Die Tabakindustrie hat es vorgemacht: Um Wissenschaft, die das freie – oder besser gesagt rücksichtslose – Unternehmertum zu stören droht, zu diskreditieren, muss man erstens Zweifel an den wissenschaftlichen Befunden säen, und zweitens bessere Wissenschaft fordern. In einem vielzitierten Strategiepapier der Tabakindustrie heißt es: „Doubt is our product since it is the best means of competing with the ‘body of fact’ that exists in the minds of the general public. It is also the means of establishing a controversy.“
Die bessere Wissenschaft fordert man dann mit Initiativen einer Sound Science Coalition, oder wie auch immer die Maskerade des Angriffs auf die unliebsame Wissenschaft, die einem zu nahe gekommen ist, benannt wird. Einer der letzten Anläufe dieser Art war die „Brussels Declaration“. Solche Appelle lesen sich für normale Leute immer recht überzeugend. Noch überzeugender werden sie, wenn bekannte Wissenschaftler unterzeichnen, oder zumindest viele Professoren. Wenn die naiverweise nicht verstanden haben, was sie da unterzeichnen, umso besser.
Jetzt kann man dieses Spiel bei der „Great Barrington Declaration“ beobachten. Ziel ist, den Eindruck zu erwecken, als ob die Wissenschaft gegen restriktive Coronamaßnahmen sei und für das gezielte Herbeiführen einer Herdenimmunität. Sie wurde von einem mit der amerikanischen Öl- und Tabakindustrie verbandelten „American Institute for Economic Research (AIER)“ auf den Weg gebracht. Harald Walach, der Sachverständige für Kozyrev-Spiegel, bewirbt diese Leimrute, Wolfgang Wodarg, sonst sein Geistesbruder, hat sie nicht unterzeichnet und sieht sich daher unter Erklärungsdruck gegenüber seinem Corona-Widerstands-Milieu.
Nebenan bei den Skeptikern wird kurz darauf hingewiesen, dass inzwischen auch Herr Bhakdi die Erklärung unterstützt, etwas ausführlicher über die Hintergründe der Erklärung kann man sich dazu beim „Volksverpetzer“ und in einem Artikel von Christina Berndt in der Süddeutschen belesen, oder sich auf Recherchetour ins Internet begeben. Keinem wird es an einschlägigen Informationen mangeln.
Ich bin etwas ratlos, wie man mit dieser ewigen Wiederkehr der Desinformation umgehen soll. Als Preprint habe ich heute meinen Stand des Nachdenkens dazu online gestellt. Der Artikel wird im Dezember in der Zeitschrift „Forum Wissenschaft“ erscheinen. Rezepte, wie man das Nachdenken attraktiver macht, habe ich allerdings nicht anzubieten, lediglich ein paar wissenschaftspolitische Schlussfolgerungen, um Evidenzprobleme etwas besser davor zu bewahren, in Interessenkonflikten unterzugehen.
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