Eine nicht zu Ende gedachte Provokation …
Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat die SPD mit seiner Idee, Firmen wie BMW zu sozialisieren, aus dem Groko-Schlaf geschreckt. Sogar seinen Parteiausschluss fordern manche tapfere Sozialdemokraten.
Man kann darüber streiten, ob Kühnerts Einwurf taktisch klug war, man kann auch darüber streiten, ob er sachlich klug ist und welche Probleme mit einer alternativen Eigentumsform für BMW wirklich zu lösen wären.
Die letzte Frage führt absehbar in Weltanschauungsendlosschleifen. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass es zur bestehenden Wirtschaftsordnung keine Alternativen gibt, oder, wie ich vor kurzem Slavoj Žižek zitiert hatte, dass es „einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“. An positiven Utopien herrscht gerade etwas Mangel.
… immerhin verfassungskonform,
Aber davon einmal abgesehen, ist die Aufregung um einen möglicherweise nicht ganz zu Ende gedachten Satz doch auch kurios. Art. 15 Grundgesetz sieht bekanntlich die Möglichkeit, Produktionsmittel „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu überführen, explizit vor, Art. 14 die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit. Gut, warum BMW nach einer Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit tätig sein sollte, weiß man nicht.
Aber Enteignungen nach Art. 14 kommen immer wieder vor: Wenn Straßen gebaut werden, aber die Grundstückseigner nicht verkaufen wollen, oder ein Dorf wegen Braunkohle abgebaggert werden soll, die Leute aber nicht freiwillig weichen. Das Eigentum eines Dorfbewohners mag man als weniger schützenswert ansehen als das der Quandt-Familie, nur warum noch mal genau? Weil es weniger wert ist?
Während das Grundgesetz bei der Möglichkeit der Enteignung vorsichtig von „können“ spricht, ähnlich z.B. Art. 160 der bayerischen Verfassung, ist Art 39 der hessischen Landesverfassung viel forscher. Dort heißt es apodiktisch: „Jeder Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit – insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht – ist untersagt. Vermögen, das die Gefahr solchen Missbrauchs wirtschaftlicher Freiheiten in sich birgt, ist auf Grund gesetzlicher Bestimmungen in Gemeineigentum zu überführen.“ Ein Verfassungsauftrag, den in Hessen vermutlich niemand ernst nimmt und sicher auch viele gar nicht kennen.
… und gewerkschaftskonform,
Kevin Kühnert kommt nicht aus Hessen. Aber vielleicht ist er IG-Metall-Mitglied? Kaum jemand weiß, dass auch § 2 der Satzung der IG Metall die „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ vorsieht. Ich wusste es jedenfalls vor der Debatte um Kühnerts Äußerungen nicht. Als Verdi-Mitglied habe ich gleich mal die Verdi-Satzung durchgesehen: sie verpflichtet mich nicht dazu, BMW zu enteignen. Wer in Bayern lebt, muss damit schließlich auch vorsichtig sein. Für den BMW-Betriebsrat, vermutlich IG-Metall, ist wegen Kühnerts Äußerungen die SPD nicht mehr wählbar.
… historisch common sense und gut christlich gedacht,
In der Mai-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik ist passenderweise zur Debatte um die Nichtdebattierbarkeit von Alternativen zum Status Quo ein Artikel von Hans-Peter Waldrich mit dem Titel „Demokratie als Sozialismus“. Waldrich zitiert darin Nachkriegspolitiker wie den Mitbegründer der CDU, Jakob Kaiser, für den damals eine sozialistische Wirtschaftsordnung ganz selbstverständlich war. Bis hin zu Adenauer. Viele dachten damals Sozialismus und Demokratie als zusammengehörig. Das Wetterleuchten dieser Überzeugung lesen wir noch in den zitierten Verfassungsstellen. Ob und wie sich daraus menschenfreundliche Perspektiven hätten ergeben können? Man weiß es nicht, der undemokratische real existierende Sozialismus hat solche Perspektiven nachhaltig verschüttet. Harte Kapitalismuskritik gibt es heute, etwas böse formuliert, nur noch vom Papst. „Diese Wirtschaft tötet“, steht in seinem Lehrschreiben Evangelii Gaudium.
… aber heute undenkbar?
Ob Kevin Kühnert katholisch ist? Eher nicht. Ob es ihm geholfen hätte, wenn er den Papst zitiert hätte? Wohl auch nicht. An die Auto-Toten haben wir uns so sehr gewöhnt wie an die Toten im Mittelmeer oder an die Tatsache, dass das untere Einkommensfünftel auch bei uns ein paar Jahre früher stirbt als das obere Einkommensfünftel. Über all das wollen wir lieber nicht nachdenken. An den Reaktionen auf Kevin Kühnerts Äußerungen sieht man ja, was dabei herauskommt.
Aber wenn nicht einmal mehr Jusos darüber nachdenken dürfen, was bleibt dann als Alternative für Deutschland? Nur die Genugtuung, dass eine Provokation wie die Kühnerts nicht reicht? Wie gesagt, an positiven Utopien herrscht gerade etwas Mangel.
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