Prof. Dr. Norbert Schmacke ist Hochschullehrer am Institut für Public Health und Pflegeforschung in Bremen. Vielen Leser/innen hier dürfte er durch sein Buch „Der Glaube an die Globuli“ bekannt sein oder seine Auseinandersetzung mit dem Homöopathen Jens Wurster.
Seine eigentlichen Themen sind aber die öffentliche Gesundheit und die Versorgungsforschung. In diesem Kontext steht auch sein Gastbeitrag. Er wirbt dafür, bei all dem Gerangel um die Impfprioritäten in Deutschland die Dritte Welt nicht aus den Augen zu verlieren. Es geht dabei übrigens nicht nur um eine Frage internationaler Solidarität, sondern auch um schlichten Eigennutz: Wenn die Viren in der Dritten Welt fröhlich weitermutieren, helfen die Impfstoffe hier vielleicht auch nur noch bedingt.
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Impfen im global village
Norbert Schmacke
Deutschland hat ein Thema: zu wenig Impfstoff! Politikversagen! Diese Melodie singt sich immer gut. Es spricht nichts dagegen, ist vielmehr in einer Demokratie enorm wichtig, mögliche Fehler in der Beschaffung von COVID-19-Impfstoffen aufzudecken. Wer heute behauptet, das alles souverän einschätzen zu können, der ist extrem klug. Es gibt nun aber eine Problematik, die in der öffentlichen Debatte noch dringend medienwirksame Verstärker braucht: die Chancen armer Länder, den Impf-Fortschritt angemessen nutzen zu können. Ein Gebot der Humanität: Da nicken wohl die meisten, aber da gibt es ein paar Unklarheiten. Und mehr als das, für die reichen Länder ist am Ende womöglich wichtiger als das Drängen auf rasche Durchimpfung, dass die Pandemie so zeitgleich wie möglich global gebändigt wird. It’s a pandemic, stupid! Vergessen, wie es in Italien und Deutschland los ging? Das Virus wird einfach gern mit auf Reisen genommen, und es gibt keine dichten Seuchenzäune. Ein paar Informationen zur Erläuterung:
Die WHO hat COVAX ins Leben gerufen. COVAX heißt „Covid-19 Vaccines Global Access“. Covax soll sicherstellen, im Verbund Impfstoff-Dosen bei Herstellern zu kaufen und allen Staaten zuzuteilen, die ihre Teilnahme an COVAX erklärt haben. Bis Ende 2021 sollen mehr als zwei Milliarden Impfstoffdosen bereitstehen. Die ärmeren Länder sollen davon 1,8 Mrd. Dosen erhalten, überwiegend kostenfrei. Ziel: etwa 20 Prozent der dortigen Bevölkerung schützen zu können. Die EU steuert 500 Millionen Euro zu, für die eigene Bevölkerung sind 2,7 Mrd. eingeplant. Man darf gespannt sein, wie sich dies alles konkret entwickelt. Es empfiehlt sich, regelmäßig die internationale „Hitliste“ des Durchimpfungsgrades der Länder anzuschauen – und dabei zu beobachten, ob die Schere größer oder kleiner wird.
Der aktuelle Stand sieht nach Our World in Data so aus:
Es ist jetzt schon klar: Deutschland hat keineswegs die rote Laterne. Ich befürchte, dass die Schere weiter auseinander geht, weil COVAX sympathisch, aber unzureichend ist. Ungeduld in den reichen Ländern kann sich schon bald rächen. Wir leben wirklich in einem globalen Dorf, es ist keine Floskel!
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