Die Welt steht gerade einigermaßen fassungslos vor der Eskalation der Lage im Nahen Osten und versucht zu verstehen, was da eigentlich vor sich geht. Darüber, dass der Iran kein Hort des Friedens und der Menschenrechte ist, muss man nicht diskutieren. Aber das gilt auch für Nordkorea oder Saudi-Arabien. Dem nordkoreanischen Diktator Kim gegenüber hat Trump vor kurzem noch seine Liebe erklärt, inzwischen ist sie abgekühlt, Saudi-Arabien gilt nach wie vor als enger Verbündeter, ungeachtet der Rolle Saudi-Arabiens bei der Förderung islamistischer Gruppen, des brutalen Kriegs im Jemen oder des bestialischen Mords an Kashoggi im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul.
Trump hat dem Iran gedroht, er würde bei Vergeltungsaktionen für das amerikanische Attentat auf den General Soleimani auch Kulturstätten im Iran angreifen. Das ist nach Art. 53 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen völkerrechtswidrig. Man erklärt ihm das, er sagt, das interessiert ihn nicht. Nach dem Beschluss des irakischen Parlaments, dass die amerikanischen Soldaten den Irak verlassen sollen – das Attentat auf Soleimani fand auf irakischem Boden statt, wohl gegen den Willen Iraks, droht er jetzt auch noch dem Irak mit schlimmeren Sanktionen als dem Iran. Wer solche Verbündete hat, braucht keine Feinde mehr. Darüber werden sich auch andere Verbündete ihre Gedanken machen, zumal er vor kurzem schon die mit ihm verbündeten Kurden in Nordsyrien ihren Feinden überlassen hat.
Einerseits könnte man Trumps Agieren im Nahen Osten für einen kopflosen Amoklauf halten. Andererseits könnte es auch sein, dass Trump eine Strategie verfolgt, die George Friedman, Chef des Think Tanks Strategic Forecasting vor 10 Jahren so auf den Punkt brachte: Wir können den Nahen Osten nicht kontrollieren, aber aus der Balance bringen. Wir können verfeindete Gruppen unterstützen, so dass sie mit sich selbst beschäftigt sind. Mit anderen Worten: Wir können die Region ins Chaos stürzen.
Die Frage ist: Wie unterscheidet man, ob Trump den Nahen Osten aus Konzeptionslosigkeit weiter destabilisiert oder im Gegenteil aus Absicht. Davon hängt u.a. ab, wie sein Eskalationsverhalten im Nahen Osten einzuschätzen ist und wie seine Politik gegenüber anderen Regionen der Welt. Hanlon’s Law hilft in dem Fall wohl nicht weiter. Unter demokratischen Verhältnissen sollte man eigentlich nicht allzusehr über die Absichten einer Regierung rätseln müssen, zumindest nicht, was die strategischen Grundlinien angeht.
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