Impfen ist ein klassisches Vertrauensthema. Bei keinem Impfstoff, nicht bei Masern, nicht bei Corona, sind Impfversagen einerseits und ernste Nebenwirkungen andererseits ganz auszuschließen. Nicht die Zusicherung hundertprozentiger Wirksamkeit bei absoluter Sicherheit schafft hier Vertrauen, sondern eine nachvollziehbare Abwägung von Nutzen und Risiken. Da wir zumeist keine Impfstoffexpert/innen sind, müssen wir uns hier ein Stück weit auf die zuständigen Behörden verlassen. Und verlassen können. Da ist mir das Hin und Her der STIKO bei AstraZeneca in Abhängigkeit von der jeweils aktuellen Datenlage lieber als vollmundige Behauptungen, die sich im Nachhinein als nicht belastbar herausstellen. Natürlich ist es so, dass Informationen beunruhigen können, vielleicht auch unnötigerweise, wenn man z.B. die Yougov-Umfragen zum Vertrauen in den AstraZeneca-Impfstoff betrachtet. Informationen können unerwünschte Nebenwirkungen haben, das ist das unvermeidbare Risiko der „informierten Entscheidung“. Aber noch beunruhigender ist der Verdacht, nicht aufrichtig informiert zu werden.

Ein besonders heikler Punkt dabei ist das Verhältnis zwischen Staat und Pharmaindustrie. Der Staat ist dem Gemeinwohl verpflichtet. Big Pharma sieht sich vermutlich eher seinen Aktionären verpflichtet, obwohl dort natürlich viele Wissenschaftler/innen arbeiten, die um wissenschaftlich saubere Ergebnisse bemüht sind und aus ganzer Überzeugung etwas für die Gesundheit der Menschen erreichen wollen. Aber der Pharmabereich ist auch eine Welt der knallharten Geschäftsinteressen. Allein in Deutschland ging es 2019 um ein Marktvolumen von 46,4 Mrd. Euro. Viel Geld ist immer viel Versuchung. Die teils milliardenschweren Strafzahlungen der großen Konzerne aufgrund illegalen Geschäftsgebarens oder die Schieflagen zwischen industriefinanzierten Studien und öffentlich finanzierten Studien zeigen nur zu deutlich, dass man der Pharmaindustrie gar nicht genau genug auf die Finger schauen kann. Das ganze Unternehmen der „evidenzbasierten Medizin“ hat sich zu Recht mehr und mehr weg entwickelt von der Kritik althergebrachter Lehrmeinungen hin zur Beobachtung der Pharmaindustrie.

Umso mehr ärgert mich, wenn staatliche Stellen leichtfertig Vertrauen verspielen. Ich meine dabei in dem Fall nicht das Desaster mit den fehlenden Impfstoffen, sondern die Haftungsregelungen, die die EU-Kommission in den Verträgen mit den Impfstoffherstellern getroffen hat. Wiederholt war zu lesen, man habe auch deswegen keine Notfallzulassung vorgenommen, sondern auf einer „bedingten Zulassung“ bestanden, um die Hersteller in der Produkthaftung zu halten. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europa-Parlament, hat beispielsweise im Deutschen Ärzteblatt unmissverständlich gesagt:

„Eine bedingte Zulassung erfüllt die Anforderungen einer ordentlichen Zulassung. Das bedeutet, dass der Hersteller für Schäden haftet und dass Daten genau geprüft werden.“

War das vielleicht nur die halbe Wahrheit? Seit kurzem gibt es Medienmeldungen, nach denen zwar die Konzerne gegenüber Geschädigten in der Produkthaftung bleiben, aber eventuelle Entschädigungszahlungen später vom Staat erstattet bekommen. Die Tagesschau schrieb beispielsweise vor drei Wochen:

„Im Vertrag ist sinngemäß geregelt: Wenn der Hersteller für einen Schaden aufkommen muss, dann übernimmt der jeweilige Mitgliedsstaat diesen Schaden. Diese Regelung schließt also nicht per Vertrag Ansprüche des Geimpften aus. Er kann auch weiter gegen den Hersteller klagen. Im Erfolgsfall würde am Ende aber der Staat die Kosten des Herstellers übernehmen und ihn damit freistellen.

