Kann Homöopathie helfen, Antibiotika einzusparen? Das soll eine Studie im Auftrag des Bayerischen Landtags herausfinden. Aber wie könnte ein Studiendesign aussehen, über das zu diskutieren sich lohnt? Schließlich sieht nach vielen, sehr vielen Studien die klinische Evidenz für die Wirksamkeit von Homöopathika so kläglich aus wie die naturwissenschaftliche Plausibilität der Wirksamkeit von Nichts. Die Nutzung des Placeboeffekts käme vielleicht infrage.
Um die Studie gab es von Anfang an viel Streit. Zu Recht. Bei so einer Fragestellung ist gründliches Nachdenken vorher, was ein konkretes Studiendesign erwarten lässt, besser als ratloses Grübeln nachher, was die Daten wohl bedeuten mögen. Vor zwei Jahren gab es zu der Studie sogar eine Kritik in der Zeitschrift „Ethik in der Medizin“. Auch bei anderen Studien stellen sich natürlich immer wieder Fragen, ob Nutzen und Aufwand in einem sinnvollen Verhältnis stehen, aber das macht die Sache nicht besser.
Nach einer coronabedingten Pause kommt die Studie jetzt. Ein Budget von 800.000 Euro steht zur Verfügung und in einem Jahr, am 31.1.2024, soll sie schon fertig sein. Eckdaten gibt es bei ClincalTrials. Karl Lauterbach bezeichnet die Studie als „Ohrfeige“ für die evidenzbasierte Medizin:
„Eine „Studie“ ob Homöopathie Antibiotika ersetzen kann? Grotesk. Eine Ohrfeige für die Evidenz-Basierte-Medizin.“
Was er genau meint, ob er Studien zur Homöopathie allgemein für grotesk hält, oder nur solche zur Wirksamkeit von Homöopathika, oder das spezifische Design dieser Studie, weiß man nicht. Ob er es weiß oder ob er einfach der Opposition eins überbraten wollte, weiß man auch nicht. Die eigentliche „Ohrfeige“ für die evidenzbasierte Medizin ist jedenfalls eher der Fortbestand des Binnenkonsenses im Arzneimittelrecht, mit dem sich die Homöopathen in der Kommission D des BfArM nach eigenen Regeln die Wirksamkeit von Homöopathika bestätigen, als gäbe es keinen anerkannten Stand der Wirkungsforschung mit RCTs als methodischem Goldstandard. Den Binnenkonsens könnte Karl Lauterbach als Gesundheitsminister zur Disposition stellen. Er tut es bisher nicht.
Aber über den Binnenkonsens wurde schon oft genug diskutiert. Was die bayerische Studie angeht, wären Antworten auf ein paar konkrete Fragen interessanter:
1. Wie sieht das konkrete Studienkonzept jenseits der knappen Angaben bei ClinicalTrials aus (dort steht: „No study documents available“) und wer hat es entwickelt?
2. Schöpft die Studie mit dem registrierten Design die bereitgestellten 800.000 Euro aus? Wenn ja, auf Basis welcher Kalkulation?
3. Von welchen Annahmen geht die Stichprobengröße von 220 Probandinnen aus?
4. Die Studie ist – was sie ethisch etwas akzeptabler macht – nicht mehr wie anfangs als Studie zum therapeutischen Vergleich von Antibiotika und Homöopathika bei akuter schwerer Krankheit angelegt, sondern als präventive Studie mit Blick auf Rückfälle bei leichteren Harnwegsinfektionen. Nur: Wie passt eine präventive Studie in die homöopathische Krankheitslehre?
5. Dem Registereintrag zufolge ist Frau Dr. Katharina Gaertner, eine bekannte Homöopathin, „study contact backup“. Sie nimmt also eine steuernde Rolle wahr. Kritisch ist nicht, jemanden „vom Fach“ einzubinden, schließlich soll für jede teilnehmende Frau lege artis das richtige Homöopathikum aus einem Fundus von 140 vorab festgelegten Mitteln gefunden werden. Wofür sie darüber hinaus zuständig ist, wüsste man gerne. Wer weiß es?
6. In der Studie sollen Hochpotenzen (C200 und C1000) zum Einsatz kommen. Aus pharmakologischer Sicht ist die Studie somit als Vergleich Placebo A gegen Placebo B angelegt. Das wäre aber eine unethische und forschungsökonomisch unsinnige Fragestellung. Der Studie liegt somit bereits eine Vorannahme zugrunde, dass Homöopathika grundsätzlich wirksam sein können. Akzeptiert man das einmal, müsste die Stichprobengröße mit hinreichender Verlässlichkeit für einen kleinen Alphafehler (Ablehnung der Nullhypothese) sorgen. Aus der Sicht der Bayesschen Statistik ist sie dazu zu schwach, die a priori-Wahrscheinlichkeit der Nichtwirksamkeit zu groß. Eine schwache Studie mehr wird unabhängig von ihrem Ergebnis die recht gefestigte Evidenzlage nicht verändern können. Was genau erwartet man also von der Studie?
7. Welche Konsequenzen hätte ein Ergebnis, das – z.B. aufgrund des Alphafehlers – den Homöopathika einen schwachen Nutzen für die Rückfallprophylaxe zuschreibt, für das ärztliche Handeln? Sollten dann alle Frauen mit einer entsprechenden Vorgeschichte „prophylaktisch“ Homöopathika einnehmen? Wer trägt die Kosten?
8. Schließt die Studie die Kontrolle von Rebound-Effekten einer vermehrten Antibiotika-Gabe infolge verzögerter Behandlung eines Rückfalls bei Frauen ein, die auf die Wirksamkeit der Homöopathika vertrauen?
9. Wie sieht die ärztliche Aufklärung der Probandinnen im Hinblick auf Aussagen zur Wirksamkeit von Homöopathika aus?
10. Da als Studienbeginn der 15.3.2023 bereits fixiert ist, ist davon auszugehen, dass ein positives Votum einer Ethikkommission vorliegt. Ist die Kommission dabei auf solche Punkte eingegangen? Welches Studienkonzept lag ihr vor und ist das Votum der Ethikkommission einsehbar?
11. Warum hat man die Studie nicht ganz anders angelegt und vom Design daraufhin ausgerichtet, ob eine homöopathische Behandlung, mit ordnungsgemäßer Aufklärung, zu einem Verzicht in typischen Fällen einer unnötigen Antibiotika-Anwendung beitragen kann, d.h. ob man den Placebo-Effekt sinnvoll nutzen kann?
Frage 12 ist eine Gretchenfrage: Wer kann oder will diese Fragen beantworten? Früher oder später werden wir es wissen.
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Nachtrag 23.2.2023: Noch eine Frage, die bei jeder Studienplanung zu klären ist: Wenn es bewährte Vergleichstherapien gibt, warum wird trotzdem nur gegen Placebo getestet? Siehe Kommentar #36 von Ludger.
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