Das Zukunftsforum Public Health, über das hier schon mehrfach berichtet wurde, hat nun ebenfalls eine Stellungnahme zur Coronakrise veröffentlicht. Sie ist bewusst recht allgemein gehalten. Es geht nicht noch einmal um das Berechnungsverfahren für R(t), die Zuverlässigkeit von Tests oder den Grad der Durchseuchung der Bevölkerung. Das Papier spricht vielmehr ein paar wichtige strategische Orientierungen an, die über die Krise und die anstehende ökonomische Bewältigung der Krise nicht aus den Augen verloren werden sollten:

• Gesundheit ist eine politikfeldübergreifende Herausforderung (zum Stichwort „Health in all Policies“ gibt es übrigens ein eigenes Papier der Zukunftsforums).
• Gesundheit hängt eng mit materieller Armut und Bildungsarmut zusammen. Sozialstatusunterschiede machen bekanntlich etwa 10 Jahre Unterschied in der Lebenserwartung.
• Der Öffentliche Gesundheitsdienst muss wieder repariert werden. Darüber gibt es hier im Blog gefühlt ein Dutzend Beiträge.
• Gute Gesundheitspolitik setzt wissenschaftliche Expertise und transparentes Handeln voraus.
• Der Klimaschutz darf nicht ins Hintertreffen geraten. Davon hängt schließlich das Überleben von Millionen ab.
• Partizipation tut not: Die Menschen sollen mitentscheiden können. Das ist in der akuten Krisenbewältigung vielleicht nicht gut zu organisieren, aber jetzt schon.

Ich hätte mir noch ein paar Punkte mehr vorstellen können, z.B. die Stärkung der Pflege endlich mit Verve anzugehen oder sich um die prekäre Beschäftigung zu kümmern – die Ausbrüche in den Schlachthöfen sind auch eine Quittung für langes Wegschauen bei diesem Problem. Aber die Intention des Papiers, in der Krise und nach der Krise die Grundlinien einer nachhaltigen Gesundheitspolitik nicht zu vergessen, sollte auch so deutlich geworden sein. Ergänzende Stellungnahmen sind ja auch nicht ausgeschlossen.

Kommentare (13)

  1. #1 Aginor
    20. Mai 2020

    Die Stellungnahme klingt zwar ein wenig wie eine Ansprache von Captain Obvious, aber ich stimme zu dass man diese Punkte immer wieder wiederholen muss, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

    Gruß
    Aginor

  2. #2 Paul
    20. Mai 2020

    “Der Öffentliche Gesundheitsdienst muss wieder repariert werden.”

    Viel Glück!

    “Ich halte es grundsätzlich für sehr problematisch, wenn bei lebensnotwendigen Medikamenten die Ökonomie und auch die Frage der Investoren und ihrer Gewinne eine derartig dominierende Rolle gewinnen.” Die Kostensteigerung gerade im Arzneimittelmarkt und bei lebenswichtigen Medikamenten in der Krebsmedizin, aber auch bei Gentherapien halte er für “äußerst fragwürdig“, sagte Ludwig und fordert: “Wir müssen für unsere Patienten natürlich auch Medikamente für einen irgendwie erschwinglichen Preis bekommen.”

    Ist sofort klar, um welches Medikament es geht? Wenn der Markt – oder das Los – über Leben und Tod entscheidet: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/novartis-zolgensma-101.html

  3. #3 Wetterwachs
    20. Mai 2020

    Ich verstehe das “oder” nicht. Es kann sich doch nicht auf ‘kritisch’ oder ‘konstruktiv’ wie auf blau oder rot beziehen. Soll es provozierend heißen: ‘Oh je, noch so eine kritische Stellungnahme, oder ist das jetzt mal eine konstruktive kritische Stellungnahme?’