Wenn das stimmt, waren Halbwahrheiten wie die von Peter Liese irreführend. Falls er die ganze Wahrheit kannte, ein Vertrauensbruch. Und wenn man – falls es so war -, deswegen so gehandelt haben sollte, damit Geschädigte erst einmal den Konzernen gegenüberstehen, die denkbar wenig Interesse daran haben, vor Gericht Fehler ihrer Produkte einzugestehen, wäre es ein regelrecht böses Spiel. Ein Vertrag zu Lasten Dritter?

Viel Konjunktiv. Möglicherweise sieht die ganze Wahrheit ganz anders aus, möglicherweise gibt es auch sehr gute Gründe für die getroffenen Haftungsregelungen, egal wie sie aussehen, vielleicht auch nachvollziehbare Bedingungen für eine staatliche Kostenübernahme.

Ohne Konjunktiv: Die Tagesschau hat vor drei Wochen berichtet. Die Sachlage ist nach wie vor unklar, Aufklärung also dringend geboten. Das Abbauprodukt von Vertrauen ist immer Misstrauen. Und Dünger für Querdenker.

Kommentare (14)

  1. #1 Staphylococcus rex
    6. April 2021

    Wir haben hier den Konflikt, dass die Impfstoffhersteller gezwungen sind, Impfstoffe auszuliefern, ohne über alle Risiken (z.B. seltene Nebenwirkungen) Bescheid zu wissen. Eine pragmatische Verteilung der Risiken ist dabei im Interesse Aller. Die beschriebene Lösung, dass die Hersteller bei Impfschäden in Vorleistung gehen und der Staat diese Leistungen ausgleicht, hat aus meiner Sicht den großen Vorteil, dass der Staat im Einzelfall die Zahlung auch verweigern kann.

    Impfschäden durch mangelhafte Qualität einzelner Chargen oder eine fehlerhafte Impfempfehlung durch manipulierte Zulassungsunterlagen sind nach meiner persönlichen Ansicht alleinige Verantwortung des Herstellers und außerhalb der Staatshaftung. Dagegen sind schwerwiegende Nebenwirkungen, die zum Zeitpunkt der Zulassung nicht erkennbar waren, im Verantwortungsbereich der Impfempfehlung und damit der Staatshaftung. Kurz gesagt, für das Produkt und die primären Zulassungsunterlagen ist der Hersteller verantwortlich, für die Impfempfehlung der Staat. Ob es so auch in der Praxis funktioniert, das werden wir sehen.

  2. #2 Ludger
    6. April 2021

    Man beachte die §§ 60 und 61 des Infektionsschutzgesetzes:
    http://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__60.html

    Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)
    § 60 Versorgung bei Impfschaden und bei Gesundheitsschäden durch andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe
    (1) Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

    1.
    von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
    […]

    eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. […]

    Dise Entschädigungen sind wegen der relativ häufigen Schädigungen der damaligen Pockenimpfung seit Jahrzehnten eine Aufgabe des Staates und werden auch bei vergleichsweise harmlosen empfohlenen Impfungen weitergeführt. Es geht dabei aber wohl nicht um Schmerzensgeld.

  3. #3 Joseph Kuhn
    6. April 2021

    @ Staphylococcus rex:

    Wenn der Staat die Produkthaftung im Falle “manipulierter Zulassungsunterlagen” übernehmen würde, wäre das ein Freibrief für Betrug, insofern ist der Hinweis etwas abseitig. Impfschäden entschädigt er übrigens immer, wenn er eine Impfempfehlung ausgesprochen hat, aber das ist eine andere Baustelle.

