Der Aufbau der Telematikinfrastruktur in Deutschland, ein Projekt in der gleichen Umsetzungseffizienzklasse wie der Berliner Flughafen, macht wieder einmal mit einer schrägen Sicherheitslücke auf sich aufmerksam. Man fragt sich inzwischen, ob das vielleicht Teil einer raffinierten Marketingstrategie ist, desaster marketing, oder so was. Diesmal geht es darum, dass der elektronische Arztausweis auch an Käsetheken hätte geliefert werden können. Es hätte nur eine Käseverkäuferin den Antrag stellen müssen. Die Auslieferung der Ausweise ist jetzt erst einmal gestoppt.

Die Bundestags-Petition der Gruppe „Gesundheitsdaten in Gefahr“, auf die hier schon im Oktober einmal hingewiesen wurde, ist übrigens inzwischen online mitzeichenbar. Die Zahl der Online-Mitzeichner ist zwar überschaubar, aber auf Papier sind bereits über 40.000 Unterschriften gesammelt worden, die mitzählen.

Kommentare (5)

  1. #1 gedankenknick
    28. Dezember 2019

    Hier der Bericht des CCC: https://www.ccc.de/de/updates/2019/neue-schwachstellen-gesundheitsnetzwerk

    Dazu kommt aber noch, dass die Arztpraxen (und Apotheken und alle anderen, die dann “mitspielen” sollen) für den korrekten Anschluss und Betrieb der Technik selbst verantwortlich sind und gemacht werden. Also ich fasse das mal so zusammen:
    – Der Leistungsanbieter wird gesetzlich gezwungen, an dieser Infrastruktur teilzunehmen.
    – Der Leistungserbringer muss die dazu fragliche (lizensierte) Technik total überteuert KAUFEN oder mieten – ein Mietmodell hab ich bisher noch nicht gesehen.
    – Der Leistungserbringer muss weiterhin Beiträge bezahlen, um die Gegenstelle seiner (Zwangs-)Technik zwangsweise nutzen zu “dürfen”.
    – Der Leistungserbringer bezahlt (meistens) zusätzlich einen Techniker, um das ganze Gefrickel anschließen zu lassen, da er selbst dazu zumeist gar nicht in der Lage ist (und sein will).
    – Passiert ein “Missgeschick”, ist der Leistungserbringer allein in der Schuld – und in der Pflicht, die Mängel gemäß DSGVO “abzustellen”, was er gar nicht kann, da die Mängel ja außerhalb seines Einflussbereichs und seiner Sachkompetenz passiert sind, und er dafür auch noch Geld bezahlt hat, und per Gesetz zum Nutzen dieser Mängel VERPFLICHTET ist. *facepalm*

    Klar machen da alle wie wahnsinnig freiwillig mit. *zweihand-facepalm*

    Zu dem Kosten. Für Apotheken gibt es derzeit EINEN Anbieter für eine zugelassene Telematik-Connect-Box -> CMG. Die Box wird zum Kauf angeboten für ca. 3.000 € “Vorzugspreis” (derzeit). Der “Zuschuss” der GKV sieht sa. 1.750€ für die Anschaffung vor. (Nebenbei, die Technik in dem Gerät dürfte einen Marktwert von vielleicht 200€ haben, die Herstellungskosten dürften sich auf <20€ belaufen.) Und jetzt kommt der Witz: In der Box ist ROM-seitig ein Zertifikat "verbaut", welches in 5 Jahren abläuft. Da der ROM nicht flashbar und nicht austauschbar ist, darf man sich dann also in spätestens 5 Jahren eine neue Box kaufen, dann allerdings ohne die "Erstausrüstungsunterstützung" seitens der GKV. Ansonsten darf man (per Gesetz) nicht mehr "mitspielen".

    Übrigends holländische Käse-Versand-theken mit schweizer Käse-Aktien-Besitzern und saudischem Käsegeld zum Verbrennen dürfen sich dann solche Ausweise ohne jeden Nachsweis bestellen, sonst wäre das eine ungerechtfertigte Benachteiligung im "freien Warenverkehr" der EU.

    Wann, verdammt und zugenäht, darf ich mich eigentlich endlich in Frankreich gesetzlich gesundheitsversichern? Ach, ich vergaß, ich verwechsel mal wieder Leerdammer mit Cammenbert…

  2. #2 gedankenknick
    28. Dezember 2019

    Ach ja, dies gehört natürlich irgendwie schon dazu:
    Auch wenn derzeit geschätzt 90% der Arztpraxen nicht richtig (im Sinne von korrekt), aber dafür unter Strafandrohung zwangsweise ans System angeschlossen sind, sieht sich das Gesundheitsministerium dafür nicht verantwortlich:
    https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/patientendaten-105~_origin-5bee46e9-6de3-4e57-b753-5e94ed264d5d.html

    Wer hatte gleich den Zwang dazu ins Gesetz geschrieben? Und wer hatte gleich die Strafen von 1% des “Umsatzes” und bei weiterer Verweigerung von 2,5% des “Umsatzes” ins Gesetz geschrieben? Moment…. ach nein, das Gesundheitsministerium kann das alles nicht gewesen sein. Naja, läuft halt unter “ist halt so”.

  3. #3 gedankenknick
    30. Dezember 2019

    Ich find es lustig – nebenan beim Tempolimit sind es bereits 37 Diskussionsbeiträge. Dabei ist (m)eine Lösung so einfach:
    1) Autobahnfahrten so weit es geht meiden.
    2) Im fließenden Verkehr mitschwimmen, dabei die 3. Spur so weit als möglich meiden.
    Mit den beiden Regeln komm ich kaum über 130km/h. Fertig.

