Vor gut einem Jahr hatte ich mich hier im Blog gewundert, dass das Bundeskanzleramt einerseits die Arbeit des Corona-Expertengremiums als Beitrag zu mehr Transparenz darstellt, andererseits ein Geheimnis aus der Qualifikation der Geschäftsstelle des Gremiums macht.
Nun hat, wie Medien melden, der Frankfurter Arzt Christian Haffner mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes tatsächlich etwas Transparenz geschaffen. Die Qualifikation der Geschäftsstelle ist zwar nach wie vor nicht bekannt, aber die Protokolle der Sitzungen bis Mitte 2022, dem Zeitpunkt von Haffners Antragstellung, sind nun als pdf-Datei auf HiDrive verfügbar. Christian Haffner hat ihre Herausgabe unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz erreicht. Auch das Begleitschreiben des Bundeskanzleramtes ist online abrufbar.
Die Protokolle werden, wie zu erwarten, in der Querdenkerszene skandalisiert. Ich habe sie bisher nur flüchtig überflogen, sie sind zumindest auf den ersten Blick nicht aufregend. Vermutlich ist man im „Milieu“ insgeheim enttäuscht, dass die Protokolle keine Aussagen wie „die Impfungen sind eine gefährliche Gentherapie, aber das verheimlichen wir“ oder „Masken schaden, aber zur Versklavung der Menschen setzen wir sie durch“ oder „Karl, warum trägst du eine Maske“ enthalten, sondern eher trockenen Stoff zum Sachstand der Pandemie. Vielleicht wird man auch bald Verschwörungstheorien dergestalt lesen, dass die Protokolle gefälscht sein müssen, weil die erwarteten Aussagen fehlen. In den Sitzungen wurde übrigens nicht ein Mal über meine Bitte um Auskunft zur Qualifikation der Geschäftsstelle debattiert! Wenn das nichts zu bedeuten hat!! Einen Satz mit drei Ausrufezeichen dürfen Sie sich selbst ausdenken.
Wirklich auffällig ist allerdings, dass Quellen nicht vertieft diskutiert werden. Dies dürfte wiederum damit zusammenhängen, dass die Geschäftsstelle mit einer wissenschaftlichen Kraft und einer Sachbearbeitung personell nicht so ausgestattet war, um eine fundierte Vorarbeit, ggf. auch quellenkritisch, zu leisten. Die Diskussionen spiegeln somit den Wissensstand der Expert:innen wider, den sie, natürlich unter Rückgriff auf die Ressourcen ihrer Institutionen, in die jeweiligen Sitzungen einbringen konnten.
Vermutlich werden die Protokolle in den nächsten Wochen journalistisch noch vertieft analysiert, vielleicht auch mit der Studienlage der Zeit damals oder mit politischen Verlautbarungen damals konfrontiert. Kann sein, dass dabei der eine oder andere kritikwürdige Sachverhalt ausgegraben wird, dann ist das gut so, aber hoffentlich endet es nicht in einer voyeuristischen Suche nach „aufregenden Stellen“. Hilfreicher wäre es, wenn sich aus den Protokollen Schlussfolgerungen für die Arbeitsweise eines solchen Gremiums in einer künftigen Krise ableiten ließen, etwa was die Zusammensetzung angeht, um einseitige Blickwinkel zu vermeiden, oder die Ressourcen zur fachlichen Vorbereitung von öffentlichen Stellungnahmen, oder die Voraussetzungen zur Generierung eines substantiellen Mehrwerts für die Politikberatung. Das wäre ein sinnvoller Beitrag zu der vielfach geforderten „Aufarbeitung“ der Pandemie.
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