Auf Makroskop hat Hartmut Reiners einen lesenswerten Nachruf auf Norbert Blüm, der am 23. April gestorben war, veröffentlicht. Reiners charakterisiert ihn als „streitbaren politischen Vollprofi“, der „Sozialpolitik nicht als Gewährung von Wohltaten, sondern als zivilisatorische Aufgabe“ verstand und sagt, dass uns solche Leute fehlen werden.
Dass uns jemand, der gestorben ist, fehlen wird, ist oft nur ein sprachliches Ritual in Nachrufen. In dem Fall nicht. Jeden Tag kann man inzwischen Spekulationen darüber lesen, wie die Coronakrise die Gesellschaft verändern wird. Wird sie autoritärer? Die Zustimmungswerte für die „starken Männer“ sind derzeit ja enorm. Bringt sie uns dem Überwachungsstaat näher, wird unsere Zukunft also „chinesischer“ als bisher? Wird sie ökologischer, indem globale Verkehrsbewegungen und Lieferwege zurückgenommen werden, oder ökologisch noch rücksichtsloser als bisher, um die durch den Lockdown entstandenen Verluste wettzumachen? Wird sie nationaler, mit Rückenwind für die „America first“-Ideologen weltweit, oder besinnt man sich auf die Vorteile supranationaler Zusammenarbeit? Wird sie solidarischer, mit einer neuen Gewichtung von sozialen Belangen und besseren Arbeitsbedingungen z.B. in der Pflege, oder im Gegenteil, bringt sie einen neoliberalen Schub, weil die Politik meint, jede Form der „sozialen Belastung“ von den Unternehmen fernhalten zu müssen und die gestiegenen Staatsschulden schnell über Sozialabbau und mehr „Verantwortung“ für die Bürger reduzieren will?
Man wird sehen, welche Fürsprecher die Einsicht, dass Sozialpolitik eine „zivilisatorische Aufgabe“ ist und keine machtpolitische Sedierung demokratischer Ansprüche, in den kommenden Debatten haben wird und wie sehr Norbert Blüm dabei fehlen wird. Es wäre schön, er würde nicht fehlen.
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