Vor ein paar Wochen hatte ich aufgehört, die prozentuale Übersterblichkeit 2020 gegenüber dem Durchschnitt 2016-2019 aus den Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes vorzustellen:
„Das war vorerst die letzte Darstellung dieser Kurven hier im Blog. Die nächste gibt es vielleicht, wenn sich zeigt, dass im Frühsommer 2020 deutlich weniger Menschen sterben als im Durchschnitt 2016-2019, falls also der berüchtigte „Ernteeffekt“ sichtbar wird.“
Heute hat das Statistische Bundesamt die Sonderauswertung bis einschl. der 30. Kalenderwoche veröffentlicht, also bis zum 26. Juli. In der 30. KW lag die Zahl der Sterbefälle in der Altersgruppe 65 Jahre und mehr 5,7 % unter dem Vorjahresdurchschnitt, in Nordrhein-Westfalen waren es sogar 10,3 %.
Ist das der besagte „Ernteeffekt“, also dass gerade weniger alte und gebrechliche Menschen sterben, weil sie schon im April gestorben sind? Oder sehen wir eine Untersterblichkeit aus anderen Gründen? Oder bewegen wir uns einfach auf der Nulllinie mit den üblichen zufälligen Schwankungen?
Interessant ist, dass dem nun seit einigen Wochen zu beobachtenden Anstieg der gemeldeten Corona-Infektionen bisher kein Anstieg der Zahl der Intensivpatient/innen oder gar der gemeldeten Corona-Sterbefälle folgt. Das könnte mehrere Gründe haben, z.B. dass im Zuge der starken Zunahme der Testzahlen (lt. RKI: KW 31: 578.099, KW 32: 730.300, KW 33: 875.524) auch immer mehr asymptomatische Personen getestet werden, dass das Durchschnittsalter der Meldefälle sinkt, also der Anteil der Testpositiven mit geringem Sterberisiko zunimmt, oder vielleicht auch, wie manche schon spekulieren, dass mehr Viren mit geringerer Pathogenität zirkulieren.
Wie dem auch sei. Die Positivenrate, also der Anteil positiver Testbefunde an allen Tests, liegt deutschlandweit derzeit bei etwa einem Prozent, in den letzten drei Wochen ohne relevante Veränderung. Weg ist das Virus nicht. Die Gretchenfrage ist, was macht es in den nächsten Wochen? Wird es wieder in die Heime getragen und werden dann auch die Sterbefälle wieder zunehmen? Ein Risikofaktor dabei sind übrigens Pflegekräfte, die gerade aus dem Urlaub in den Balkanländern zurückkehren und sich dort infiziert haben.
Wenn es in den Heimen wieder mehr Ausbrüche gibt, wie wird man darauf reagieren? Wie gut sind die Heime inzwischen vorbereitet? Wie gut die Gesundheitsämter? Wird man den Ausgleich zwischen dem Schutz vor Infektion und der Lebensqualität der Heimbewohner/innen, zu der ganz elementar auch soziale Kontakte gehören, besser hinbekommen als im Frühjahr, als man die Heime zeitweise regelrecht zugeschlossen hat? Es ist höchste Zeit für gute Konzepte, die das, was man inzwischen gelernt hat, in praktikable Handlungsempfehlungen umsetzen. Für Kitas, Schulen, Betriebe – und mit Blick auf die Sterbefälle vor allem für Heime und Pflegedienste.
Kommentare (17)