Die Telematikinfrastruktur ist eines der großen Projekte des Gesundheitsministers Spahn. Die Gesundheitsdaten sollen frei fließen und alle sollen davon profitieren, ein Versprechen von Milch und Honig im Gesundheitswesen. Wie bei seiner anderen Großbaustelle, der Pflege, bei der er einen spürbaren Stellenzuwachs versprochen hat, geht es aber auch bei der Telematikinfrastruktur nicht so recht voran. Viele Ärzt/innen und Psychotherapeut/innen wollen nicht mitmachen und sind bereit, die gesetzlich festgelegten Honorarabschläge hinzunehmen, die Spahn ihnen künftig zumutet, wenn sie sich nicht in die Telematikinfrastruktur integrieren lassen wollen.

Sie wollen nicht, weil es hinten und vorne technische Probleme gibt und auch die Datenschutzfragen nicht wirklich geklärt sind. Spahn argumentiert dagegen mit dem erheblichen Nutzen für die Patient/innen. Die hätten aber in der Startphase – weil es eben hinten und vorne technische Probleme gibt – nicht flexibel entscheiden können, wer welche ihrer Daten in der elektronischen Patientenakte sehen darf. Da hätte dann der Orthopäde, der sich die Aufnahme des Radiologen ansehen will, womöglich auch die Diagnose des Psychiaters oder die letzte Syphilis-Behandlung gesehen. Vorerst hätte es für die Patient/innen bei der elektronische Patientenakte nur die Möglichkeit „alles oder nichts“ gegeben. Dagegen hat nun, wie das Ärzteblatt schreibt, das Bundesjustizministerium Einspruch erhoben. Die elektronische Patientenakte kommt jetzt erst mal nicht, aber die angedrohten Honorarabschläge sollen bleiben. Warum noch mal? Weil die Beschaffung eines Konnektors für die Telematikinfrastruktur, auch wenn sie vorläufig zu nichts nutze ist, zum gesundheitspolitischen Gesslerhut geworden ist?

Mitunter kann man den Eindruck gewinnen, die Telematikinfrastruktur könnte Spahns Mautdesaster werden. Aber vielleicht hat er ja mehr Glück als Scheuer und ist Verteidigungsminister, bevor ihm die Sache um die Ohren fliegt. Dann braucht jemand anders den Helm im Gesundheitsministerium.

Kommentare (12)

  1. #1 fangirl
    6. Juli 2019

    “Weil die Beschaffung eines Konnektors für die Telematikinfrastruktur, auch wenn sie vorläufig zu nichts nutze ist, zum gesundheitspolitischen Gesslerhut geworden ist?”

    Einfach mal im Saarland nachschauen, wie man sowas macht. Dort wurde vor Jahren von der KV ein funktionierendes System zur Abrechnung über ein VPN (in Software) durch das Safenet ersetzt, welches die gleiche Funktion in Hardware bereitstellt (und bei dessen Einführung auch klar war, dass das Ganze nicht im Ansatz zur geplanten Patientenakte kompatibel ist, iirc hat NRW oder Bayern damals den Braten gerochen, und sich nicht daran beteiligt). Aber die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte haben es widerstandslos und völlig unkritisch hingenommen.

  2. #2 Dirk
    Hamm
    6. Juli 2019

    Für die ungebildeten (wie ich) unter uns: What the hell ist ein Gesslerhut?

  3. #3 Dirk
    Hamm
    6. Juli 2019

    “(wie mich)” natürlich, ungebildet halt

  4. #4 PDP10
    6. Juli 2019

    @Dirk:

    What the hell ist ein Gesslerhut?

    https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Tell_(Schiller)

    Zitat aus der Zusammenfassung des Stücks:
    “Der Hut des Vogtes Hermann Gessler wird auf die Stange gesteckt, den alle wie den Landvogt ehren sollen.”

    Die Leute sollen also, wenn sie an einem Hut als Symbol der Obrigkeit vorbeigehen grüßen um der Selbigen die ihr angeblich zustehende Ehre zu erweisen …

  5. #5 PDP10
    6. Juli 2019

    Da hätte dann der Orthopäde, der sich die Aufnahme des Radiologen ansehen will, womöglich auch die Diagnose des Psychiaters oder die letzte Syphilis-Behandlung gesehen.

    Was IMHO nicht wirklich das Kernproblem wäre.

    Gut möglich, dass der Orthopäde genau diese Information braucht um zu sehen, dass das Problem mit dem der Patient / die Patientin zu ihm oder ihr kommt gerade kein orthopädisches Problem ist. (Ausserdem unterliegt auch die Orthopädin der ärztlichen Schweigepflicht? Soweit ich das verstanden habe?)

