Die Aufregung unter den SPD-Größen, oder solchen, die gerne welche wären, über Kevin Kühnerts unzeitgemäße Bemerkungen hält an. Im Handelsblatt hat heute Sigmar Gabriel Kühnert als “Bonsai Trump” bezeichnet. “Nur der mediale Effekt und das eigene Ego sind wichtig”, wirft er ihm vor. Ausgerechnet Gabriel.
Gabriel zum Thema selbst: “100 Jahre empirisch gesicherte Erfahrung mit staatlich gelenkten Volkswirtschaften haben gelehrt, dass sie wegen mangelnder Effizienz und Qualität bankrottgehen und zudem auch für die sozialen Verelendung ihrer Beschäftigten sorgen.”
Das klingt wie – ja wie eigentlich? Wie ein SPDler, der aus der Geschichte gelernt hat. Die DDR war schließlich so wenig ein Wohlstandsparadies wie der Rest des Ostblocks. Und man schaue nur nach Nordkorea. Gut, nach China lieber nicht, da ist die Kommandowirtschaft das Traumland vieler unserer Unternehmer, und auch nicht in Länder wie Mali oder Brasilien, da herrscht zwar Kapitalismus, aber so richtig voran geht trotzdem nichts.
Gabriel vertraut darauf, dass niemand über solche Sätze nachdenkt. Die Reflexe sind schneller. Gibt es eigentlich entwickelte Volkswirtschaften, die nicht staatlich gelenkt sind? Sollen nicht Steuern steuern? Arbeitsschutz- und Umweltvorgaben die Wirtschaft lenken? Kennt Gabriel das Stabilitätsgesetz mit dem magischen Viereck nicht? Gabriel kennt es natürlich, er war immerhin mal Wirtschaftsminister. Aber er will unter der Gürtellinie treffen und hält Kühnert genau das vor, was ihm auch die Freunde des zügellosen Geldverdienens in anderen Parteien vorhalten: Kühnert wolle zurück zur Planwirtschaftsbürokratie der DDR. Ich weiß zwar nicht, was Kühnert will und ob er es selbst so genau weiß, aber dass sich Kühnert die DDR zurückwünscht, glaube ich dann doch nicht. Wer mit einem Funken Verstand und Gefühl will das schon. Gabriels 100 Jahre gesicherte Erfahrung: ein Foul unter Parteifreunden, mehr nicht.
Dann erklärt Gabriel, warum Kühnerts angebliche DDR-Nostalgie bei manchen Leuten ankommt. Dazu zählt er die unübersehbaren Probleme der Gegenwart auf, an denen übrigens seine ewig (mit-)regierende SPD nicht ganz unschuldig ist: “Finanzkrise, obszöne Managergehälter einerseits und Altersarmut andererseits, mangelnde soziale Mobilität nach oben und steigende soziale Ungleichheit”, etwas später kommen noch „Mietpreisexplosionen, Bodenspekulation, Klimawandel und auch Altersarmut“ dazu. Da könnte man zum Schluss kommen, dass die Märkte deutlich mehr Regulation brauchen könnten, oder Lenkung. So kann es nicht weitergehen, das fällt von den Schulkindern der Fridays for Future-Bewegung bis zu den irregeleiteten Gesellschaftskritikern von Rechts mittlerweilen vielen auf. Zwischendurch klingt das bei Gabriel auch an, ein bisschen SPD ist bei ihm ja noch da, aber dann vollbringt Gabriel einen Salto mortale, bei dem einem der Atem stockt: Gabriels Artikel mündet allen Ernstes darin, dass er den gerade kritisierten Status Quo mit dem Heiligenschein der SPD-Tradition versieht. Man höre und staune: “Die damaligen Gründer der Arbeiterbewegung und der deutschen Sozialdemokratie hätten allerdings vermutlich das, was nun nach 130 Jahren daraus geworden ist, als genau das bezeichnet, was sie damals erträumt hatten: den Sozialismus.” Wir leben im Sozialismus? Nach 30 Jahren neoliberalen „Reformen“? Das hätte sich nicht einmal Christian Lindner zu sagen getraut.
Kühnert mag mit halbgaren Ideen provoziert haben, bei Gabriel ist dagegen nichts halbgar, diese Gedankenleere kann auch sein gewohnt arroganter Stil nicht mehr verdecken, das ist die mentale Bankrotterklärung eines abhalfterten Alpha-Männchens. Er hätte vielleicht doch mehr Zeit mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht verbringen sollen, dem anderen, aus Trier.
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