    Inwiefern “schwerwiegende Nebenwirkungen, die zum Zeitpunkt der Zulassung nicht erkennbar waren”, zwar eine Produkthaftung begründen, die aber vom Hersteller aufgrund der Eilbedürftigkeit der Zulassung nicht getragen werden soll, gleichwohl aber die Produktmängel vom Geschädigten gegenüber dem Hersteller und nicht direkt dem Staat gegenüber geltend gemacht werden sollen, wäre ein Punkt, über den man doch gerne mehr wüsste. Finden Sie nicht? An was konkret dachte man dabei?

    Die Produkthaftung beschränkt sich im Übrigen meines Wissens nicht auf “schwerwiegende” Mängel des Impfstoffs.

    @ Ludger:

    Mir ist nicht ganz klar, worauf Sie hinweisen wollen. Die Regulierung von Impfschäden bei öffentlich empfohlenen Impfungen nach IfSG und die Produkthaftung nach AMG sind zwei unterschiedliche Dinge. In den Verträgen geht es um Letzteres.

  4. #4 Ludger
    6. April 2021

    Diesen Unterschied habe ich bisher nicht verstanden.

  5. #5 Staphylococcus rex
    6. April 2021

    @JK, die Bemerkung auf manipulierte Zulassungsunterlagen bezog sich weniger auf eine vorsätzliche Manipulation, sondern darauf dass zahlreiche Zulassungsbehörden (wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht z.B. in USA oder Indien) darauf bestehen, dass zumindest ein relevanter Anteil der Daten jeweils aus dem eigenen Land kommt, schon um sicherzugehen, dass die Erfassung der Wirksamkeit und der UAW nach den jeweils lokal gültigen Regeln erfolgt. Ich werte dies dahingehend, dass nicht allen Studiendaten das gleiche Vertrauen entgegengebracht wird und dass in einzelnen Ländern eine staatliche Einflussnahme auf die Daten nicht ausgeschlossen wird.

    Befremdlich ist für mich die unterschiedliche Rate an Sinusvenenthrombosen beim AZ-Impfstoff in GB und in D, ob die unterschiedlichen Altersgruppen dies komplett erklären können, bin ich mir nicht sicher.

    Wie konkret die Entschädigung der Betroffenen mit Sinusvenenthrombose nach Impfung mit AZ hier in Deutschland laufen wird, da weiß ich nicht mehr als Sie. In meinem Beitrag ging es mir um die Verantwortlichkeiten, nicht um die konkreten Abläufe.

  6. #6 Joseph Kuhn
    6. April 2021

    @ Ludger:

    “Diesen Unterschied habe ich bisher nicht verstanden.”

    Die Regelung nach IfSG schützt das Vertrauen in die öffentliche Impfempfehlung (bzw. eine gesetzliche Impfpflicht). Die öffentliche Impfempfehlung erfolgt im öffentlichen Interesse, d.h. hier steht der Individualschutz im Hintergrund. Wer dem folgt, hat einen sog. “Aufopferungsanspruch”, weil er etwas für das Gemeinwohl getan hat. Davon sind auch Impfschäden abgedeckt, wenn das Produkt an sich in Ordnung ist und z.B. nur eine individuelle Unverträglichkeit bestand.

    @Staphylococcus rex:

    “Entschädigung der Betroffenen mit Sinusvenenthrombose”

    Der Anspruch nach IfSG ist vermutlich angesichts der Positionierung des PEI unstrittig. Ob auch das Produkthaftungsrecht greift, müssten Juristen beurteilen.

    Mich würde interessieren, ob man, falls der Staat dem Hersteller in bestimmten Fällen tatsächlich die Haftungszahlungen erstattet, dabei solche Fälle vor Augen hatte, oder aufgrund der Eilbedürftigkeit z.B. auch Chargenfehler, oder wie das konkret abgewickelt wird. Nach welchen Kriterien wird über die staatliche Erstattung entschieden? Wer entscheidet? Ein Schiedsgericht? Alles nicht sonderlich transparent.

