqualität zum Ende hin? Vielleicht würde ich ja lieber 2 Jahre mit normaler Lebensqualität gehen 5 Lebensjahre Siechtum/Quälerei eintauschen.

  10. #10 Jens-Uwe Voss
    Müllheim
    21. Februar 2019

    Der Verlust an Lebenserwartung wird für einen männlichen Raucher in Deutschland mit 9,4 Jahren angegeben (Ich meine, die Zahl stammt vom DKFZ). Bei einem Anteil von etwa 20 % an Rauchern sind das auf die Gesamtbevölkerung umgerechnet demnach knapp 2 Jahre Verlust an rechnerischer Lebenserwartung.
    Nicht berücksichtigt ist in solchen Abschätzungen, dass Raucher nicht bloß im Mittel eine verkürzte Lebenserwartung haben, sondern im Vergleich zu Nichtrauchern auch prämortal eine längere Zeit des Siechtums durch Krankheiten wie Herzinfarkt, COPD oder Krebs.

  11. #11 Jens-Uwe Voss
    Müllheim
    21. Februar 2019

    *Der Vergleich von Jens-Uwe Voss hat mir auch sehr gut gefallen. Aber auch hier haben Relativierer es einfach sich hinter einer kleinen Zahl zu verstecken.*
    Als ich mit Bekannten darüber diskutierte, ob ein Monat Lebenszeitverlust nun viel oder wenig wäre, kam von einigen spontan die Bemerkung: Wer als Krebspatient durch eine Behandlung einen Monat Lebenszeit gewinnen kann, wird das in aller Regel tun.
    Der Vergleich trifft es nicht so ganz, zeigt aber, dass durchaus ein Bewusstsein dafür besteht, dass man “den einen Monat” durchaus relevant empfindet.

  12. #12 shader
    21. Februar 2019

    Heute kam in Radio eine andere Zahl, die ich persönlich erschreckend hoch finde (passt eigentlich noch besser in den Gigerenzer-Thread). Im letzten Jahr sind in Deutschland 504 Menschen durch Badeunfälle gestorben. Eine Steigerung um 20%. Man vermutet, dass der extrem warme Sommer die Menschen mehr zum Baden brachte. Dabei fällt nur ein kleiner Teil der tödlichen Unfälle auf Schwimmbäder, das meiste passiert in (wilden) Badeseen und am Meer. Ich finde bei der Zahl ist man gar nicht so weit weg von den tödlichen Autounfällen, obwohl man deutlich mehr Stunden im Auto verbringt als im Wasser.

    Warum schreibe ich das? Ich glaube wir Menschen beherrschen Kulturtechniken wie das Rechnen und Wahrscheinlichkeiten herleiten, aber wir unterschätzen große Gefahren und überschätzen kleine Gefahren. Bei einer Nachtcafe-Sendung im SWR wurde auch der Risikoforscher Prof. Ortwin Renn eingeladen. Er wurde zum Schluss gefragt, was eigentlich die größten Lebensrisiken sind und er nannte die Klassiker: Rauchen, Alkohol, fehlende Bewegung, zu viel und ungesundes Essen. Mit alle den Faktoren kann man sein Leben im Schnitt um über 15 Jahre verkürzen. D.h. das sind alles Risiken, auf die wir selbst Einfluss nehmen können.

    Ich finde, dass eine Gesellschaft auch natürlich Menschen vor relevanten Risiken schützen, auf die er weniger Einfluss nehmen kann, wenn man einen festen Wohnort hat und dazu gehören die Luftschadstoffe.

    • #13 Joseph Kuhn
      21. Februar 2019

      @ shader:

      Dass Rauchen, Alkohol, fehlende Bewegung, zu viel und ungesundes Essen das Leben spürbar verkürzen, sind Befunde aus Studien wie denen, die jetzt in Sachen Luftschadstoffen so vehement kritisiert werden. Da muss man aufpassen, sonst schreiben morgen 100 Lungenärzte, dass bei ihnen in der Klinik noch nie jemand wegen schlechtem Essen tot umgefallen ist.