    Die Probleme fangen da an, wo der Patient nicht mehr darüber bestimmen kann, wer welche Daten sehen kann. Vor allem wer ausserhalb des Gesundheitssystems solche Daten sehen darf.

    @fangirl hat das ja schon angesprochen.

    Für die Datensicherheit gäbe es einfache, sogar als OpenSource verfügbare Lösungen, die sich schon seit Jahrzehnten bewährt haben.
    Das Ganze ist kein technisches Problem. Die entsprechende Technologie existiert, wie geschrieben schon “ewig” (in IT-Jahren) und ist sicher und sofort einsatzfähig.

    Das ist vor allem ein Prozess-Problem: Wie wird der Zugriff auf Daten geregelt, wo werden die gespeichert, wie einfach und komfortabel ist die Hoheit der Patienten über ihre Daten und wie einfach der Zugriff der Ärzte auf die Daten die sie brauchen etc. pp. usw. usf.
    Man hätte einfach die Anforderungen formulieren können in einem Konsens-Prozess aller Beteiligten Institutionen – inklusive der Patientenvertretungen! – und dann mal gucken was es schon gibt an Komponenten, die man einfach zusammenbauen muss. Wie gesagt: Privatsphäre? Verschlüsselung? Datensicherheit auch bei der Übertragung der Daten? Gibbet allet schon.

    Stattdessen wird einfach erstmal ein Software Entwicklungsprozess angestoßen in den sich dann natürlich alle kleinen Provinz-Fürsten einmischen, die auch mal was zu sagen haben wollen. Vertreter der KV, der Ärzte, der Patienten, die Datenschutzbeauftragten (die tatsächlich die sind, die da am meisten zu beizutragen hätten) etc. pp.

    Mich erinnert das mit Schauern an das FISCUS Desaster.

    BTW: Man glaube übrigens jetzt bitte nicht, dass sowas nur dann so schrecklich schief geht, wenn “der Staat” so ein Projekt durchführt.
    Ich habe in den letzten über zwanzig Jahren als externer IT-Berater sowohl für grosse Behörden (die Rentenversicherung zB.) als auch für große Dax-Unternehmen gearbeitet. Die Art wie solche großen Projekte in die Grütze gehen ist immer überall dieselbe.

    Disclaimer: Ich würde niemals ernsthaft behaupten, dass ich da ein definitives Rezept gegen hätte. Die Bücher aus der Management-Literatur wie man solche Projekte nicht gegen die Wand fährt füllen mit Sicherheit inzwischen eine kleine Bibliothek. Aber entweder liest die keiner oder was da drin steht, ist auch nicht so das gelbe vom Ei …

    • #6 Joseph Kuhn
      6. Juli 2019

      @ PDP10:

      “Gibbet allet schon”

      Naja, ich verstehe von den technischen Dingen der Telematikinfrastruktur nicht viel, aber ich glaube, so einfach ist es nicht, siehe das Interview von Martin Tschirsich im Ärzteblatt vom Januar, auch den Link zu den CCC-Vorträgen ganz unten. In den Entwicklungsprozess haben sich auch keine “kleinen Provinz-Fürsten” eingemischt, die wurden erst jetzt nervös, als die Sache richtig Fahrt aufnahm.

  6. #7 Uli Schoppe
    7. Juli 2019

    Dat is alles tinnef. Das führt nur dazu das sich mein Chef demnächst meine Krankenakte über halbseidene Dienste aus dem Internet besorgt.

    • #8 Joseph Kuhn
      7. Juli 2019

      @ Uli Schoppe:

      Gegenüber der ursprünglichen, “altmodischen” Planung, bei der die Daten nur auf Endgeräten beim Ärzte einsehbar gewesen wären, wollte Spahn von Anfang an den Zugriff über Smartphones. Aber so wie kein Arbeitgeber nach einer Krankschreibung nach der Diagnose fragt, wird gewiss auch keiner darum bitten, mal einen Blick in die elektronische Patientenakte werfen zu dürfen, wo man doch so ein vertrauensvolles Verhältnis hat, oder um das zu wahren. Und schon gar nicht werden halbseidene Dienste den heimlichen Zugriff anbieten. Die Daten sind sicher, und falls nicht, mag man sich mit Spahn weisen Worten trösten: “Datenschutz ist etwas für Gesunde”.