  4. #4 Joseph Kuhn
    20. Mai 2020

    @ Aginor:

    Ja, Captain Obvious hat sein Mitspracherecht fleißig genutzt. Aber ich stimme zu … 😉

    @ Wetterwachs:

    Kritik ist immer konstruktiv, nur nicht immer für das Kritisierte.

  5. #5 DH
    20. Mai 2020

    “• Der Klimaschutz darf nicht ins Hintertreffen geraten.”
    Kann man ohnehin nicht trennen, bekanntlich haben Erreger, die von Tieren überspringen, auch was zu tun mit der Zerstörung der Umwelt im allgemeinen und mit der von Lebensräumen, da ist Covid 19 erst der Anfang.
    “Gesundheit hängt eng mit materieller Armut und Bildungsarmut zusammen”
    Klingt zynisch, ist aber Fakt: Gerade diejenigen Krankheiten, vor denen auch die Reichen Angst haben mussten, haben in der Vergangenheit beigetragen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse für alle.
    Die Schlachthöfe sind (fast) unsere nassen Märkte und zeigen, daß wir China näher sind als wünschenswert.
    Wenn wir uns weiter von unseren Werten abwenden, sind die nächsten Pandemien nicht fern, eine gefährlicher als die andere.

  6. #6 STEFAN WAGNER
    https://demystifikation.wordpress.com/2020/05/11/pandemieminiaturen-1/
    21. Mai 2020

    @DH

    Die Schlachthöfe sind (fast) unsere nassen Märkte und zeigen, daß wir China näher sind als wünschenswert.

    Ich glaube, Joseph Kuhn hat hier die Beschäftigungs- und damit die Unterbringungsbedingungen, x Mann zusammengepfercht im Container, angesprochen, die sich gegenseitig infizieren, nicht am Schlachtgut.

    Die Problemlage mit Wetmarkets ist doch sehr verschieden von der Massentierzucht von Hausschweinen. Letztere sind ziemlich stark koevolviert mit uns, so dass wir gegen die meisten Krankheiten, die diese bekommen, nicht empfindlich sind, dagegen wurde Fledermäuse m.W. nie in größerem Umfang gegessen, gehandelt und bejagt.

  7. #7 Viktualia
    21. Mai 2020

    @Stefan Wagner – ja, es ist sicher eher die “prekäre Beschäftigungssituation” in den Schlachthöfen gemeint gewesen; dem Teil mit der “gesamt Evolution” kann ich aber nicht zustimmen, da es “Corona für Schweine” erst seit den 40ern gibt: https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/uebertragbare-gastroenteritis-bei-schweinen-tge/ und das für eine “Ko-evolution” nicht lange genug ist.
    Es gibt wohl Anzeichen dafür, dass “Leben auf dem Bauernhof” gut für ein breit aufgestelltes Immunsystem ist, das ist aber nicht das Gleiche, wie Immunität gegenüber den “meisten Krankheiten, die diese bekommen”.

    Mich hat die “geballte obviousness” eher deprimiert (@”oder”)
    So viel gesunder Menschenverstand auf der einen Seite und als Gegensatz die “Hygienedemos”, irgendwo dazwischen unsere Regierung, aber passieren tut nix.
    Die Probleme sind bekannt, Lösungen sind bekannt, aber in der Realität kommen sie nicht zusammen, obwohl die “finanziellen Interessen” inzwischen als Grund für´s Nichtstun wegfallen dürften. (https://www.agrarheute.com/tier/schwein/corona-krise-landwirte-muessen-schweine-toeten-567890 200.000 Schweine (in USA u. Kanada), die “umsonst” getötet werden müssen.)
    Das ist doch auch ökonomischer Wahnsinn, das System erst auf die alte Art wieder hochzufahren und (eventuell) danach mit einer Umstellung auf eine “lebenserhaltende” Weise anzufangen.
    Von meinem persönlichen Idealismus mal abgesehen haben “wir” (die Regierungen bzw. die Konzerne) hier doch eine perfekte Gelegenheit, das Ruder effektiv herum zu reissen, ohne die “üblichen Machtverluste” einer (R)evolution befürchten zu müssen. Wenn sie´s nicht für uns tun, dann von mir aus für den eigenen Machterhalt – aber wenn weiter nur auf die unmittelbaren Verdienstmöglichkeiten geschaut wird, sehe ich schwarz.

