Nebenwirkungen von Arzneimitteln, die sich im Verkehr befinden, sind nach diversen Vorschriften gegenüber den Behörden meldepflichtig. Zur Meldung verpflichtet sind z.B. die Inhaber einer Zulassung auf Basis von § 63 c Arzneimittelgesetz (AMG) oder Ärzt/innen auf Basis ihrer Berufsordnung. Patient/innen können freiwillig melden. Das System ist notorisch unzuverlässig und seit langem in der Kritik. Dazu finden sich unschwer umfangreiche Informationen im Internet. Im Folgenden will ich nur auf einen eher peripheren, aber interessanten Punkt aufmerksam machen, der mit der Interpretation des Begriffs “Nebenwirkungen” zusammenhängt. Ein Cave sei vorausgeschickt: Ich bin kein Jurist, vielleicht sehen Medizinrechtler/innen manches anders. Falls eine/r mitliest: Kritik ist willkommen.
Nebenwirkungen sind nach § 4 (13) AMG wie folgt definiert:
„Nebenwirkungen sind schädliche und unbeabsichtigte Reaktionen auf das Arzneimittel. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind Nebenwirkungen, die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich machen, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung, Invalidität, kongenitalen Anomalien oder Geburtsfehlern führen. Unerwartete Nebenwirkungen sind Nebenwirkungen, deren Art, Ausmaß oder Ergebnis von der Fachinformation des Arzneimittels abweichen.“
Aus der expliziten Bestimmung „schwerwiegender Nebenwirkungen“ ergibt sich, dass der Begriff der Nebenwirkung an sich auch leichte Nebenwirkungen umfasst.
Bei Impfstoffen ist die Meldepflicht spezifischer gefasst. Hier gibt es für ernstere Impfkomplikationen für Ärzt/innen und andere eine gesetzliche Meldepflicht: Nach § 6 (1) Punkt 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist „der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“ meldepflichtig. § 8 IfSG bestimmt die Meldepflichtigen.
Bei homöopathischen Arzneimitteln kommt es nach homöopathischer Lehre oft zu einer sog. „Erstverschlimmerung“ der Symptome, bevor eine Besserung eintritt. Man könnte das analog zum „üblichen Ausmaß einer Impfreaktion“ sehen. Aber für die Meldepflicht von Nebenwirkungen bei homöopathischen Arzneimitteln gibt es keine gesetzliche Spezialregelung. Mit den Folgen hat sich die für homöopathische Arzneimittel zuständige Kommission D beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf ihrer 34. Sitzung 2016 beschäftigt. Aus dem Protokoll der Sitzung:
„Die homöopathische Erstverschlimmerung ist ein Hinweis für die korrekte Mittelwahl.
– Sie äußert sich in einer Verstärkung der Symptome der bestehenden Erkrankung und nicht im Auftreten stoffspezifischer, schädlicher Wirkungen.
– Sie ist abzugrenzen von einer Arzneimittelprüfsymptomatik, die in der Homöopathie therapeutisch nicht erwünscht und als Nebenwirkung zu klassifizieren ist, wenn sie schädliche Wirkungen entfaltet.
– Ausgeprägte Erstverschlimmerungen können innerhalb des Systems der Homöopathie mittels Antidotierung aufgefangen werden.Im Anschluss wird das Thema Nebenwirkungen allgemein diskutiert. (…) Der Vorsitzende der Kommission D stellt abschließend fest, dass die homöopathische Erstverschlimmerung zwar eine Reaktion auf das Arzneimittel darstellt, die aber in der Regel die Kriterien „schädlich“ und „unbeabsichtigt“ nicht erfüllt und deshalb nicht als Nebenwirkung zu klassifizieren ist.“
Wenn man so will, hat sich die Homöopathie auch hier einen Binnenkonsens geschaffen. Sachlich sicher vertretbar, weil zumindest Hochpotenzen mangels Inhaltsstoffen keine ernsten Nebenwirkungen haben können. Damit wurde ja das ganze Konstrukt legitimiert, dass diese Mittel nur registriert und nicht aufwändig zugelassen werden müssen, auch wenn die Homöopathie-Szene da nicht unbedingt konsequent ist und kurioserweise selbst schwere Nebenwirkungen für möglich hält. Aber interessant ist die Logik der Kommission D trotzdem, sowohl was die nicht ganz nachvollziehbare feinsinnige Differenzierung zwischen „stoffspezifischen schädlichen Wirkungen“ und der „Verstärkung der Symptome der bestehenden Erkrankung“ angeht (Verstärkung wodurch?), als auch die Bewertung der Erstverschlimmerung als „unschädlich“ und „beabsichtigt“. Die Hinnahme von Impfreaktionen im „üblichen Ausmaß“ deutet das Unerwünschte nicht auch noch um.
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