Daten der letzten Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes hatten es schon angedeutet, die neuen Daten von heute bestätigen es: Die Übersterblichkeit, die seit Mitte März 2020 gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2016-2019 zu beobachten ist, ist rückläufig. Ein Erfolg des Social Distancing.
Von Kalenderwoche 12 bis 17 des Jahres 2020 gibt es nun 7.020 Sterbefälle mehr als im gleichen Zeitraum im Durchschnitt 2016 – 2019. Die Differenz zur Sonderauswertung letzte Woche kommt zu einem kleinen Teil durch Datenkorrekturen des Statistischen Bundesamtes, zum größeren Teil durch die zusätzliche Kalenderwoche. Das RKI hat am 26. April 5.640 coronaassoziierte Sterbefälle verzeichnet. Zur Interpretation sei ansonsten auf das dazu schon Gesagte verwiesen.
Aber sehen wir, was wir zu sehen glauben? Gestern ging eine Meldung durch alle Medien, wonach eine Analyse des Ifo-Instituts zeige, es gäbe keine Übersterblichkeit. Datengrundlage der Ifo-Analyse sind ebenfalls die Daten des Statistischen Bundesamtes. Die methodischen Erläuterungen der Analyse sind bisher nicht veröffentlicht, aber auf Anfrage ist ein kurzes Papier dazu erhältlich (eine gute Seite Text und vier Seiten Grafiken mit Konfidenzbändern). Im Textteil heißt es:
„Das ifo Institut untersucht mittels eines empirischen Modells, ob es im bisherigen Verlauf des Jahres 2020 zu einer Übersterblichkeit gekommen ist. Das Modell berücksichtigt saisonale Schwankungen, da die Sterblichkeit im Winter höher ist. Die modellmäßig geschätzten Sterbefallzahlen weisen daher einen wellenförmigen Verlauf auf. Hierfür wurde ein auf einer Sinus-Funktion basierendes Modell geschätzt, in Anlehnung an die Methodik von EuroMOMO.1 Dafür nutzen wir das Baseline-Modell von Nielsen et al. (2018).2 Die Schätzung beruht auf den wöchentlichen Sterbewahrscheinlichkeiten der vier vorangegangenen Jahren als Referenzgröße. Anschließend wird untersucht, ob die Sterbewahrscheinlichkeiten im Frühjahr 2020 signifikant von den zu erwartenden Werten abweichen.“ (…)
1 https://www.euromomo.eu/graphs-and-maps/
2 Nielsen, J., Krause, T. G., & Mølbak, K. (2018). Influenza‐associated mortality determined from all‐cause mortality, Denmark 2010/11‐2016/17: The FluMOMO model. Influenza and other respiratory viruses, 12(5), 591-604.
Das Ifo-Institut kommt zu dem Fazit, dass die Sterbewahrscheinlichkeiten 2020 nicht vom Durchschnitt der Jahre 2016-2019 abweichen: „Im Jahr 2020 ist bis zum 18. April keine Übersterblichkeit erkennbar.“ Ob das methodische Vorgehen des Ifo-Instituts statistisch sinnvoll ist, mögen Mathematiker beurteilen, wenn etwas mehr über die Analyse nachzulesen ist. Mir ist immer etwas unheimlich zumute, wenn inferenzstatistische Methoden auf Vollerhebungen angewandt werden. Bei den Sterbefällen handelt es sich ja nicht um eine Stichprobe. Aber es ist ein gängiges Vorgehen.
Wenn der Rest methodisch auch in Ordnung ist, muss ich den Kurvenverlauf oben wohl so interpretieren, dass seit kurzem eine Übersterblichkeit zurückgeht, die es gar nicht gibt. Dass die Entwicklung in Bayern so erfreulich verläuft, muss man dann wohl ebenfalls als statistisch nicht signifikant verwerfen. Schade. Ich muss gestehen, das übersteigt meine Verstandeskräfte.
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