  13. #14 Thomas
    21. Februar 2019

    @shader
    Als ich diese Meldung mit Angabe der Todesfällen gelesen hatte sind bei mir noch keine Warmlampen angegangen. Erst durch Ihren Vergleich mit dem Autofahren bin ich hellhörig geworden. Würde man jetzt diese „Vorzeitigen Todesfälle“ in verlorene Lebenszeit umrechnen, wäre das wieder eine kleine Zahl die ein eventuelles Problem verschleiert. Vielleicht konnten die Opfer nicht richtig Schwimmen oder die Badestellen sind nicht richtig abgesichert. Dagegen könnte man mit organisatorischen Mittel etwas tun, Schwimmkurse, Beschilderung bzw. Absperrungen.
    Mein Bauchgefühl sagt mir das dieses Beispiel irgendwie hinkt und ich das Paper von Morfeld noch nicht wirklich verstanden habe, aber das musste jetzt mal raus.

  14. #15 rudolf
    münchen
    22. Februar 2019

    Hanlon’s Razor zu bemühen, um noch als Überforderung vieles durchgehen zu lassen, ehrt natürlich einerseits, doch andererseits gehen diese Medien dem unterliegenden komplett schamlosen Kampagnen-Sequel der Herren Berbner und Börgers auf den Leim. Deren Pilotfilm einige Wochen zuvor ebenfalls für die ARD mit gutteils derselben Mannschaft vom längst widerlegten Hoax des Marathontages in Oldenburg über stumpf ungeeignete PM10-Massenbetrachtungen am Straßenrand bis zum Narrativ von den Horrorgasherden in heimischen Küchen (das wiederum die taz einst ausgeräumt längst hatte) nach Kräften die facebook-traditionals einschlägiger Desinformation versammelte. Für kurze Einstellungen jeweils nur gegenübergestellt: “die Gegenseite” als nicht auf Augenhöhe, als ertappt und überführt. Und auch im gesamten sequel eben nun nicht ein einziger Punkt seriös ausgebreitet.
    Nicht bei den gefühlt gerechter gleichverteilten acht Stunden für jeden, mit denen sich der Neunjährige trösten kann, der nach Asthmaepisode mit Herzinfarkt in den Rollstuhl gezwungen ist (denn eine Nacht am Wochenende mal aufbleiben holt dessen acht Stunden ja bereits wieder rein), wie mancher mit verdoppeltem Herzinfarktrisiko nach schnellen Anstiegen (NO2) und sonstigem Los.
    Nicht im Kultivieren der Dolchstoßlegenden um das Zündverfahren, den abfälschenden Erzählungen von der Grenzwertfindung…
    Die U-Boot-Truppe operiert kampagnenmäßig – und campaign bezeichnet da (wie manchmal das “theater”) etwas in einigem Krieg. Für bröselnde halbe Fachbereiche, einstürzende Lebenslügen et al. Und mit manchem Regalmeter Presse on their side.

  15. #16 luftikus
    22. Februar 2019

    Die acht Stunden als verkürzte Riskokommunikation

    Nein, es ist nicht der Fehler Morfelds. Weder dass er fälschlicherweise zum Professor geadelt wurde, noch dass BILD und AUTO MOTOR SPORT das NO2-Risiko auf acht Stunden Lebenszeitverlust verkürzen und den Hinweis vergessen, dass die Bezugsgröße ein Jahr ist und dass es sich um die UBA Studie handelt, welche lediglich die Krankheitslast von Herz-Kreislauferkrankungen schätzt.

    Was hängen bleibt: OK, lebe ich eben acht Stunden kürzer, aber dafür den deutschen Diesel opfern?

    Die EEA spricht allerdings von 133.800 YLL, 12.800 vorzeitigen Todesfällen, macht bei 82.7 Mio Einwohnern 14h durchschnittlicher Lebenszeitverlust pro Einwohner pro Jahr assoziiert mit NO2 (der Effekt könnte durch UFPs überschätzt sein). Macht 2,3 min am Tag, die man durch NO2 „schneller“ lebt. Ich fand das Konzept des „schneller Lebens“ eindrücklich. Als Kind sagte man mir, dass meine Haut durch einen Sonnenbrand mehrere Monate vorzeitig altert – das hat mich überzeugt, seitdem creme ich mich ein. Rechnet man mit 10 Monaten Lebenszeitverlust durch Stickoxide plus Feinstaub, verbraucht man für jeden Tag 24h und 14 min Lebenszeit, man altert also täglich 14min schneller.

