Seit drei Tagen geht nun schon die Meldung durch die Medien, Bernd Raffelhüschen habe gezeigt, dass die Maßnahmen gegen Corona mehr Lebensjahre kosten als sie retten. Ein Prozent weniger Bruttoinlandsprodukt (BIP) koste 0,89 Monate Lebenszeit, in der Summe würden die Deutschen 37 Millionen Lebensjahre durch den Wirtschaftseinbruch verlieren.

Ich finde es ja schön, wenn Leute, deren merziges Herz normalerweise für die private Altersvorsorge schlägt und die wegen Corona z.B. die Rentenerhöhung aussetzen wollten, den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit entdecken. Und wer weiß, je nachdem, wie es weitergeht, welche politischen Entscheidungen noch getroffen werden, wie lange die Wirtschaft braucht, um wieder auf die Beine zu kommen, vielleicht hat Herr Raffelhüschen ja sogar Recht. Wie gesagt, die soziale Lage ist ein ganz starker Einflussfaktor auf die Gesundheit. Etwa 10 Jahre Unterschied in der Lebenserwartung gibt es zwischen dem oberen und dem unteren Einkommensfünftel. Aber man würde doch gerne mal im Detail nachlesen, was Herr Raffelhüschen gerechnet hat. Wo ist die Studie? Wie schon bei der Ifo-Studie zur angeblich nicht vorhandenen Übersterblichkeit durch Corona hat die Presse fleißig berichtet, aber hat sie wenigstens diesmal die Studie gesehen?

Die langfristige Korrelation der Entwicklung des BIP und der Lebenserwartung einfach als kausalen Effekt zu interpretieren – könnte das nicht Storchenstatistik sein, nicht ganz, aber einbeinig, wie es Storchenart ist? Hat Herr Raffelhüschen das geprüft, hat er versucht, Korrelation und Kausalität zu trennen? Nicht dass man Ende noch fragen muss, warum Italien oder Griechenland mit niedrigerem BIP eine höhere Lebenserwartung haben? Und mit welchen Argumenten hat er einen langfristigen Zusammenhang auf eine kurzfristige Krisensituation übertragen? Hat er die Wirkmechanismen dahinter als identisch herausfiltern können? Weiter: Anhand welcher Daten hat er die Lebenszeitverluste berechnet? Wer mutige Thesen formuliert, sollte auch keine Angst haben, seine Studie zu veröffentlichen.

Kommentare (36)

  1. #1 Jolly
    18. Juni 2020

    Wo ist die Studie?

    Sie ist in der Welt, bzw. liegt der WELT exklusiv vor.

    So kann ich zwar auch nicht mit der Studie dienen, möchte aber zumindest den WELT-Artikel der interessierten Leserschaft leichter zugänglich machen (führt der angegebene Link oben im Text doch zu einer Bezahlschranke).

    Wo ist der Artikel?

    Hier: pdf.

  2. #2 Oliver Gabath
    18. Juni 2020

    @Jolly: Also “science by press release”? Da fällt sicher nicht nur mir das eine oder andere Lehrstück ein, das als Warnung dienen könnte.

  3. #3 Joseph Kuhn
    18. Juni 2020

    @ Jolly:

    Ja, eine hochrangige Publikation. Aus dem Welt-Artikel:

    “Dies zeigen Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg, die WELT exklusiv vorliegen.”

    Genau so geht richtige Wissenschaft! Warum die Leute mit zu viel Zahlen, Erläuterungen von Methoden, einer Diskussion von Limitationen oder gar so was wie einem peer review belästigen. Das will doch eh keiner lesen. Da können die Amateure von Storymachine noch was lernen. Wichtig ist, dass die Botschaft ankommt: “Die Wissenschaft hat festgestellt …”. Außerdem steht “exklusiv” bekanntlich für erlesen und kostbar, also von hohem Wert. Das kann man dann schon glauben.

  4. #4 RPGNo1
    18. Juni 2020

    Als ich Josephs Artikel gelesen habe, wollte ich sagen: “Durch welche Medien geistert denn die Meldung? Ich habe nichts gehört, gesehen oder gelesen.”

    Die Exklusivität bei Welt+ erklärt natürlich vieles. Wahrscheinlich auch, dass die Meldung gar nicht weltbewegend (kleines Wortspiel) ist, wie uns Herr Raffelhüschen und die Welt glauben machen wollen.

