Am 12. April wird im Brandenburgischen Landtag über einen CDU-Antrag* zur Einführung einer Impfpflicht beraten.

Ich hoffe, die CDU in Brandenburg gibt sich bei der Diskussion etwas mehr Mühe als bei ihrem Antrag. Den hätte sie besser noch mal korrekturgelesen. Der Satz „Die Masern zählen nach wie vor zu einer der gefährlichsten Kinderkrankheiten“ ist kein gutes Deutsch. Und der Satz „Die Zielsetzung der WHO, die Masern bis 2010 in Europa auszurotten, wurde deutlich verfehlt“, lässt nicht nur erkennen, dass man den Unterschied zwischen Elimination und Eradikation nicht kennt, sondern auch nicht weiß, dass das WHO-Ziel nach dem Verfehlen 2010 für 2015 neu gefasst und wieder verfehlt wurde, jetzt für 2020 gilt und absehbar erneut verfehlt wird.

Aber ich will mich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten. Der Antrag beginnt mit der absolut richtigen Feststellung:

„Impfungen sind eine äußerst wirksame Präventionsmaßnahme: Wer sich impfen lässt, schützt sich selbst und andere Menschen vor schweren Krankheiten. Trotz zahlreicher Appelle und Kampagnen zur Aufklärung über die Gefahren von Masern, kommt es immer wieder zu Erkrankungen.“

Die Brandenburgische CDU möchte daher in einem ersten Schritt eine Impfpflicht gegen Masern für Kinder in Kindertagesstätten und bei Tagespflegepersonen, die Ausweitung auf weitere Infektionskrankheiten soll geprüft werden, über den Bundesrat soll eine bundesweite Impfpflicht erreicht werden.

Zur Situation bei den Kindern heißt es:

„Eine Masernimpfung wird innerhalb der ersten 24 Monate nach der Geburt eines Kindes empfohlen. Laut Informationen des RKI liegt die Impfquote in Brandenburg für diesen Zeitraum leider nur bei 73,5 %. Damit nimmt Brandenburg hier einen der letzten Plätze im direkten Ländervergleich ein.“

Die 73,5 % beziehen sich auf die zweite Masernimpfung bis zum 24. Lebensmonat für den Geburtsjahrgang 2014. Die CDU hätte auch positiv berichten können: Bei der ersten Masernimpfung sind es 96,8 %, Brandenburg liegt hier vor den meisten anderen Bundesländern. Aber damit würde man den Sinn des eigenen Antrags infrage stellen, ebenso die Behauptung, die Impfaufklärung sei „nicht erfolgreich“.

Dafür zeigen die 96,8 % sehr schön, warum Forderung einer Impfpflicht für Kinder so populär ist: Eltern, die ihre Kinder ohnehin impfen lassen, werden, so hofft man, wenig Widerstand leisten. Für junge Erwachsene, also da, wo es gravierende Impflücken gibt, soll weiter nur beraten werden bzw. das Impfangebot verbessert werden. Eine Impfflicht für das Betreuungspersonal der Kinder ist so wenig vorgesehen wie eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe. Dementsprechend schwammig heißt es im Beschlussantrag:

„Um die Ansteckungsgefahr zu verhindern, bedarf es jedes Jahr einer Rate von mindestens 95% geimpfter Kinder mit zwei Dosen des Masernimpfstoffs in der jeweiligen Bevölkerung. Außerdem sind gezielte Anstrengungen zur Impfung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die in der Vergangenheit Routineimpfungen verpasst haben, dringend notwendig.“

Es bedarf natürlich nicht nur 95 % Durchimpfung bei Kindern – eine Kinderherdenimmunität gibt es schließlich nicht, sondern 95 % Immunität in der Gesamtbevölkerung, also insbesondere der Schließung der Impflücken bei den jungen Erwachsenen. Dass hier Maßnahmen „dringend notwendig“ sind, ist richtig, eine Impfpflicht aber, darauf weist auch die CDU hin, verfassungsrechtlich schwierig. Zudem wäre eine echte Impfpflicht auf landesrechtlicher Basis wohl kaum machbar. Daher also die Fokussierung auf betreute Kinder. Letztlich geht es nämlich dabei nicht um eine Zwangsimpfung, sondern um die Wahl zwischen Betreuung und Impfung:

