„Wir waren’s nicht“
In den selbsterklärt „bürgerlichen“ rechten Kreisen herrscht nach der Tat in Hanau, ähnlich wie nach dem Mord an Walter Lübcke, aufgescheuchtes Treiben. So wie in der Politik insgesamt derzeit „Brandmauern nach rechts“ gefordert werden, so sind die Kreise direkt rechts hinter dieser geplanten Brandmauer bemüht, Brandmauern zum Rechtsterrorismus hochzuziehen. Auf keinen Fall wollen sie irgendwie mit der Tat in Hanau in Verbindung gebracht werden. Egal wie sehr ihre Agitation gegen die „Merkeldiktatur“, gegen muslimische Messermänner und das „linksgrünversiffte“ Milieu darauf angelegt war, aufzustacheln, „die thymotische Unterversorgung“ des Volkes (Marc Jongen) zu beenden, Politiker anderer Parteien „zu jagen“ oder gar in „Anatolien zu entsorgen“ (Alexander Gauland), bis hin zur Ausrufung des völkischen Notstands, sich das „Land und das Volk zurückholen” zu wollen, mit „wohltemperierten Grausamkeiten“ (Björn Höcke): All diese Versuche, auf das ungesunde Volksempfinden Einfluss zu nehmen, sollen völlig einflusslos gewesen sein, so die ewig Unschuldigen.
Auch die Achse des Guten ist diesem Narrativ ergeben. Dort folgt ein Artikel auf den nächsten im Gleichklang mit dem „Wir waren’s nicht“-Mantra der AfD-Oberen. Eine „Anabel Schunke“ beklagt, dass bei islamistischen Taten keiner nach der Ideologie frage, aber hier werde versucht, „eine geistige Nähe zu konstruieren, die absurder nicht sein könnte.“ Frau Schunke sagt, sie habe das „Land satt“:
„Wir können nicht liberal. Wir können nicht Mitte. ‚Haltung zeigen‘ ist kein Schlachtruf einer bürgerlichen Zivilgesellschaft, die sich den Extremen aller Couleur entgegenstellt. Es ist die Forderung der Extreme, sich als liberale Bürger der Mitte endlich einer Seite zuzuordnen.“
Haltung gegen Rechts, gegen ziemlich Rechts, ist also extrem. Und die Achse des Guten ist vermutlich liberal, weil man Haltungsschäden zeigt?
Der Mann ohne Eigenschaften
Mich interessiert aber weniger dieser Distanzierungslimbo unter der Haltungslinie. Bei der Achse wird auf AfD-Linie auch die Frage kommentiert, ob ein psychisch kranker Täter überhaupt rassistisch sein könne. Wolfgangs Meins, langjähriger Kommentator der Achse, Psychiater, Gutachter, hat dort einen offenen Brief an den Generalbundesanwalt veröffentlicht. Er weist ihn auf § 20 StGB hin:
„§ 20 Strafgesetzbuch: Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“
Möglicherweise war das beim Täter in Hanau der Fall. Relevant ist, ob er das Unrecht seiner Tat einsehen konnte und steuerungsfähig war. Das müsste aber nicht pauschal anhand der Person des Täters, sondern der konkreten Tat nachgewiesen werden (BGH, Beschluss 24.10.2018, BGH 1 StR 457/18). Schließlich ist auch ein psychisch kranker Mensch situativ unterschiedlich einsichtsfähig. Da der Täter tot ist, wird sich das kaum mehr klären lassen.
Man könnte sich fragen, warum Meins so auf der Schuldfrage nach § 20 StGB herumreitet. Der Täter ist tot, ob schuldig oder nicht. Aber indem man diese Frage zur Kernfrage erklärt, wie das schon Gauland und Meuthen getan haben, soll die Frage verdrängt werden, ob die Tat nicht unabhängig davon rassistisch und durch rassistische Agitation befördert sein kann. Das ist das strategische Ziel des Chors von Meins, Gauland, Meuthen & Co: Wer psychisch krank ist, könne per definitionem, Beleg § 20 StGB, nicht rassistisch motiviert sein. Da war einfach was im Hirn, in den Synapsen kaputt.
Aber diese Schlussfolgerung lässt § 20 StGB nicht zu. Sie regelt die Schuldfrage, nicht sonstige Eigenschaften der Tat. Sie kann unabhängig von der Schuldfrage z.B. besonders grausam, vorhersehbar oder unvorhersehbar, religiös aufgeladen oder eben rassistisch motiviert sein. Eher noch könnte man fragen, ob jemand, der in einer rechtsextremen Sekte indoktriniert wurde, in bestimmten Fällen schuldunfähig sein kann, ohne psychisch krank zu sein.
Gesellschaftliche Solidarität
Allerdings weist Herr Meins auf einen Punkt hin, den es in der Tat zu bedenken gilt:
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