Heute hat der Bundestag über die Organspende entschieden. Es gab zwei Anträge: eine erweiterte Zustimmungsregelung und eine Widerspruchsregelung. Der erste Antrag sah vor, dass weiterhin eine explizite Entscheidung für die Organspende gegeben sein muss, der zweite Antrag, dass jeder, sich nicht explizit gegen eine Organspende entschieden hat, nach seinem Tod als Spender infrage kommt. Diese Lösung haben Spahn und Lauterbach angestrebt.
Hintergrund des Anlaufs für eine Widerspruchslösung war, dass es in Deutschland weniger Organspender gibt als in manchen anderen Ländern und dass ihre Zahl seit 2010, nicht zuletzt durch Skandale um Organspenden, zudem deutlich zurückgegangen war.
Der Bundestag hat sich heute gegen den Vorschlag von Spahn und Lauterbach entschieden. 379 Abgeordnete waren dagegen, 292 dafür, 3 enthielten sich. Angenommen wurde die Zustimmungslösung mit 432 Ja-Stimmen, 200 Abgeordnete lehnten diese Regelung ab, 37 enthielten sich. Ich persönlich hätte mit der Widerspruchslösung keine Probleme gehabt, aber ich sehe, dass es eine schwierige Diskussion ist, bei der ernstzunehmende Argumente auf beiden Seiten stehen.
Zur Versachlichung der oft sehr emotional geführten Debatte mag vielleicht ein Blick auf den Vergleich des Effekts der beiden Regelungen dienen. Oft hört man, dass die Widerspruchslösung zu deutlich mehr Organspendern führen würde. In der Literatur zum „Nudging“ ist die Widerspruchsregelung ein Klassiker, wie man „sanft“ zu mehr Organspenden hinlenkt. Aber so einfach ist es nicht. Michael Kochen, Professor für Allgemeinmedizin und Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, hat in den „DGAM-Benefits“, einem von ihm regemäßig verschickten Rundbrief mit interessanten Studienbefunden, vor ein paar Tagen noch einmal auf eine internationale Vergleichsstudie zu den beiden Regelungen hingewiesen:
„Die DEGAM-Benefits haben sich bereits mehrfach mit dem Thema Organspende auseinandergesetzt, zuletzt am 2. Juli 2019. Damals wurde eine Studie britischer Wissenschaftler aus der renommierten Zeitschrift Kidney International analysiert. Sie verglich die Transplantationsdaten aus 35 sozioökonomisch ähnlichen Mitgliedsländern der OECD mit unterschiedlichen Transplantationssystemen (darunter neben Deutschland weitere 21 Staaten der EU, aber auch Chile, Australien oder die USA). 17 dieser Länder praktizieren eine Widerspruchslösung, 18 eine Zustimmungslösung.
Die Studie zeigte, dass es zwischen den Ländern mit Widerspruchslösung und denen mit Zustimmungslösung keine signifikanten Unterschiede bei der Zahl der gespendeten Organe gibt (und dass die Zahl der Lebendspender in Ländern mit Zustimmungslösung sogar erheblich größer ist als bei solchen mit Widerspruchslösung).
(…)
Eine Steigerung der Organspenden lässt sich demnach nur erzielen
– durch eine Verbesserung der Organisation und der Vergütung in Entnahmekliniken (die seit April 2019 in Deutschland gesetzlich verankert ist),
– vor allem aber durch geduldige Information und Aufklärung der Bevölkerung.Wie die Verfasser eines Begleitkommentars zu o.g. Studie (von der nationalen spanischen Transplantationsorganisation) betonten, berücksichtigen die Gesetzgeber vieler Länder nicht das komplexe Zusammenspiel vieler Faktoren, das sich eben nicht auf eine „einfache“ formale Gesetzgebung reduzieren lasse.“
Verbunden mit der heutigen Entscheidung zur Zustimmungsregelung sind eine Reihe von Maßnahmen, u.a. für mehr Aufklärung und zur Einrichtung eines Online-Registers für Organspender. Über das Register ist die Bereitschaft zur Organspende besser festzustellen. Die alten Organspender-Ausweise, einfache Papierkärtchen, gelten aber ebenfalls weiter.
Ich bin gespannt, wie sich die Spenderzahlen in den nächsten Jahren entwickeln. Je nachdem wird die Entscheidung über eine Widerspruchsregelung möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft wieder auf die politische Agenda kommen. Dass Menschen sterben müssen, weil andere gedankenlos sind, ist schließlich ethisch auch nicht befriedigend.
Kommentare (67)