Oft finden sich in der Süddeutschen Zeitung wichtige investigativ-journalistische Beiträge, manchmal trieft ihr aber auch der Laissez-faire-Mief von 78 Jahren aus den Zeilen. Heute was das mal wieder der Fall. In einem Meinungsartikel polemisiert Nikolaus Piper, der neoliberale Glaubenswächter des Blatts, gegen die Idee, Kriegsgewinnlern wie der Ölindustrie sog. „Übergewinnsteuern“ für ihre Extraprofite aufzuerlegen. Begründung:
„Man sollte sich gelegentlich daran erinnern, dass Deutschland vom Krieg in der Ukraine betroffen, aber nicht Kriegsteilnehmer ist. In Friedenszeiten eine Branche einfach mal mit einer Sondersteuer zu belegen, ist willkürlich und zerstört Vertrauen.“
Schon der belehrende Studienratsstil, man sollte sich „gelegentlich erinnern“, als ob der Ukrainekrieg nicht jeden Tag in jedes Wohnzimmer kommen würde, also sicher keine Frage nachlassender Erinnerung ist, oder das „einfach mal“, als ob es um Gewinne aufgrund normaler Marktschwankungen ginge, zeigt, dass man hier für dumm verkauft werden soll. Eine Übergewinnsteuer wäre „willkürlich“, erfahren wir noch, also moralisch verwerflich, im Gegensatz zu den Kriegsgewinnen, und zerstöre Vertrauen. Mein Vertrauen wird eher durch solche zynischen Kommentare zerstört.
Direkt daneben erklärt Hubert Wetzel, dass es zwar schön wäre, wenn es anlässlich immer neuer Amokläufe und Morden in den USA mit 40.000 Toten jährlich zu schärferen Waffengesetzen kommen würde, aber:
„In der Theorie wäre es die beste Lösung für Amerikas Waffenproblem, jene Waffen, mit denen tausendfach gemordet wird, zu verbieten und zu beseitigen. In der Praxis ist das allerdings unmöglich. (…) Es gibt keine Lösung. Man kann nur versuchen, mit der Tatsache umzugehen, dass die USA ein gewalttätiges und bis an die Zähne bewaffnetes Land sind.“
Daher solle sich das Land doch mal „die Vorschläge der Waffenlobby anschauen“, vielleicht sei es ja „tatsächlich notwendig, an jeden Schuleingang eine bewaffnete Wache zu stellen oder einzelne Lehrer dafür auszubilden und auszurüsten, sich einem Attentäter in den Weg zu stellen.“
Vermutlich gibt es auch in Deutschland Freunde solcher „Bildungsreformen“. Als Rechtfertigung für seine Sicht der Dinge – Bildungsbürger lieben so etwas – zitiert Wetzel eine angeblich „weise Erkenntnis“ des früheren israelischen Präsidenten Peres, „wonach ein Problem, zu dem es keine Lösung gibt, vielleicht gar kein Problem ist, sondern einfach eine Tatsache.“
So ist das. Gewiss. Da kann man einfach nichts machen. Heute schon gar nicht, und morgen auch nicht, sonst hätte sich ja längst etwas geändert. Mit dem Klima ist es dasselbe, genau wie mit der sozialen Ungleichheit, der Wohnungsnot oder der Pflegemisere, alles keine Probleme, weil es doch sichtlich keine Lösung gibt. Vielleicht sollte man auch die Ukraine ihrem Schicksal überlassen. Putin hätte bestimmt kein Problem, dort vor jeden Schuleingang jemanden mit einer Waffe zu stellen. Und über die Kriegsgewinne der Ölindustrie müsste man sich am Ende auch nicht mehr so viel Gedanken machen.
Alternativ könnten sich Piper und Wetzel natürlich auch mit ihrem Kollegen Ronen Steinke beraten. Sein Kommentar zum Thema Kindesmissbrauch, wiederum auf der gleichen Seite, steht unter der Überschrift „Endlich handeln“, gefolgt von konkreten Vorschlägen.
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