„Auch wenn die Forderung nach einem Impfschutz als Voraussetzung zur Aufnahme in eine Gemeinschaftseinrichtung der Kinderbetreuung de facto als Zwang verstanden werden kann, ist sie dies im rechtlichen und tatsächlichen Sinne nicht. Der Besuch der vorschulischen Betreuungseinrichtungen erfolgt auf Wunsch der Eltern, es gibt keine gesetzlichen Verpflichtungen hierzu.“

Weiter heißt es im Antrag:

„Eltern, die sich dieser Pflicht nicht unterwerfen wollen, haben die Möglichkeit, ihre Kinder in eigener Verantwortung zu betreuen. Dadurch würde der wirksame Schutz der gesamten Bevölkerung vor Infektionskrankheiten gestärkt, ohne die Gegner einer Schutzimpfung zum Impfen zu zwingen.“

Ob mit einer solchen Regelung wirklich der „Schutz der gesamten Bevölkerung“ gestärkt würde? Nicht dass die Verminderung des Ansteckungsrisikos in Betreuungseinrichtungen kein legitimes Ziel wäre, aber es ist ein anderes Ziel. Und man sollte im Landtag am 12.4. auch die „Nebenwirkungen“ diskutieren. Ob die Regelung wirklich nicht zu mehr Impfgegnern führt? Wird man das beobachten? Ebenso, ob manche Eltern dann ihre Kinder nicht mehr in eine Kita geben, also die vorschulische Förderung schlechter wird.

Die konkreten politischen Initiativen rund um die Impfpflicht zeigen, dass es höchste Zeit ist, sich darüber klar zu werden, was man will, ob Ziele und Maßnahmen zueinander passen und was der Preis der jeweils gewählten Maßnahme ist.

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* Hinweis 12.4.2019:
Der Link führt jetzt zum fraktionsübergreifenden Antrag, der unter der gleichen Dokumentennummer “Drucksache 6/11024” geführt wird. Er ist, so weit ich sehen kann, identisch mit dem ursprünglichen CDU-Antrag.

Kommentare (8)

  1. #1 anderer Michael
    8. April 2019

    Unterschied Eradikation zu Elimination?
    Dieser Unterschied war mir auch nicht klar.
    Vom RKI
    “Von einer Elimination spricht man, wenn eine Erkrankung durch entsprechende Maßnahmen nicht mehr in einer geographisch definierten Region vorkommt bzw. nur noch Einzelfälle aus Gebieten, in denen die Erkrankung noch auftritt, importiert werden. Eine Eradikation ist erreicht, wenn in allen Regionen der Welt die Elimination der Erkrankung gelungen ist. Diese Begriffe werden jedoch teilweise unterschiedlich in der Literatur verwendet”

    HTH ( =kleiner Scherz von mir)

  2. #2 JW
    8. April 2019

    Kleiner Hörtipp dazu. Das heutige Zeitteichen auf WDR5 hat sich der Einführung der Pocken-Impfpflicht im Deutschen Kaiserreich gewidmet.
    Zu finden auch in der WDR-Mediathek.

  3. #3 Wetterwachs
    8. April 2019

    Der von JW ( #2) empfohlene Hörtipp zeigt gegen Ende auch “Nebenwirkungen” einer Impflicht auf und “was der Preis dieser Maßnahme” sein wird (sein kann).

    Eine “Nebenwirkung”, ein Preis der gesetzlichen Verpflichtung zum Masernimpfen könnte z.B. darin bestehen, das Menschen eine Trotzreaktion zeigen: ‘Okay, zur Masernimpfung kann der Staat mich zwingen. Aber über andere Impfungen entscheide ich ganz allein, deswegen unterlasse ich jetzt andere Impfungen wie die gegen Dipftherie und Tetanus, ätsch!’
    In dem Hörtipp wird auch – klingt fast wie eine Alternative zur “Zwangsimpfung” – gefordert, dass das Impfen zu den Menschen kommen soll und nicht die Menschen zum Impfen gehen müssen.

    https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/reichs-impfgesetz-100.html

  4. #4 gedankenknick
    8. April 2019

    @Wetterwachs #3
    Hatten wir alles schon, im Sozialismus. Polio wurde als Schluckimpfung an der Schule durchgeführt. Mitgefangen – mitgehangen. Für die Eltern, deren Kinder da kontraidiziert waren, war es ein echter Kampf, das durchzubringen. Ging aber auch irgendwie, mit viel Schweiß und Stemmkraft.
    Andererseits gab es damals[TM] auch ein ausreichend besetzes Gesundheitsamt mit Amtsärzten und ausreichendem weiteren medizinischen Personal. Auch Reihen-Zahnuntersuchungen fanden an Schulen statt. Fordert aber auch passendes Personal. Und hat immer einen Touch von Zwang. Hat halt alles Vor- und Nachteile.