    Und noch ein interessanter Punkt: Welche Rechtsfolgen haben die Bewertungen von Nebenwirkungen durch die EMA für ein eventuelles Erstattungsverfahren?

  7. #7 Gerhard
    Uppsala
    7. April 2021

    Ich meine, es sollten erst einmal die folgenden Fragen geklärt werden:

    1. Hat die Tagesschau tatsächlich direkten Einblick in die Vertragstexte gehabt? Oder handelt es sich hierbei eher um ein Resultat einer (mehrfachen) “mündlichen Überlieferung”? 😉

    2. Falls Frage 1. bejaht werden kann: Stammt die von der Tagesschau wiedergegebene Interpretation der Vertragsklauseln aus der Feder eines Juristen? Oder eher aus der eines Journalisten?

    Ich will jetzt hier niemanden vorschnell bekritteln, aber auch bei der Tagesschau werden manchmal Fehler gemacht.

    MfG
    Gerhard

    • #8 Joseph Kuhn
      7. April 2021

      @ Gerhard:

      “Hat die Tagesschau tatsächlich direkten Einblick in die Vertragstexte gehabt?”

      Davon würde ich ausgehen. Aber letztlich ist das nicht der springende Punkt. Es gibt analoge Kommentare von Medien, die explizit sagen, ihnen läge die ungeschwärzte Version vor: https://www.n-tv.de/politik/EU-stellte-Astrazeneca-weitgehend-von-Haftung-frei-article22425800.html.

      “Stammt die von der Tagesschau wiedergegebene Interpretation der Vertragsklauseln aus der Feder eines Juristen?”

      Für den Tagesschau-Beitrag zeichnet die ARD-Rechtsredaktion verantwortlich.

  8. #9 hto
    7. April 2021

    Für mich ist das Hin und Her ein klares Zeichen, dass die Pharmakonzerne ohne mit der Wimper zu zucken entschädigungslos verstaatlicht gehören.

    Übrigens: Die sogenannten “treuhänderischen Volksvertreter” verstehen sich auch nur als Staatsbürger, deshalb sind sie vor allem nur ihrem Gewissen verpflichtet!?

  9. #10 Herr Senf
    auf dem Boden
    7. April 2021

    Der Bayer aus Södern hat eine weise Entscheidung getroffen:
    2,5 Mio Dosen Sputnik V für die Untertanen vorbestellt.
    a) mein nächster Urlaub in Bayern B) wähle Söder als Kanzler

  10. #11 hwied
    8. April 2021

    Hto
    Verstaatlichung ist die schlechteste Lösung. Ob ein verstaatlichter Pharmakonzern überhaupt noch einen Impfstoff entwickeln kann, zumindest in absehbarer Zeit, das darf bezweifelt werden.

    Der Sozialismus hatte seine Chance gehabt, und in einer arbeitsteiligen Welt sind staatliche Steuerungen viel zu träge. Heutzutage müssen die Firmen weltweit agieren und konkurrieren.
    Die notwendigen Rohstoffe für die Arzneimittel fallen nicht vom Himmel.

  11. #12 hto
    9. April 2021

    @hwied

    “Verstaatlichung […] in absehbarer Zeit, das darf bezweifelt werden.”

    Ja, das darfst Du alles in gewohnter … tun, aber es wird so kommen: Sozialismus/Kommunismus oder Krieg, wobei ein Bürgerkrieg in den westlichen Ländern wahrscheinlich zum Vorlauf gehören wird – Antwort statt Lösung!?

  12. #13 hto
    9. April 2021

    @hwied: “Die notwendigen Rohstoffe für die Arzneimittel fallen nicht vom Himmel.”

    🙂 Und das grad von Dir 😉

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