  8. #8 Joseph Kuhn
    21. Mai 2020
  9. #9 Wetterwachs
    22. Mai 2020

    @Viktualia

    „ Wenn sie´s nicht für uns tun, dann von mir aus für den eigenen Machterhalt…“

    Was für ein defätistischer Seufzer für eine Anarchistin ;).

    „Mich hat die “geballte obviousness” eher deprimiert…“
    Captain Obvious als Gag hat im Zusammenhang mit der Stellungnahme des Zukunftsforums Public Health nur eine Berechtigung, wenn so eine Plattform wie dieses Blog oder von mir aus das ganze scienceblogs.de oder sogar alle „Kreise“ in denen über Ethik gesprochen wird oder in denen Philosophieren als Zugangsmethode zum Offensichtlichen betrieben wird, wenn solche Bereiche als geschlossene Systeme benutzt werden. Dann ist innen drin natürlich manches obvious und irgendwann ist eine Wiederholung eine Captain Obvious Litanei. (Kann aber auch mal umgekehrt sein, wie das Beispiel „testen, testen, testen“.Das schien mir so vernünftig, und ist es doch nicht.)
    Ich glaube nicht, dass Dich die “geballte obviousness” deprimiert, sondern die Tatsache, dass das Offensichtliche da nicht wahrgenommen wird oder verdreht ankommt, wo die Entscheider sind, und mit denen meine ich jetzt nicht die „Regierungen bzw. die Konzerne“.

  10. #10 Viktualia
    22. Mai 2020

    @Wetterwachs – “defätistischer Seufzer” – nö, eher ein “rheinischer”: “mer muss och jönne könne” (man muss auch gönnen können) – wegen mir brauch es keine “Revolution” geben; wer meint, er brauche Macht (und nicht Selbstwirksamkeit) zum Glücklich sein, mag ruhig in seinem eigenen Tempo rausfinden, ob das klappen kann. Grundsätzlich – wer weis, wie lange wir uns diese “Freiheit” noch leisten können.

    “Ich glaube nicht…” – versteh ich nicht, natürlich deprimiert mich die Tatsache, dass das Offensichtliche ignoriert wird mehr, als dass es von diesem “Zukunftsforum” so kurz und knapp zusammen gefasst wird. Aber wen meinst du mit “nicht die „Regierungen bzw. die Konzerne“.”? Das verstummte Gretchen? Ist ja auch keine “Entscheiderin” in dem Sinne – die “Konsumgesellschaft” als abstrakte Größe?

    Ich hab noch nie so (konsumorientiert) gelebt und bin inzwischen deutlich über 50. Ich bin keine Veganerin, aber eine “Selbermacherin”. Wahrscheinlich hab ich als Kind zuviel griechische Sagen gelesen und völlig überzogene Vorstellungen von “Verantwortung” für die menschlichen Dramen entwickelt. Und hab halt keinen “akademischen” sondern einen eher pragmatischen (Handwerker) Zugang.
    Und daher wundert es mich, dass die “Entscheidungsträger” unsere Welt so vor die Hunde gehen lassen. Nicht nur, weil das “nicht schön” ist, sondern weil es so gnadenlos uneffektiv ist.

    Und “Testen”- cave! Nur weil die Tests noch nicht gut genug für die Dringlichkeit der Situation sind, ist doch das Testen, bzw. Erheben von Daten, an sich keine weniger wichtige Größe geworden. “Vernünftig” wird die Sache sowieso erst nachdem aus der “Auswertung” die “Handlungsempfehlungen” synthetisiert wurden. Theoretisch, praktisch ist da immer viel Spielraum.