    PS: Danke für den Link, Jolly.

    • #5 Joseph Kuhn
      18. Juni 2020

      @ RPGNo1:

      Google mal nach Raffelhüschen und Lebensjahre für die letzte Woche, dann siehst du, dass es Anklang fand.

  5. #6 Holger
    18. Juni 2020

    der Hinweis auf höhere Lebenserwartung trotz niedrigerem Inlandsprodukt (Griechenland) zeigt natürlich, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und sozialer Lage gibt. Evtl. ist alles nur verhältnismässig zueinander.

    • #7 Joseph Kuhn
      18. Juni 2020

      @ Holger:

      Es zeigt, dass man es mit einem komplexen, multikausalen Zusammenhang zu tun hat. In entwickelten Ländern ist zudem die soziale Ungleichheit wichtiger als das absolute Wohlstandsniveau.

  6. #8 Wetterwachs
    18. Juni 2020

    „Wer mutige Thesen formuliert, sollte auch keine Angst haben, seine Studie zu veröffentlichen.“

    Warum sollte er? Seit Lungenarzt Köhler ist er vorsichtiger geworden. Vielleicht hat auch seine Sekretärin versagt, vielleicht weiß er, dass ein Peer Review oder Preprint für seine Studie katastrophal wäre, vielleicht labert er ja auch nur rum, und es gibt gar keine Studie, sondern nur ein publikationstaugliches Fake-Ergebnis: Die Maßnahmen gegen die Wirtschaft im Zusammenhang mit Corona retteten X Lebensjahre, (auch solche,die sowieso bald geendet hätten), und werden X+n Lebensjahre kosten, die als Humankapital noch hätten nützlich sein können.

    Die Entdeckung, bzw. Verwertung des Zusammenhangs zwischen Armut und kürzerer Lebenserwartung in der angeblichen Studie ist meines Erachtens nicht nur scheinheilige, sondern zutiefst bösartige Bömmelei*.

    *Bezug im 4. Link oben

  7. #9 Bbr
    Niedersachsen
    18. Juni 2020

    Der schlimmste Denkfehler bei solchen Behauptungen ist aber die Annahme,, dass ohne die Maßnahmen die Wirtschaft ungestört weitergelaufen wäre. Es gibt genügend Beispiele aus dem Ausland, die belegen, dass das nicht stimmt.

  8. #10 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    18. Juni 2020

    @Jolly: Danke.
    Die Überschrift des Artikels und der Anfang liefern sicher Argumente für die “Merkel ist an allem Schuld”-Fraktion. Aber kurz vorm Ende kommt:
    <>

    Also nix neues. Außer Clickbaits

  9. #11 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    18. Juni 2020

    @Jolly: Danke.
    Die Überschrift des Artikels und der Anfang liefern sicher Argumente für die “Merkel ist an allem Schuld”-Fraktion. Aber kurz vorm Ende kommt:
    #Nur wenn neben Deutschland auch al-
    le anderen Länder keinen Lockdown ge-
    macht hätten, wäre man hierzulande
    nach Einschätzung Raffelhüschens weit-
    aus besser gefahren, wenn die Politik auf
    die rigiden Anti-Corona-Maßnahmen
    verzichtet hätte.#

    Also nix neues. Außer Clickbaits

    (Doppel-Post wegen technischer Probleme)

  10. #12 RPGNo1
    18. Juni 2020

    @Joseph Kuhn

    Google mal nach Raffelhüschen und Lebensjahre für die letzte Woche, dann siehst du, dass es Anklang fand.

    Ich bin deinem Rat gefolgt. Tante Google spuckt aus:
    – Versicherungsbote
    – Versicherungsbote
    – SWR (aha)
    – ad-hoc-news
    – ad-hoc-news
    – wissenschaft.de (mit Verweis auf deinen Blogbeitrag ;))
    Das war es auch schon.

    Wenn ich nur Raffelhüschen nehme und auf News einenge, dann kommt:
    – Berliner-Sonntagsblatt
    – wallstreet-online
    – unternehmen-heute
    – turi2 (?)
    – fondsprofessionel
    – Regio-Journal

    Vielleicht denke und suche ich zu beschränkt, aber wo sind die großen nationalen Medien, die berichten (FAZ, taz, Spiegel etc)? Oder die “bekannten” Blogs wie Tichys Einblick, die sich doch sonst mit Wonne auf solche News stürzen?