    Damit wird auch klar, dass man vor dem Sterben alt und krank wird, was bei den “Vorzeitigen Todesfällen” oder YLL nicht abgebildet ist: Krankenhausaufenthalte, vermehrte Medikamenteneinnahme, Lebensqualitätsminderung durch Erkrankung und Fehltage auf Arbeit sind Folge von Luftverschmutzung.

    Wie vergleichen 14 min Lebenszeitverlust täglich mit anderen Risiken? (Achtung Epidemiologen, jetzt bitte weghören, es folgt lediglich eine Metapher!) Der britische Statistiker David Spiegelhalter schlägt die Verwendung von „Microlifes“ zur Risikokommunikation vor, wobei ein Microlife 30min Lebenszeitverlust pro Tag entspricht. Eine Zigarette am Tag entspräche einem halben Microlife, ca 15 min Lebenszeitverlust, also dieselbe Größenordnung wie bei Luftverschmutzung in Deutschland. Grob vereinfacht könnte man sich bei sauberer Luft täglich ein zweites Gläschen Wein gönnen, eine Zigarette, eine halbe Portion rotes Fleisch oder eine Stunde Fernsehen.

    https://www.bmj.com/bmj/section-pdf/187711?path=/bmj/345/7888/Thoughts_For_Today.full.pdf

    Und zu guter Letzt noch die Morfeld – Challenge:

    Wer findet in den Publikationen der IERA eine Veröffentlichung, in der Umweltnoxen SCHÄDLICHER bewertet werden als bei anderen Autoren und zu mehr Forschung über die Effekte von Luftverschmutzung aufgerufen wird? Die Ergebnisse sind sicher nicht gefälscht, erscheinen mir aber etwas selektiv, eine subtile Art des Lobbyismus: Umweltzonen – Quark. Formaldehyd – Kinderfasching. Year of the Air – fake. Dieselmotoremissionen als WHO Karzinogen – Pustekuchen.

    https://technology-infrastructure.evonik.de/sites/siteservices/downloads/ver%C3%B6ffentlichungen_iera_2004-2014_ds_16-10-2014.pdf

  16. #17 Joseph Kuhn
    24. Februar 2019

    Analogien und ihre Untiefen:

    Zur Frage, warum die Wissenschaft so spät im Medienrummel um Köhler hörbar wurde, hat sich jetzt auch Werner Seeger geäußert, Vorstandssprecher des Deutschen Zentrums für Lungenforschung und Ärztlicher Leiter des Universitätsklinikums Gießen. Die schnelle Reaktion auf Medienmeldungen sei keine “Kernkompetenz” der Wissenschaft, sagt er, und man müsse darüber nachdenken, wie man künftig damit umgehe.

    Interessant ist noch ein anderer Punkt seines Interviews: Beim Vergleich der Belastung in der Umwelt mit der durch Zigaretten hatte sich Köhler bekanntlich nicht nur verrechnet, der Vergleich ist auch an sich problematisch, Stichwort “Belastungsmuster”. Werner Seeger veranschaulicht das mit einem eigenen Vergleich:

    “Wiederholte Spitzenbelastungen lassen sich nicht mit Dauerbelastungen gegenrechnen. Um nur ein Beispiel zu nennen, das jedem geläufig ist: Wer mehrmals täglich körperlich trainiert und so Blutdruckspitzen erzielt, fördert die Herzgesundheit. Dagegen schädigt es das Herz, wenn der Blutdruck nur mäßig, aber dauerhaft erhöht ist.”

    Einerseits schlagend, andererseits könnte jetzt der eine oder andere auf die Idee kommen, ob nicht auch eine kurzfristige Spitzenbelastung mit Feinstaub oder NO2 als Trainingseffekt die Gesundheit fördert. Dem ist natürlich nicht so.