  11. #11 DH
    22. Mai 2020

    @Stefan Wagner
    Da kann man nicht nur mit dem Kopf ran, sonst rennt man diversen Ausbrüchen immer hinterher.
    Es ist eine alte Erfahrung, wenns stinkt und besonders eklig aussieht, ists bedenklich, das hat uns die Natur so mitgegeben.
    Wenn Fäkalien durch die Straßen schwimmen, gibt’s Pest. Wenn Chinesen ihre Hände in Tierblut baden und gleich danach die Ware mit den selben Händen verkaufen, gibt’s Corona.
    Wenn Menschen im selben Raum mit Federvieh leben, und dann auch noch die Viehecke mit demselben Lappen putzen wie die Menschenecke, gibt’s Sars….Fortsetzung folgt.
    Und wenn man Menschen nicht artgerecht hält, gibt’s Pocken und andere Nettigkeiten.

  12. #12 Wetterwachs
    22. Mai 2020

    @Viktualia
    “Aber wen meinst du mit “nicht die „Regierungen bzw. die Konzerne“.”? #10

    Ich meinte natürlich die Wähler. Das verstummte Gretchen kenne ich nicht und mit der Konsumgesellschaft hab ich auch noch nicht an einem Tisch gesessen und geplaudert. Und es geht auch nicht darum, dass Offensichtliches ignoriert wird. Es geht darum, dass Offensichtliches eben nicht offensichtlich ist für Leute, weil sie vielleicht eine Sehhilfe brauchen, die die Krankenkasse nicht bezahlen darf, will oder kann.
    Ich hab das Gefühl, ich hab Dich verärgert. Wollte ich nicht. Ich habe hier so müde rumgehangen, die Details über das Testen im Folgepost hätte ich nicht mehr verstanden und hier warst Du mit Worten wie deprimiert und schwarz sehen. Ich wollte wohl bloß ein bisschen plaudern, vielleicht über Geld für Brillen und so.

  13. #13 Viktualia
    23. Mai 2020

    @Wetterwachs – oh, nein, du hast mich gar nicht verärgert – im Gegenteil. (Eigentlich hab ich mich gefreut, dass du den Punkt “wenigstens gesehen” hast. Wahrscheinlich übe ich noch eine dem Ort gemässe Sachlichkeit – und hau daneben. Sorry.)
    (Gretchen= Thunberg).
    Danke für das Bild mit der “Sehhilfe/Brille”, ich übersetz mir das mit “Perspektive” und bin tatsächlich ein Stück weiter.
    Meiner Erfahrung nach haben Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, eher Zugang zu dieser “Brille” (diesem “Perspektivenwechsel”) als der normale Hamsterradwähler.
    Die haben nur immer noch keine Partei, die ihre Ziele auch umsetzt, wenn sie denn mal so schön knackig formuliert wären, wie es das “Zukunftsforum” tat. (Klingt nach “Fahrradkette”, ich weis.)
    Ich frage mich das tatsächlich oft, warum es mir so offensichtlich scheint und wie ich helfen könnte, diese “Perspektive” (die Möglichkeit, das Ruder noch rumzureissen) anschaulich zu machen, ohne allzu sehr zu verstören. Es sollen ja vernünftige und lebensbejahende Taten folgen können.
    Und eigentlich glaube ich nicht, dass es “Brillen” braucht (die “Hilfsbedürftigen” gesunden ja nicht an der Hilfe/Brille, sondern an der Möglichkeit, das Richtige zu trainieren, den eigenen Fokus zu modellieren), sondern ein “loslassen der Scheuklappen”. (“Höher, schneller, weiter” statt Präsenz in der eigenen Situation).

    Da sind wir wieder bei des Weisen Josefs Worten:
    “Kritik ist immer konstruktiv, nur nicht immer für das Kritisierte.”
    Wenn alle schon so weise wären, könnten wir loslegen….