    • #13 Joseph Kuhn
      18. Juni 2020

      @ RPGNo1:

      “Vielleicht denke und suche ich zu beschränkt, aber wo sind die großen nationalen Medien, die berichten”

      Mehr als deine Funde habe ich auch nicht zu bieten, keine große nationalen Medien, außer WELT und SWR nur Lokalmedien und Onlinemedien der Finanzbranche. Ergänzend zu deiner Liste z.B. noch:
      – Oldenburger Onlinezeitung
      – Hasepost
      – Institutional Money.com
      – Fonds online
      – Epoch Times

      Vielleicht haben die Leitmedien gemerkt, dass die Sache nichts taugt?

  11. #14 RPGNo1
    18. Juni 2020

    @Omnivor

    “Wenn … hätten … wäre … hätte.”

    Da fällt mir Herrn Steinbrücks alter Spruch ein: “hätte, hätte, Fahrradkette”

    Die Glaskugel von Herrn Raffelhüschen hätte ich auch gerne, dann wäre ich Millionär.

  12. #15 DH
    18. Juni 2020

    Man könnte auch mit Raffelhüschen selber argumentieren, daß der wirtschaftliche Einbruch womöglich stärker wäre ohne lockdown, mit Millionen von Arbeitnehmern u.a., die unkontrolliert wegen Quarantäne ausfallen.
    Auch ist unklar, ob es nicht weitaus gefährlicher ist, mit der alten Wirtschaftsform weiter zu machen und damit zu crashen- Covid 19 könnte auch eine Chance ein, ein Warnschuß zur rechten Zeit, zumal der Virus weder Gottes Strafe noch unabwendbares Schicksal ist, und was mit dem System selber zu tun hat.
    ” In entwickelten Ländern ist zudem die soziale Ungleichheit wichtiger als das absolute Wohlstandsniveau.”
    Jetzt braucht man die “Abgehängten” plötzlich zum Seuchenschutz und das wird Folgen haben. Die, die jetzt wieder gefragt sind bei Maske und Abstand, werden danach nicht mehr so leicht in die Ecke zu drängen sein, weder sozial noch kulturell.
    Vielleicht geht das längerfristig so weit, daß der Arm-Reich-Bias sogar zurückgeht.

  13. #16 UMa
    18. Juni 2020
  14. #17 Stachelbeere
    18. Juni 2020

    Hier ist eine aktuelle Studie bezüglich der Lebenserwartung in einer Rezession.

    Socioeconomic Decline and Death:
    Midlife Impacts of Graduating in a Recession

    http://ftp.iza.org/dp12908.pdf

    • #18 Joseph Kuhn
      19. Juni 2020

      @ Stachelbeere:

      “eine aktuelle Studie”

      An Studien zum Thema Lebenserwartung und ökonomische Krisen mangelt es nicht. Wenn Sie bei Pubmed (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/) z.B. nach economic crisis und life expectancy suchen, finden Sie schnell welche. Ob Herr Raffelhüschen sich angeschaut hat, wie die methodisch vorgegangen sind, weiß man nicht.

  15. #19 Wetterwachs
    19. Juni 2020

    Vielleicht haben die Leitmedien gemerkt, dass die Sache nichts taugt?

    Dann ist eine Frage, warum diese Leitmedien nicht die Chance ergreifen und kritisch berichten.
    Vielleicht weil sie es vernünftig finden, Unsinn stillschweigend zu übergehen, damit er sich nicht weiter verbreitet? Vielleicht warten sie aber auch ab, ob Raffelhüschen vielleicht doch noch die Studie liefert.

  16. #20 shader
    19. Juni 2020

    Diese Rechnung setzt voraus, dass eine Corona-Epidemie ohne Maßnahmen zu keinen Wirtschaftseinbußen führt. Das würde ich mal in Zweifel ziehen. Schweden zeigt ja, dass man trotz gedämpfter Maßnahmen ein starkes Wirtschaftsminus einfährt.

    Die Frage ist auch, bezieht sich die 1% Minus BIP auf einen kurzen Zeitraum wie ein Jahr oder auf Dauer? Wenn das mit den 0,89 Monaten pro 1% Minus stimmen würde, dann hätte bei der Weltwirtschaftskrise mit 6% Minus BIP 2009 in Deutschland die Lebenserwartung um 0,45 Jahre (ca. 5 Monate) sinken müssen. Hat man das in den Sterbestatistiken beobachten können? Normalerweise nimmt die Lebenserwartung pro Jahr um ca. 3-4 Monate zu, wenn ich mich richtig entsinne.

