Der Deutsche Ethikrat hat heute in einer Pressemitteilung die aktuelle Impfpflicht-Debatte kritisiert. Er bemängelt, dass sie an den falschen Punkten ansetze und zu undifferenziert sei. Sie fokussiere zu sehr auf Kinder, obwohl dort die Impfquoten schon recht gut seien, übergehe die Impflücken bei den Erwachsenen sowie die besondere Verantwortung des Gesundheits- und Erziehungspersonals, sie berücksichtige zu wenig die Datenlage, etwa regionale Unterschiede, und man spreche in einer Unschärfe über eine Impfpflicht, die nicht erkennen lasse, wie diese konkret gestaltet werden soll.
Eine erfolgreiche Impfpolitik erfordere stattdessen einen umfassenden Ansatz, der „das ganze Spektrum von Akteuren, Adressaten, Instrumenten und Regelungsebenen auch in ihren Wechselbeziehungen in den Blick nehmen“ müsse. Das sei vor einer Rechtsänderung notwendig.
Völlig richtig. Sich klar zu werden, was man eigentlich will, hat noch nie geschadet. Auch nicht, sich bewusst zu machen, dass es bei der Impfpflicht nicht nur um eine epidemiologische Fragestellung geht. Wer das glaubt, hat nicht verstanden, was der naturalistische Fehlschluss ist, und erst recht nicht, was eine deliberative Demokratie ausmacht. Die Einführung einer Impfpflicht hat rechtliche, praktische, gesellschaftstheoretische und eben auch ethische Aspekte. Welche spezifisch ethischen Überlegungen im Zusammenhang mit einer Impfpflicht zu diskutieren wären, kann man z.B. in einem aktuellen Artikel von Peter Schröder-Bäck und Kyriakos Martakis im Schwerpunktheft Impfen des Bundesgesundheitsblatts nachlesen.
Der Ethikrat kündigt in seiner Pressemitteilung zudem eine Stellungnahme zur Impfpflicht an, die noch vor der parlamentarischen Sommerpause, also vor dem 6. Juli, vorliegen soll. Gesundheitsminister Spahn will allerdings noch schneller sein und schon im Mai einen Vorschlag für eine Impfpflicht machen. Der neue Politikstil setzt auf Blitzkriegstaktik: Fakten schaffen, bevor sich eine Debatte entfaltet. Das Ergebnis solcher Macherallüren ist aber allzu oft Paragrafenmurks. Spahn wäre gut beraten, erst nachzudenken und dann zu handeln, gerade bei gesellschaftspolitisch heiklen Themen.
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