„Die meisten Impfgegner gibt es in Baden-Württemberg. Nirgendwo ist die Impfquote niedriger als dort. (…) Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt bei Masern eine Impfrate von 95 Prozent. Im Südwesten liegt sie bei 89 Prozent. Das ist unverantwortlich, denn Masern sind eine hochansteckende und gefährliche Krankheit, an der weltweit jährlich mehr als 140.000 Menschen sterben. In den Waldorfschulen in Süddeutschland sind unglaubliche 30 Prozent der Kinder nicht gegen Masern geimpft. An den staatlichen Schulen sind es gerade mal fünf Prozent. Verantwortlich dafür sind anthroposophische Ärzte und ihre sogenannte ergebnisoffene, neutrale und individuelle Beratung der Eltern.“
Das ist kein Auszug aus einer Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, sondern das steht auf Seite 198 im neuen Krimi „Kreuzberg Blues“ von Wolfgang Schorlau. Seine Politkrimis waren hier auf Gesundheits-Check schon mehrfach Thema, zuletzt “Der große Plan“ über die Finanzmarktkrise.
In „Kreuzberg Blues“ sollte es eigentlich um die Immobilienspekulation in Berlin gehen. Geht es auch, aber nicht nur. Corona kam dem Autor dazwischen und damit die Auseinandersetzung mit den Querdenkern und den coronaskeptischen Verschwörungstheoretikern. Schorlau lebt in Stuttgart ja quasi in einem Querdenker-Hotspot. Im Roman werden diese Leute von einer – typisch deutsch in bürokratischen Gremien organisierten – Gruppe von Geheimdienstleuten instrumentalisiert, die auf einen Umsturz in Deutschland hinarbeiten. Schorlau hat hier in einer ironischen Figur eine deep-state-Verschwörungstheorie in den Roman eingebaut, angelehnt an umstürzlerische Umtriebe im Bonner Innenministerium in den 1950er Jahren.
Ganz harmonisch sind die zwei Teile Immobilienspekulation und Corona in „Kreuzberg Blues“ nicht zusammengewachsen. Stellenweise liest sich der Roman wirklich wie eine BZgA-Broschüre. Vielleicht hätte sich Wolfgang Schorlau noch ein paar Wochen Zeit nehmen sollen, um die Zutaten zu der Geschichte, die er erzählt, besser aufeinander abzustimmen. Ein kriminalistisches Lesevergnügen ist trotzdem dabei herausgekommen, und auch eine ganz passable Kritik an Spekulationen mit Wohnungen und Spekulationen über Weltverschwörungen.
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