  17. #21 wolfhard
    19. Juni 2020

    @shader
    “Normalerweise nimmt die Lebenserwartung pro Jahr um ca. 3-4 Monate zu, wenn ich mich richtig entsinne”

    https://www.aerzteblatt.de/blog/108208/Sinkende-Lebenserwartung-in-den-USA

  18. #22 Wetterwachs
    20. Juni 2020

    Eine mögliche Erklärung, warum Raffelhüschen mit seiner „Studie“ in den Leitmedien keine sonderliche Beachtung findet, könnte man vielleicht aus der Spiegelkolumne von Thomas Fricke lesen, auch wenn R. selbst darin nicht erwähnt ist:

    https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/rechtspopulismus-und-deutsche-wirtschaftspolitik-kolumne-a-d3a1595e-8f46-4b66-b8bf-ae8b88ed3d95

    „… das, was derlei prägende Starlets den Politikern über lange Zeit eingetrichtert haben, womöglich stärker vom konservativen Weltbild als von wissenschaftlich belastbarer empirischer Evidenz gestützt war – und immer noch ist.“

    „Das Problem liegt […]darin, dass allzu offenbare politisch-weltbildliche Neigungen irgendwann mit wissenschaftlicher Sachlichkeit kollidieren.“

    Das heißt nicht, dass man von Raffelhüschen nicht fordern muss, sein marktliberales Gelaber mit den Daten seiner Studie zu belegen. Wenn es denn belegende Daten geben sollte.

  19. #23 Soisses
    20. Juni 2020

    @ shader und @ wolfhard:
    Sagen wir es doch so präzise wie möglich: Im Durchschnitt der letzten 10 Jahre ist die Lebenserwartung bei Mädchen und Jungen um 0,1 pro Jahr gestiegen. Durchschnittlich heißt, in manchem Berichtsjahr gibt es Null Differenz oder einen Rückgang.
    Wer gewöhnt war an jahrzehntelange Zuwächse von 0,2 (weiblich) bzw. 0,3 (männlich) pro Jahr, sollte umdenken.
    Schön dokumentiert: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/11/PD19_427_12621.html

  20. #24 shader
    21. Juni 2020

    Danke Soisses, jetzt bin ich wieder auf den neuesten Stand. 🙂 Muss zugeben, dass mein Wissen diesbezüglich schon ca. 5 Jahre veraltet war. Interessant ist es doch, die wahren Ursachen für diese Verlangsamung zu finden. Ich könnte mir vorstellen (aber das ist nur eine halbbegründete Spekulation), dass jetzt eine ganze Kriegsgeneration in ein hohes Alter kommt und das eine Rolle spielen könnte. D.h. die Bevölkerung, die in den Kriegsjahren geboren ist und jetzt so um die 75 bis 80 Jahre ist. Es heißt, dass körperliche Entbehrungen beim Aufwachsen ein Einflussfaktor für die Lebenserwartung ist.

    • #25 Joseph Kuhn
      21. Juni 2020

      @ shader:

      Und warum reduzieren die Entbehrungen beim Aufwachsen der heute 80-Jährigen jetzt den Zuwachs der Lebenserwartung? Die Lebenserwartung wird von den Sterbewahrscheinlichkeiten aller Altersgruppen, über die ganze Lebensspanne, beeinflusst. Ergo: Nehmen Sie eine Sterbetafel von vor 20 Jahren und die neueste Sterbetafel und vergleichen Sie die Sterbewahrscheinlichkeiten in den einzelnen Altersgruppen. Und googeln Sie am besten auch mal, was Demografen zur Entwicklung der Lebenserwartung schreiben.

  21. #26 UMa
    21. Juni 2020

    @Soisses, @shader
    Da ich gerade die Übersterblichkeit für 2016 bis 2020 ausgerechnet habe: Die zwei starken Influenza Epidemien in den ersten Monaten von 2017 und 2018 könnten eine Rolle spielen. Ich komme auf eine Übersterblichkeit von 28000 bzw. 34000 im betreffenden Zeitraum. In den anderen Jahren war die viel geringer.