    Analog hierzu… ach nee, wie sind ja voll digital jetzt… also digital hierzu mein Tip um gut mit der e-Patientenakte klar zu kommen:
    1) Den Einsatz der eGK und somit die e-Patientenakte soweit als möglich meiden.
    2) Wenn man die eGK und damit die e-Patientenakte nutzen muss, tunlichst Erkrankungen vermeiden, die später “Kollateralschäden” verursachen könnten. Also Geschlechtskrankheiten, HIV, HPV, Krebserkrankungen bloß nicht behandeln lassen, das macht sich später schlecht bei neuen Versicherungsabschlüssen und auch bei ehelichen Kriesen…

    Übrigends, Heilpraktiker brauchen keine Einträge in die e-Patientenakte vornehmen. Schon lustig, wie die Regierung auf diese Weise mal wieder unbewußt und ungewollt eine Lenkung der Massen durchführt – in eine wirklich spannende Richtung. “Gut gemeint” ist eben selten “gut gemacht”.

    Hach ja, wir haben echt Probleme. Dafür ist das Führen von Messern außerhalb geschlossener Privaträume mit einer Klingenlänge von >4cm jetzt verboten. Gute Nachricht für Ärzte, die meisten Skalpell-Klingenformen fallen nicht darunter, ein Notarzt darf also ein Skalpell noch dabei haben. Aber auch Äxte und Beile fallen nicht darunter (wohl aber das Cuttermesser des Hausmeisters, das Fahrtenmesser bei den Pfadfindern oder das Fischmesser bei den Anglern), also könnte der Notarzt demnächst den Luftröhrenschnitt praktischer Weise mit einer Axt machen. Denn telemedizinisch darf man das dann nicht mehr selber durchführen, da man ja als Laie kein passendes Messer mehr führen darf…

    Digital first! Denken second! *facepalm*

    Ich wünsche allen Lesern (und Blogschreibern) hier einen guten Rutsch und viel Gesundheit im Jahr 2020 – auf dass niemand die e-Patientenakte benutzen muss…

    • #4 Joseph Kuhn
      30. Dezember 2019

      @ gedankenknick:

      “Digital first! Denken second!”

      Dazu ein aufschlussreicher Befund: Die Ergebnisse von Arzneimittelstudien werden nur selten in der Datenbank EUdraCT dokumentiert, obwohl es Pflicht ist: https://www.sueddeutsche.de/wissen/medizinische-forschung-vergessene-studien-1.4737316. Die Dokumentation der Studien wäre unmittelbar relevant für die Frage, welche Therapien nutzen. Bei der Telematikinfrastruktur geht es derzeit noch um ein Versprechen für die Zukunft.

  4. #5 gedankenknick
    30. Dezember 2019

    “Bei der Telematikinfrastruktur geht es derzeit noch um ein Versprechen für die Zukunft.”

    Das Problem ist, dass dieses “Versprechen für die Zunkunft” (z.B. die Evidenz der Therapien besser untersuchen zu können, z.B. die Arzneimitteltherapie des einzelen Patienten verbessern zu können, et.) auf einem “Versprechen der Gegenwart” (die Datensicherheit zu gewährleisten) beruht.

    Dieses “Versprechen der Gegenwart” ist jedoch jetzt schon – schon VOR dem kompletten Start des Systems – kompromittiert. Damit setzt man das GESAMTE Patienten-Arzt-Vertrauensverhältnis aufs Spiel. Dass man sich als Leistungserbringer verweigern könnte, wurde per Gesetz schon ausgeschlossen (SGB V). Und Herr Spahn sagt dazu: “Die ePA kommt 2021, Hackerangriffe hin oder her!” DAS schafft Vertrauen….

    Dem Bürger (und Versicherten) wird von Staatsseite mal wieder eine bürokratische Verwaltungsstruktur zwangsverordnet, gegen die er sich nicht wehren kann und darf, unter dem Deckmantel “Irgendwann ist es zu deinem Besten”. Dies kann aber langsam kein Bürger mehr nachvollziehen, insbesondere wenn man sich die Negativbeispiele anschaut, wo die selbe Salamitaktik seitens der Politik schon benutzt wurde, um den Überwachungsstaat auszubauen – meist daherkommend unter dem Deckmantel “nur gegen Terrorgefahr” (Handy-Standort-Überwachung, IMSI-Catcher, um mal nur zwei Beispiele zu nennen).

    Es ist kein Wunder, wenn die Menschen (und die Wähler) immer mistrauischer werden, insbesodere dann, wenn niemand in der Lage ist, ein System (und dessen zukünftigen Zusatznutzen) zu erklären, aber trotzdem schon mal prophylaktisch jeden zwingt, mitzumachen. Und genau DIES sehe ich mit großen Trübsinn, denn ich würde eine sinnvolle und vor allem wirklich sichere ePA tatsächlich begrüßen. Vor dem aktuellem System kann ich jedoch nur warnen.

    Und das ist viel bedeutender für unser aller Gesundheit, Gesundheitspolitik und Gesundheitszukunft als die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Deswegen mein Kopfschütteln, welche Themen heiß diskutiert werden, und welche nicht. Nun ja.

    Hier gibts übrigends den Vortrag beim 36C3 datu: https://media.ccc.de/v/36c3-10595-hacker_hin_oder_her_die_elektronische_patientenakte_kommt#t=1040