  5. #5 JW
    8. April 2019

    Danke Wetterwachs für die Erläuterungen zu meinem Post. Da hatte ich heute Morgen auf dem Rastplatz leider keine Zeit zu.
    @Gedankenknick: Schluckimpfung in der Schule, da habe ich Westler noch dunkle Erinnerungen dran. Und Reihenuntersuchungen der Zähne hatten wir auf jeden Fall. Alles keine sozialistische Erfindung 😉

  6. #6 Uli Schoppe
    9. April 2019

    @JW :
    Solche sozialistischen Programme gibt es leider nicht mehr. Abgeschafft, Personal gespart. Der Markt wird es schon richten…

  7. #7 Uli Schoppe
    9. April 2019

    @Oma scnr XD :
    Es ist tatsächlich so das man, wenn man sich entschlossen hat eine Impfung mit Gewalt durchzudrücken man eigentlich gezwungen ist JEDE Impfung die man für sinnvoll hält mit Gewalt durchzudrücken. Eine generelle Impfpflicht ist wirklich kein Spass, da muss man gut drüber nachdenken.

  8. #8 Joseph Kuhn
    12. April 2019

    Update – CDU, SPD und Linke gemeinsam:

    Der Landtag in Brandenburg hat eine Kitaimpfpflicht zunächst für Masern beschlossen. Der fraktionsübergreifende Antrag folgt dem ursprünglichen CDU-Antrag.

    Als Maßnahme, das Ansteckungsrisiko in der Kita zu verringern, kann das sinnvoll sein, in Brandenburg übrigens auch mit mehr bevölkerungsmedizinischem Nutzen als z.B. in den westdeutschen Ländern, weil in Brandenburg die Betreuungsquoten der Kleinkinder deutlich höher sind.

    Eine Evaluation des Erfolgs wäre wünschenswert.

    Noch zwei Stimmen aus dem Landtag, in der SZ zitiert:

    “Der AfD-Abgeordnete Reiner von Raemdonck verwies darauf, dass es in der DDR eine Impfpflicht gegeben habe.” Ob er mit diesem Argument auch den Wiederaufbau der Mauer gefordert hat, ist nicht bekannt.

    Die Fraktionschefin der Grünen “(…) verwies darauf, dass nach Zahlen des(e) RKI in Brandenburg nur 73,5 Prozent der Kleinkinder bis zwei Jahren gegen Masern geimpft sind, während das Landesgesundheitsamt eine Impfquote von 90,6 Prozent nenne.” Im Prinzip wäre es ja gut, bei Entscheidungen vorher die Sachlage zu klären, aber manchmal kommt es wohl nicht so darauf an.

    Drangehäkelt:
    Brandenburg hat eine schöne Zusammenstellung von Gesundheitsdaten. Darunter ist auch eine Tabelle mit den Impfquoten von Kleinkindern. Die MMR-Impfquote der Kinder im Alter von 30-42 Monaten beträgt für die zweite Impfung 90,6 % – der Wert, der die Grünenpolitikerin irritierte. Die Quote ist natürlich höher als bei den Zweijährigen, weil ständig noch Kinder geimpft werden, bis zur Einschulung sind es dann über 95 % (2. Masernimpfung 2016 lt. RKI: 95,2 %).

    Berliner Verwirrungen:
    Mit den Impfquoten ist das aber auch so eine Sache. Die Berliner Morgenpost zitiert den gesundheitspolitischen Sprecher der Linken in Berlin, der für Berlin keinen Impfpflichtbedarf sieht: “Während in Berlin mehr als 97 Prozent der Kinder geimpft sind, seien es in Brandenburg nur 73 Prozent.” Die passende Berliner Vergleichszahl (2. Masernimpfung bis 24 Monate, Geburtsjahrgang 2014) wäre allerdings 79,6 % gewesen.

    Eigene Verwirrung:
    Die Landesregierung in Brandenburg muss jetzt den Landtagsbeschluss umsetzen. Der Auftrag, eine Impfpflicht auch für andere Krankheiten zu prüfen, könnte ein heikler Selbstläufer werden: Da Masern, Mumps und Röteln in der Regel zusammen geimpft werden und ein Einzelimpfstoff gegen Masern gar nicht so einfach zu haben ist, könnte die Landesregierung gezwungen sein, eine Impfpflicht gegen Masern, Mumps und Röteln verordnen.