Vor einer Woche haben Klima-Aktivisten der “Letzten Generation” Erdöl über das Denkmal „Grundgesetz 49“ vor dem Bundestag gegossen. Die Klima-Aktivisten wollten damit darauf aufmerksam machen, dass das weitere Verbrennen von Erdöl und das Grundgesetz mehr und mehr in Widerspruch zueinander geraten. Danach ging wieder ein Aufschrei durch die Republik. “Demokratieverachtung in Öl“ schrieb das führende Verfassungsschutzorgan der Republik, die BILD-Zeitung. Parteiübergreifend wurde die Aktion als Sakrileg wahrgenommen.
Im heutigen Editorial des Verfassungsblogs kommentiert Maximilian Steinbeis diese Reaktionen – zugespitzt und lesenswert:
„Es ist offenbar nicht allein das Kunstwerk, nicht das Denkmal, nicht das Abbild, das hier als angegriffen wahrgenommen wird, sondern das Abgebildete, die Verfassung selbst. Die Letzte Generation “beschmutze das Grundgesetz”, heißt es. “Die Würde des Grundi ist unantastbar”, so ein Spaßvogel auf Twitter. Die Buchstaben auf den Glasscheiben verweisen nicht nur auf das Grundgesetz, nein: das ist der Text des Grundgesetzes selbst! Die heilige Schrift! Wer sich an ihr vergreift, begeht ein entsetzliches Verbrechen!“
Steinbeis weiter: Die Aktion nähme doch gerade die Rechte in Anspruch, die durch das Grundgesetz geschützt sind. Zudem sei das Grundgesetz kein heiliges Buch, sondern ein Gespräch der Menschen in der Republik mit sich selbst über grundlegende gesellschaftliche Konflikte – in der Vergangenheit der zwischen Kapital und Arbeit, in Zukunft (auch) der um das Überleben der heutigen Jugend.
Es scheint, dass Klimaschutz in Deutschland für viele eine schöne Sache ist, wenn er im Feuilleton “woke” verpackt auf sanften Pfoten daherkommt, mit Empfehlungen, doch mal das Auto stehen zu lassen und nicht so oft zu fliegen. Aber er darf nicht weh tun. Er darf sich auch nicht an den Symbolen der Republik vergreifen, hier den drei Meter hohen Glasscheiben, in die die Artikel des Grundgesetzes eingraviert sind, damit vielleicht auch gegen die Absicht des Denkmals aus dem lebendigen Alltag herausgenommen und stillgestellt. An den Grundfesten der Republik, ihrer Zukunftsfähigkeit, darf man sich dagegen durchaus vergreifen. Der Schmerz des Klimawandels gilt vielen als unvermeidbar, wegen der Arbeitsplätze, wegen Putin, wegen der schönen Gewinne.
Als „radikal“ und „verfassungsfeindlich“ sieht man daher in manchen Kreisen nicht das Verheizen der Zukunft, sondern den Protest dagegen. Das Gespräch der Republik mit sich selbst wird bei diesem Thema absehbar ein lautstarkes Streitgespräch.
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