  22. #28 Stachelbeere
    22. Juni 2020

    Dann verstehe ich aber ihre Frage nicht, wenn es genügend Studien über genau diesen Zusammenhang gibt.

    > Und mit welchen Argumenten hat er einen langfristigen Zusammenhang auf eine kurzfristige Krisensituation übertragen?

    > An Studien zum Thema Lebenserwartung und ökonomische Krisen mangelt es nicht. Wenn Sie bei Pubmed (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/) z.B. nach economic crisis und life expectancy suchen, finden Sie schnell welche.

  23. #29 Joseph Kuhn
    22. Juni 2020

    @ Stachelbeere:

    “Dann verstehe ich aber ihre Frage nicht”

    Dann überlegen Sie noch einmal, zu welchem Zusammenhang es Studien gibt und welcher Zusammenhang in Raffelhüschens “Studie” infrage gestellt wurde.

  24. #30 Stachelbeere
    22. Juni 2020

    Sie selber haben doch geschrieben, niemand kennt den genauen Zusammenhang zwischen einer kurzfristigen Krise und der Lebenserwartung auf längerer Sicht. Bzw wo ist denn die Studie dazu?

    Und dann, nachdem ich einen Link zu einer Studie verweise, wo genau dieser Zusammenhang beschrieben wird, sagen sie auf einmal. Ja das ist doch alles bekannt. Was den nun?

    Kennen sie jetzt den Zusammenhang einer kurzfristigen Krise und der Lebenserwartung oder kennen sie diesen Zusammenhang nicht?

    Sie können nicht je nach dem wie sie argumentieren wollen einmal diesen Zusammenhang nicht kennen und dann später doch kennen.

    • #31 Joseph Kuhn
      22. Juni 2020

      @ Stachelbeere:

      “Sie selber haben doch geschrieben …”

      Nein, das habe ich nicht geschrieben. Es gibt eine Reihe von Studien dazu, wie sich frühere Krisen auf die Lebenserwartung ausgewirkt haben. Es ist aber nicht bekannt,

      a) ob Raffelhüschen diese Studien und Ihre Methodik überhaupt zur Kenntnis genommen hat,
      b) inwiefern man wie er die langfristige Korrelation zwischen Lebenserwartung und BIP einfach als kausalen Effekt auf den Einbruch des BIP jetzt übertragen kann.

      Sie dürfen beides eher als rhetorische Fragen interpretieren (sprich: mit “nein” beantworten). Ansonsten wäre es nett, wenn Sie auf den pampigen Ton verzichten, falls Sie Antworten von mir haben wollen.

  25. #32 shader
    24. Juni 2020

    @Joseph Kuhn, da fragen Sie mich was. ^^ Ich gebe nur das wieder, was ich mal gelesen habe. Kann sein, dass ich mich da völlig vertue, aber die Lebenserwartung ergibt sich grob aus einem Dreiklang der Faktoren, Genetik, jetzige Lebensgewohnheiten und welche schweren Einschnitte man in den ersten Lebensjahren hatte. Fragen Sie mich nicht, wie weit diese erste Lebensphase gefasst ist, aber scheinbar ist es wohl so, dass schlechte Ernährung oder körperliche Verletzungen sich negativ auf die Lebenserwartung auswirken, nicht nur durch eine Kindersterblichkeit. Wie gesagt, habe ich vor Jahren mal gehört, keine Ahnung ob das Stand des Wissens ist.

    Wir leben in einem Jahrzehnt, wo genau die Generation in ein hohes Alter kommt, die in ihrer frühesten Kindheit etliche Entbehrungen hinnehmen mussten. Meine Elterngeneration beispielsweise kannte noch richtigen Hunger als Kinder.

    Wenn jetzt beispielsweise die Sterbewahrscheinlichkeit der 80-jährigen von 2015 bis 2020 gestiegen ist (also von den Geburtsjahrgängen 1935 bis 1940) oder von den 75-jährigen (Jahrgang 1940 bis 1945), dann hat das doch eine Auswirkung auf die berechnete Lebenserwartung, oder? Wobei man dazu sagen muss, dass es nicht die eine Berechnungsvorschrift für die durchschnittliche Lebenserwartung gibt. Das fängt schon damit an, dass man die Sterbetafeln als Kohorten- oder Perioden-Tafeln ermitteln kann. Dann gibt es noch Tempo-Effekte, die man ggf. kompensieren kann usw. Aber ich will jetzt nicht mit Details langweilen. 😉

    Ich möchte einfach nur als Idee in den Raum werfen, dass es einen Unterschied macht auf für die spätere Lebens- und Gesundheitsentwicklung, ob man seine frühe Kindheit in den 30er oder 40er Jahren oder später in den 50er verbracht hat und sich das auch in den Lebenserwartungszahlen ausdrücken kann.