  17. #18 rolak
    24. Februar 2019

    Einerseits schlagend, andererseits..

    ..unschlagbar, Joseph, gilt hier für das Argumentative doch dasselbe wie in der IT für Software im allgemeinen, user-interfaces im Besonderen:

    Man kann nichts idiotensicher machen, weil Idioten so erfindungsreich sind

  18. #19 Günter Düsterhus
    Hövelhof
    26. Februar 2019

    Die neoliberale Weltordnung erlaubt keine unabhängige Forschung mehr. Überall beeinflusst Geld die Ergebnisse. Da auch die Politik durch und durch mit Geld verseucht ist, ergibt sich ein maximaler Schaden in der Glaubwürdigkeit aller Wissenschaften. Unsere Gesellschaftsordnung heißt Korruption und unser Zeitalter ist das der Lüge.

    XXX

    [Edit: Rest des Kommentars gelöscht. Bitte beachten Sie die Netiquette. Danke. JK]

  19. #20 luftikus
    26. Februar 2019

    In den USA gelten für den Straßenverkehr 103 Mikrogramm Stickoxide als Jahresgrenzwert, in der EU 40 Mikrogramm. Eine Gefährdung sei allerdings auch hier ausgeschlossen, sagte Herr Köhler, relevant würde eine Belastung erst bei mehreren Größenordnungen darüber.

    Wie erklären sich die Unterschiede USA – EU? – hinkender Versuch einer Analogie:

    Wir stellen uns ein Kinderschwimmbecken vor, in welchem das Wasser frei von Urin bleiben soll.

    Die USA lassen nur Kinder mit Schwimmwindeln ins Wasser, die nicht nur im Trockenen, sondern auch im Nassen dicht sind, d.h. es wird emissionsseitig, an der Quelle reguliert. Wer keine dichte Windel trägt, muss den doppelten Eintritt als Strafe zahlen. Dafür werden die Kinder erst bei deutlicher Gelbfärbung des Wassers des Beckens verwiesen, was dank strenger Emissionskontrolle selten vorkommt. (Die höchste Schadstoffklasse in den USA liegt bei 100 mg/km Stickoxide.)

    In Deutschland werden bei den Kindern im Trockenen der korrekte Windelsitz überprüft, eine spezielle Schwimmwindel ist nicht nötig. Die Windel sollte in „normal use“ getragen werden, zum Hautschutz darf sie jedoch auch ausgezogen werden, sagt der Bademeister. Der kennt übrigens die Schwimmlehrerin persönlich und teilt – wenn man bösen Zungen glaubt – sogar das Bett mit ihr, von daher ist Windelausziehen nach der Eingangskontrolle auch nicht strafbewehrt. Laut WHO Empfehlung werden die Immissionen strenger geprüft: schon bei mittelgradiger Gelbfärbung, werden alle Kinder aus dem Wasser geholt. (In D darf man mit 270 mg/km Stickoxide in hochbelastete Städte einfahren.)

  20. #21 Joseph Kuhn
    27. Februar 2019

    Neues Futter:

    ICCT-Studie von Anenberg et al. mit 13.000 vorzeitigen Sterbefällen durch verkehrsbedingte Luftschadstoffe in Deutschland. Deutschland ist Spitze. Die Autoren kalkulieren außerdem wirtschaftliche Verluste und kommen auf verkehrsbedingte Kosten von 110 Mrd. Dollar in Deutschland. Hinter allem steht natürlich “die Formel”. Ergo? Kind und Bad ausschütten?

    Die ICCT hatte seinerzeit den VW-Skandal ins Rollen gebracht.

    Eine frühere Studie von Susan Anenberg et al. war hier vor zwei Jahren schon einmal Anlass zur Diskussion, auch damals mit Blick auf die “statistischen Toten”.

  21. #22 RPGNo1
    28. Februar 2019

    Oliver Kalkofes Laudatio für Andreas Scheuer
    https://www.youtube.com/watch?v=0XWD1WZUoWY
    😀

  22. #23 luftikus
    13. März 2019

    Sehenswert zum Thema: Die Anstalt vom 12. März 2019

    https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-12-maerz-2019-100.html