Die Moderne steht unter dem Zeichen von Aufklärung, Rationalität und technischem wie sozialem Fortschritt. Wir glauben heute nicht mehr daran, dass übersinnliche Mächte unser Schicksal lenken. Genauer gesagt, der gesellschaftliche Mainstream hat sich von diesem Glauben verabschiedet. Selbst die christlichen Kirchen haben – weitgehend – ihren Frieden damit gemacht, dass die Menschen selbst über ihr Leben entscheiden wollen. Die Kirchen haben sich damit lange schwergetan, die Katholische Kirche sogar bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil Anfang der 1960er Jahre.
Max Weber, einer der großen Soziologen des letzten Jahrhunderts, hat diesen Prozess als „Entzauberung der Welt“ beschrieben. In seinem Aufsatz „Wissenschaft als Beruf“ aus dem Jahr 1917 heißt es:
„Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das.“
Wer hier regelmäßig mitliest, ahnt, worauf ich jetzt hinauswill. Das „wir“ im zweiten Satz oben hat natürlich seine gallischen Dörfer. Wie jeder Mainstream gebiert auch die Entzauberung der Welt ihre Gegenströmungen und oft setzen sie an richtigen Kritikpunkten an. Max Horkheimer und Theodor Adorno, die Stammväter der „Kritischen Theorie“, haben zu Recht blinde Einseitigkeiten des Rationalisierungsprozesses kritisiert. In ihrem berühmten Buch „Die Dialektik der Aufklärung“ beschreiben sie, wie eine gedankenlose „instrumentelle Vernunft“ die Selbstermächtigung des Menschen in den Abgrund führt. Sie haben diese Überlegungen angesichts des Nationalsozialismus und seines pseudowissenschaftlichen Naturalismus geschrieben und dagegen die Forderung zur Reflexion gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse gesetzt. Mit seinem Konzept der „reflexiven Modernisierung“ hat Ulrich Beck später diese Perspektive weitergeführt. Der rote Faden dabei ist, dass man den Fehlentwicklungen der Moderne nicht dadurch begegnet, dass man rückwärts in eine vermeintlich heile Welt geht, sondern die Zukunft mit mehr Umsicht und vor allem nicht allein anhand des technisch Machbaren gestaltet.
Wir beobachten gegenwärtig angesichts eines verbreiteten Unbehagens an der gesellschaftlichen Entwicklung viele Rückwärtsbewegungen. Eine davon ist die explizite Wiederverzauberung der Welt. Seit den 1970er Jahren haben irrationale alternativmedizinische Strömungen wie die anthroposophische Medizin oder die Homöopathie Aufwind. Sie richten sich, einen Schritt der Zeitdiagnose der Kritischen Theorie folgend, gegen die menschenfeindliche Kehrseite einer unreflektierten instrumentellen Vernunft in der Medizin, gegen den Paternalismus der „Halbgötter in Weiß“, gegen die Dominanz der Apparatemedizin, gegen den Mangel an sprechender Medizin, gegen den Verlust an Mitgefühl und Lebensnähe in der Medizin, wie sie lange für die hausärztliche Versorgung kennzeichnend war und vielfach auch noch ist. Dagegen setzen sie aber nicht die von der Kritischen Theorie geforderte Reflexivität, sondern sie greifen wieder zu „magischen Mitteln […], um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten“, wie es Max Weber ausgedrückt hat.
Diese Wiederverzauberung der Welt ist aber keine zukunftsfähige Perspektive. Sie führt zwangsläufig durch die Suspendierung der Vernunft, der reflexiven Urteilskraft, in den Dogmatismus. Aus Kritik an den Fehlentwicklungen der Medizin wird auf diese Weise unkritische Gläubigkeit gegenüber der Alternativmedizin. Die Dialektik der Aufklärung wird undialektisch auf dem Wege einer romantischen Sehnsucht nach der heilen Welt im Gestern im Rückgriff auf magische Kräfte gesucht. Die so wiederverzauberte Welt ist ein Trugbild, das immer gegen die Vernunft verteidigt werden muss, und sei es paradoxerweise mit den Mitteln der Moderne, mit scheinbar wissenschaftlichen Methoden, also auf pseudowissenschaftlichem Wege.
Ein Trugbild kann aber immer nur trügerische Sicherheit geben. Zukunft sieht anders aus.
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