  26. #33 shader
    24. Juni 2020

    Nur eine unbedeutende Wahrnehmung eines Außenstehenden, ich empfand Stachelbeeres Ton nicht pampig.

  27. #34 Joseph Kuhn
    24. Juni 2020

    @ shader:

    Es wäre gut, ein paar Dinge auseinanderzuhalten.

    Die Abnahme des Gewinns an Lebenserwartung im Zeitverlauf ist ein langfristig zu beobachtender Trend, kein Phänomen der letzten Jahre. Was die Ursachen dafür angeht, lohnt sich, wie gesagt, der Blick auf die Sterbewahrscheinlichkeiten nach Altersgruppen.

    Damit Sie es einfacher haben: Beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung finden Sie dazu übersichtlich aufbereitete Trenddaten. Bei den Kindern gab es einen stark rückläufigen Trend der Sterblichkeit, der die Lebenserwartung lange Zeit angetrieben hat. Dieses Potential ist mehr oder weniger ausgeschöpft.

    Beim BIB können Sie auch nachsehen, ob es zuletzt einen nennenswerten Anstieg der Sterbewahrscheinlichkeiten in der Altersgruppe 80+ gab oder nicht (gab es nicht).

    Dann kann man sich überlegen, welche Einflussfaktoren bei der Zunahme der Lebenserwartung und bei der Abschwächung dieser Zunahme ausschlaggebend waren. Die Demografen sind sich ziemlich einig, dass bei der Kindersterblichkeit die Verbesserung der Lebensbedingungen und die bessere Versorgung rund um die Geburt entscheidend waren, und die Qualität der medizinischen Versorgung bei der zuletzt eher zu Buche schlagenden Zunahme der Hochaltrigkeit. Bei den Lebensbedingungen war das Verbesserungspotential (Ernährung, Hygiene, Unfälle …) früher auch deutlich größer.

    Die Genetik hat sich nicht verändert, sie spielt bei den zeitlichen Veränderungen also nur indirekt eine Rolle (indem sie zeitlich variable Umweltbedingungen triggert). Die Genetik hat natürlich einen erheblichen Einfluss, was Unterschiede der Lebenserwartung zwischen einzelnen Menschen angeht, aber das ist eine andere Geschichte und für die Raffelhüschendaten irrelevant.

    Kohorteneffekte bei der Lebenserwartung gibt es, so wie es viele andere Einflüsse gibt. Ob sich davon etwas in Raffelhüschens “Analyse” niederschlägt, z.B. indem er entsprechende Aktuarssterbetafeln für seine Korrelation benutzt hat, weiß man nicht.

  28. #35 shader
    25. Juni 2020

    @Joseph Kuhn, danke für die Informationen, man lernt hier immer noch was dazu. 🙂 Zum Effekt der Kindersterblichkeit; die Säuglingssterblichkeit war schon zu DDR knapp unter 1%. D.h. wenn ein Säugling im ersten Lebensjahr nicht verstirbt und durchschnittlich 80 Jahre wird, dann entspricht das 0,8 Jahre in der Lebenserwartung. In der Tat ist das Potential zur Steigerung quasi ausgeschöpft. Ich schreibe auch bewusst Säuglingssterblichkeit, denn die Sterbewahrscheinlichkeit sinkt nach dem 1.Jahr deutlich und steigt erst wieder im jugendlichen Alter an.

    D.h. obwohl dieses Potential schon in den 80er Jahren fast ausgeschöpft war, wuchs die Lebenserwartung in den 90er Jahren und nach 2000 noch mindestens 3 Monate im Jahr an. Also scheinen noch andere Faktoren eine Rolle zu spielen.

    • #36 Joseph Kuhn
      25. Juni 2020

      @ shader:

      „Also scheinen noch andere Faktoren eine Rolle zu spielen.“

      Ja, und es steht sogar in meinem Kommentar 😉