Am Mittwoch hat sich der Kandidat einer 5 %-Partei zum Ministerpräsidenten Thüringens wählen lassen. Die Wahl haben die CDU, bei der in Thüringen auch schon Spitzenpolitiker unverblümt für eine Zusammenarbeit mit der AfD geworben haben, und die AfD gemeinsam ermöglicht. Ob es regelrechte Absprachen gab oder nur ein Hinnehmen dieser Situation seitens der CDU, darüber streiten sich derzeit viele Leute, die es auch nicht besser wissen als ich.
Unstrittig ist, dass der Kandidat der 5 %-Partei die Wahl nicht hätte annehmen dürfen, wenn er wirklich so entschieden gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD ist, wie er in den letzten 24 Stunden unermüdlich betont. Er hat sie angenommen. Er hat auch die Hand des Königsmachers Höcke geschüttelt, der ihm gratulierte. Ein schwerer politischer Fehler. Weltweit gab es Entsetzen darüber, jetzt ist die 5 %-Partei zurückgeschreckt, der frisch gewählte Ministerpräsident hat ebenso frisch seinen Rücktritt angekündigt. Rekord, so schnell ging so was vermutlich noch nie.
Bei alldem verliert man aus den Augen, dass nicht nur CDU und FDP in Thüringen politisch versagt haben, vielleicht auch Linke, SPD und Grüne blind mit dem Kopf durch die Wand wollten, sondern dass die AfD einmal mehr Politik als verantwortungsloses Spielchen inszeniert hat. Sie hat im dritten Wahlgang ihren aussichtslosen Kandidaten nicht etwa zurückgezogen, sondern erneut zur Wahl gestellt, aber nicht gewählt. Nochmal: Sie hat den eigenen Kandidaten nicht gewählt, stattdessen den jetzt neu angetretenen Kandidaten der 5 %-Partei. Eine politische Hütchenspielerei. Was ist das eigentlich für ein Politikverständnis?
Ob die CDU von dieser Finte nichts wusste oder etwa doch, ob sie sie es ahnte und in Kauf nahm, weil man den Linken Ramelow loswerden wollte, koste es, was es wolle, oder ob sie trotz des einen oder anderen persönlichen Kontakts zur AfD nichts ahnte und nur zu dumm war, sich in dieser Situation zu enthalten – man wird es vielleicht nie erfahren. Dass es so kommen könnte, war jedenfalls nicht unvorhersehbar, es wurde öffentlich darüber spekuliert. Der Münchner Merkur schrieb beispielsweise gestern Mittag online:
„Eine Unwägbarkeit gibt es allerdings: Sollte sich die AfD entschieden haben, den parteilosen Christoph Kindervater nicht länger zu unterstützen und für Kemmerich stimmen, dann wäre es möglich, dass der FDP-Chef mit der Hilfe der Rechtspopulisten Ramelow überflügelt. Das wäre eine unerwartete Wende – würde allerdings auch voraussetzen, dass CDU und FDP tatsächlich geschlossen Kemmerich unterstützen. Aktuell wirkt das als eher theoretisches Szenario. Gewissheit gibt es in wenigen Minuten.“
Die AfD hat ihre Ziele erreicht: Ramelow ist abgewählt, CDU und FDP in heftigsten Turbulenzen, das politische System in Aufruhr. Seltsamerweise wird über ihr politisches Hütchenspiel zur Abgeordnetentäuschung – wie gesagt, falls die CDU ahnungslos war – kaum diskutiert. Dabei ist das ein Lehrstück über politische Verantwortungslosigkeit, über Casino-Politik. Als wär’s ein Stück von Strache.
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Mehr dazu auf Scienceblogs:
– Presseschau – Thüringen
– Mathematik und Wirklichkeit – die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen
– Die FDP in Thüringen …
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