      Was die immer wieder angeführte Nutzung von Gesundheitsdaten aus dem Abrechnungsgeschehen für die Forschung angeht, kann man seit Jahren das Desaster beim Datenzugang nach § 303 a-e SGB V (“Datentransparenz”) bewundern. Über diese Regelung sind – im Prinzip – die anonymisierten Morbi-RSA-Daten (u.a. kassenartenübergreifende Diagnosedaten) für die Forschung und die Gesundheitsberichterstattung verfügbar. Der Datenzugang ist aber ein bürokratisches Monster. Das will Spahn auch reformieren. Ich hoffe, er kriegt wenigstens das hin.

  7. #9 PDP10
    8. Juli 2019

    @Joseph Kuhn:

    Aber so wie kein Arbeitgeber nach einer Krankschreibung nach der Diagnose fragt, wird gewiss auch keiner darum bitten, mal einen Blick in die elektronische Patientenakte werfen zu dürfen, wo man doch so ein vertrauensvolles Verhältnis hat, oder um das zu wahren.

    *hust* … du solltest Sarkasmus als solchen kennzeichnen, sonst verstehen das manche Leute nicht.

    Um nochmal auf meinen Post von oben zurück zu kommen:

    Ich behaupte an keiner Stelle, dass das einfach ist.

    Aber die Technologien um die Gesundheitsdaten von Patienten zu schützen und dafür zu sorgen, dass nur der / die betreffende Patient / in bestimmen kann wer sie sehen darf existieren.

    Verschlüsselung, verschlüsselte Datenübertragung, Zertifikate für die Verschlüsselung die nur in der Hand des/der Patient/in ist etc. pp.

    Die Frage ist, wie man das ganze so in Prozesse gießt, dass das für alle Beteiligten minimalen Aufwand bei maximaler Sicherheit bedeutet.

    Wenn die Schlüssel zu den vorhanden Daten zB nur in der Hand des einzelnen Patienten liegt, kann man die auch in einer Cloud speichern, ohne dass jemand unbefugten Zugriff darauf hat. Ganz schlicht und blöd, weil niemand die entschlüsseln kann … ausser unter Mitwirkung des betreffenden Patienten. etc.

    Nochmal: Das alles ist kein technisches IT-Problem.

    Wieso da ein so großes Gewese um unbefugte Datenzugriffe gemacht wird erschließt sich mir nicht.

    Ausser man will gar nicht, dass da nur der Patient die Hoheit über den Zugriff hat …

    Die Gründe dafür wären mal interessant.

    Es gibt ja heutzutage genug Idioten, die ihre Gesundheitsdaten, die in ihrem Smartphone gespeichert sind, ihren Versicherern zu Verfügung stellen um Dreieurofünfzig bei den Beiträgen zu sparen …

    • #10 Joseph Kuhn
      8. Juli 2019

      @ PDP10:

      Es mag ja sein, dass “eigentlich” die technischen Lösungen für einen sicheren Betrieb da sind. Aber in der Realität sieht es mit dem System nicht gut aus. Nicht nur, dasss IT-Fachleute wie Martin Tschirsich alle möglichen subtileren Sicherheitsprobleme finden, vor allem berichten Therapeut/innen, bei denen inzwischen der Konnektor installiert wurde, Abenteuerliches. Es gibt Störungen im Verbindungsaufbau mit notwendigem Neustart des Konnektors, falsche Parallelschaltungen mit kostenpflichtiger Uminstallation, Lahmlegen der Firewall oder Voice over IP-Telefonie durch falsche Installation usw. (exemplarisch: https://freie-aerzteschaft.de/pressemitteilung-vom-21-05-2019-2/).

      Es ist ein wenig wie in der Medizin: Es reicht nicht, wenn ein Behandlungsverfahren eine gute efficacy aufweist, es muss auch im Versorgungsalltag eine gute effectiveness zeigen.

  8. #11 Uli Schoppe
    8. Juli 2019

    @Joseph: Unter dem bürojratischen Monster kann ich mir jetzt so gar nichts vorstellen.

    Deine sarkastische Einlage kann ich ja verstehen, ich finde es als Vorarbeiter aber ganz gut das ich bei einigen Mitarbeitern die nicht mehr so ganz nagelneu sind (also so wie ich 😉 ) praktisch die Krankenakte auswendig kenne. Da kann man schon dafür sorgen das die Arbeit passender verteilt wird. Und ich hab da einen echten Spezialisten, (ist von allein gekommen, geht auch von allein wieder und so…) den muss man ab und an mal zu seiner Arztin prügeln. Das geht aber von mir aus nicht weiter, meinen Chef geht das definitiv nichts an.

  9. #12 Joseph Kuhn
    8. Juli 2019

    @ Uli Schoppe:

    “Unter dem bürojratischen Monster kann ich mir jetzt so gar nichts vorstellen”

    Das Antragsverfahren ist ziemlich kompliziert und langwierig, mehr wollte ich damit nicht sagen.