Jan Fleischhauer ist einer der seltsamen Typen, die ein Leben lang mit giftigem Zynismus ihre Kindheitstraumata bewältigen. Bei ihm ist es ein sozialdemokratisches Elternhaus. Dass er auch mal mit dem Reiner aus der Nachbarsfamilie spielen sollte, obwohl der nicht mal eine eigene Eisenbahn hatte, hat er bis heute nicht verkraftet. Furchtbar, so was.
Im aktuellen SPIEGEL 10/2019 kommentiert der Jan mit der schweren Kindheit die Medienmeldungen über den Führungsstil des Dirigenten Daniel Barenboim. Das scheint ein harter Hund zu sein, der seine Leute mit Wutausbrüchen einschüchtert. „Klima der Angst“ ist Fleischhauers Artikel überschrieben. Fleischhauers Sympathie gilt solchen harten Hunden. „Mein erster Chef war Werner Funk. Funk hatte in der Branche den Spitznamen Kim Il Funk. Es soll vorgekommen sein, dass Redakteure weinend aus seinem Zimmer liefen“, so der Jan. Er war dabei, im Stahlgewitter, er hat es erlebt, ach was, überlebt. Die Weicheier von heute können sich das gar nicht mehr vorstellen.
Dann folgt die Lehre aus diesem Relotius-Einspieler persönlich verbürgter Authentizität: „Wir haben als Gesellschaft eine Aversion gegen zu viel Leistungsdruck entwickelt“. Dabei zeigen Studien konsistent, dass in der Arbeitswelt Stress und Leistungsdruck zunehmen. Und wenn ich meine Schulzeit mit dem vergleiche, was heute in den Schulen los ist, habe ich auch nicht das Gefühl, dass an der ewigen Klage der kulturpessimistischen Konservativen viel dran ist, die Kuschelpädagogik habe das Regiment übernommen. Dass die Kinder von heute Tyrannen sind, die ihren Eltern widersprechen, mit dem Essen kleckern und ihre Lehrer ärgern, wusste schon Sokrates, warum sollte also der Jan daran zweifeln.
Gut, hart wie Kruppstahl und flink wie Windhunde, das ist im Moment wirklich nicht mehr angesagt und der Jan aus dem sozialdemokratischen Elternhaus ist ja auch ein zivilisierter Mensch: „Ich bin sehr dafür, freundlich mit allen umzugehen. Allerdings ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie man Menschen dazu bringt, Höchstleistungen zu liefern.“
Und damit ist man beim Kern der postsozialdemokratischen Weltanschauung, Fleischhauer hat hier genau den gleichen Geisteswandel wie der lupenreine Hartz-IV-Sozialdemokrat Gerd Schröder hinter sich gebracht: Der Mensch ist von Natur aus faul und braucht Druck. Genauer gesagt, normale Leute brauchen Druck. Führungseliten tragen ein anderes Schicksal. Sie müssen den Druck ausüben, der normale Menschen dazu bringt, Höchstleistungen zu liefern. Auch wenn die mal weinend aus dem Zimmer laufen. Dazu muss man aus einem anderen Holz geschnitzt sein als die normalen Leute – dem harten Holz der harten Kerle, hart wie Kruppstahl. Dabei ist der Jan gar nicht so. Der sieht eher aus, als müsste er mal an die frische Luft.
Jetzt kommt mir mein Kommentar fast auch etwas zynisch vor. Kindheitstrauma? An den kleinen Jan mit seiner Angst um seine Eisenbahn kann ich mich allerdings nicht erinnern.
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