Fünf forsche Männer, Sucharit Bhakdi, Stefan Hockertz, Stefan Homburg, Werner Müller und Harald Walach, die meisten dürften inzwischen im Zusammenhang mit Corona bekannt sein, haben gemeinsam an die Bundestagsfraktionen geschrieben. Sie stellen infrage, ob die Maßnahmen gegen Corona gerechtfertigt sind. Diese Frage ist legitim und muss gestellt werden. Jedes Medikament hat Nebenwirkungen und die Nebenwirkungen sollen nicht mehr schaden als das Medikament nützt. Das ist bei den „NPIs“, den Nonpharmaceutical Interventions“, nicht anders. Prävention ist nicht immer gut.
Allerdings hat das Papier der fünf Herren einen unangenehmen Beigeschmack, weil sie in einer unguten Form auch wirtschaftliche Gesichtspunkte ins Feld führen. Nicht, dass Wirtschaft nicht zählt, hinter “Wirtschaft” steht ja nicht nur Geld. Aber diese Bilanz muss sehr sensibel aufgemacht werden, damit nicht eben jene Abwägung „Geld oder Leben“ herauskommt.
Genau so ist aber das Fazit des Papiers formuliert:
„Die Maßnahmen der Regierung erscheinen angesichts der enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden, die sie verursachen, auch unverhältnismäßig. Wenn wegen des überwiegend hohen Alters und der Vorerkrankungen jeder potentiell Gerettete noch durchschnittlich 1.000 Tage** Restlebenszeit hätte, würden selbst bei 200.000 vermiedenen Todesopfern nur 200 Mio. Lebenstage gerettet. Bei einem wirtschaftlichen Schaden von 1.000 Mrd. € wären das 5.000 € pro gerettetem Lebenstag, und das wahrscheinlich bei stark eingeschränkter Lebensqualität. Diese hohen Kosten sind durch nichts zu rechtfertigen. Die Maßnahmen, die einen wirtschaftlichen Schaden in solcher Größenordnung verursachen, sind deshalb unverhältnismäßig.“
Das moralische Dilemma soll mit dem Hinweis entschärft werden, die Sterbefälle seien ja vor allem alte, todkranke Menschen:
„Die Verlängerung einer Sterbephase ist kein überragend wichtiges Gemeinschaftsinteresse! Sie widerspricht wahrscheinlich sogar dem Interesse der Sterbenden.“
Das klingt schon sehr zynisch, da natürlich nicht nur Todkranke etwas früher sterben, sondern Risikopersonen mit Krankheiten, mit denen viele vielleicht auch noch Jahre gelebt hätten. Kranken und Alten unbedacht das Lebensrecht abzusprechen – an der Stelle hat es vor kurzem schon Boris Palmer aus der Kurve getragen.
Einer der fünf Herren war mir bisher namentlich nicht untergekommen, der Betriebswirt Werner Müller, Hochschule Mainz, sonst mit technischen Details des Rechnungswesens befasst. Er bringt auf seiner Internetseite die Brutalität der Sichtweise der fünf Briefeschreiber ganz unverblümt zum Ausdruck:
„Eine Gemeinsamkeit zwischen Medizin und Ökonomie sehe ich in dem Grundsatz: Vorbeugen ist besser als Heilen! Mir persönlich geht es um die Verhinderung oder mindestens Eindämmung der gigantischen wirtschaftlichen Schäden. Ich glaube, dass die Entscheidungsträger den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen haben. Politiker müssen bereit sein, auch das Undenkbare zu denken und sie dürfen sich nicht unbegrenzt von Moralvorstellungen leiten lassen. Sie müssen im Extremfall auch bereit sein, über Leichen zu gehen!“
So können richtige und wichtige Fragen zu unmenschlichen Antworten führen. Denken und Schreiben sind Handlungen, die Feinfühligkeit voraussetzen. Mit dem Schlachtermesser kommt man da meist nur zu blutigen Ergebnissen. Das gilt im Bereich Public Health ganz besonders: Dem kollektiven Nutzen muss hier zwingend der Respekt vor dem Individuum und seiner Menschenwürde gegenübergestellt werden, sonst ist man wieder da, wo man schon einmal war und wo die forschen Briefeschreiber sicher auch nicht hinwollen: “Du bist nichts, dein Volk ist alles”. Die Folgen sind bekannt.
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