Egoisten sind wirtschaftlich – vermutlich – durchaus erfolgreich. Im sozialen Miteinander dürften sie dagegen eher pathologische Beziehungen pflegen. Und ob es volkswirtschaftlich klug ist, wenn jeder nur an sich selbst denkt, weil dann, so ein Bonmot, an jeden gedacht ist? Ob vielleicht sogar alle Bereiche des Lebens am besten so zu organisieren sind? So zu denken gilt spätestens seit Mandevilles Bienenfabel nicht mehr unbedingt als anrüchig. Laster und Gier waren traditionell moralisch schlecht beleumundet, aber Mandeville sah darin Antriebskräfte des Wirtschaftens. Unmoral als Grundlage des Fortschritts – das war sozusagen die ökonomische Version der Heraklit zugeschriebenen Sentenz, der Krieg sei der Vater aller Dinge.

Dass die vielen Egoismen, über Märkte in einen produktiven Wettbewerb miteinander gesetzt, die beste Ordnung der Gesellschaft schaffen, solche Ansichten wurden im 20. Jahrhundert mit einigen Nobelpreisen geadelt, von Hayek bis Becker.

Auf der anderen Seite sind die Stimmen nie verstummt, die den individuellen Nutzenmaximierer homo oeconomicus bestenfalls als „rationalen Dummkopf“ (Amartya Sen) betrachtet haben, und den Glauben an die seligmachende Kraft der Märkte als bloßen Mythos, als säkularisierte Religion. Empirisch hat sich immer wieder gezeigt, dass Solidarität und Kooperation in vielen Fällen die erfolgreicheren Strategen sind.

Hartmut Reiners, Ökonom und über viele Jahre an den Gesundheitsreformen in Deutschland beteiligt, hat nun ein neues Buch dazu veröffentlicht: „Die ökonomische Vernunft der Solidarität“, für 23 Euro in der Edition Makroskop bei ProMedia erschienen. Dazu hier wieder eine 7-Zeilen-Rezension – die Überschrift nicht mitgezählt.

———————–

Zum Weiterlesen:

• Jonathan Aldred: Der korrumpierte Mensch. Die ethischen Folgen wirtschaftlichen Denkens. Stuttgart 2020.
• Franz Knieps, Hartmut Reiners: Gesundheitsreformen in Deutschland. Geschichte – Intentionen – Konfliktlinien. Bern 2015.
• Ulrich Thielemann: Wettbewerb als Gerechtigkeitskonzept. Kritik des Neoliberalismus. Marburg 2010.

Kommentare (22)

  1. #1 Staphylococcus rex
    17. Juli 2023

    Als kleine Ergänzung zu den o.g. Ausführungen möchte ich noch einige Dinge anbringen:
    1. Die Begrenztheit des menschlichen Lebens führt dazu, dass es sinnlos ist, mehr Reichtum anzuhäufen, als man aufbrauchen kann. Irgendwann ist in jedem Fall wieder eine Umverteilung fällig, wir haben nur die Wahl beim Wann und beim Wie.
    2. Der Versicherungsgedanke wurde bereits oben angesprochen. Es gibt aber nicht für jeden Schicksalsschlag die passende Versicherung. Auch wer jetzt zu den Starken gehört, wird sich dann freuen, wenn er dann von der Gesellschaft aufgefangen wird.
    3. Was nützt all der Reichtum, wenn man Gefangener seines eigenen geschützten Rückzugsortes ist? Es ist auch ein Ausdruck von Lebensqualität sich ohne Angst überall frei bewegen zu können.
    4. Die Kategorisierung von Menschen über den ökonomischen Status ist sicher wichtig, aber nicht umfassend. Man kann Menschen auch über Bildung, Interessen, Wertvorstellungen etc. kategorisieren und ich weigere mich, in eine einzelne Schublade einsortiert zu werden. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass ich mich über meine ökonomischen Interessen hinwegsetze.

    Der homo oeconomicus ist also ein sehr vereinfachtes Modell mit all den Unzulänglichkeiten derartiger trivialer Modelle.

  2. #2 Alisier
    17. Juli 2023

    Danke für die Rezension!
    “Sparringspartner” trifft es für mich ganz gut.
    Ein echter Kampf mit Wirkungstreffern sähe anders aus.

  3. #3 Dr. Webbaer
    17. Juli 2023

    Dei allgemeine Wirtschaft folgt keiner Solidarität [1], sondern amoralischem (vs. unmoralischem) Gewinnstreben.
    Insofern macht es aus neoliberaler Sicht Sinn Bedürftige mit einer Sozialleistung zu versorgen, die auch Bürgergeld genannt werden könnte, die auch diejenigen erwischen darf, die gar nicht arbeiten wollen.
    Denn der Aufwand hier fein zu unterscheiden wäre zu groß, als dass die Bürokratiekosten und damit auch verbundene mögliche Übergriffigkeiten, persönliche Ausforschungen des Staates in Kauf zu nehmen wären.
    Denn moderne liberale Demokratien sind mittlerweile so vermögend, dass sie bis zu 50 % (sic) der nicht arbeitenden, teils nicht arbeiten wollenden Bevölkerung versorgen könnten – und auch tun.
    Irgendwann ist natürlich auch Schluss, so ab 50 % geht es dann nicht mehr, just saying …
    Dann arbeiten Andere anderswo.
    Dr. W will sich von dieser Einschätzung nicht ausschließen, good luck Gentlemen mit der anhaltenden antiselektiven und mengenmäßig unbegrenzt scheinenden Immigration in der BRD!
    Nicht nur Milton Friedman erinnerte gelegentlich an diese Grenzen der Funktionalität von liberaler Demokratie mit individuellem Gewinnstreben und Sozialstaat.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    ‘Solidarität’ ist kein gutes Wort, gemeint ist in etwa, dass eine Menge solidar, solid, wie ein fester Monolith ist und der Einzelne nicht mehr aufscheint.
    Statt ‘Solidarität’ wird in liberalen Kreisen von sozialer Verantwortung geredet.
    ‘Solidariät’ nimmt immer auch das Individuelle heraus, ist ein sozialistischer Kampfbegriff.

  4. #4 Neumann
    17. Juli 2023

    Die deutsche Sozialgesetzgebung war einmal richtungsweisend für die Welt.
    Die 5 Säulen der Sozialversicherung sind die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Rentenversicherung, die Pflegeversicherung und die Arbeitslosenversicherung.

    Und diese Versicherungen arbeiten nach dem Solidaritätsprinzip. Das bedeutet ,jeder bezahlt ein, jeder erwirbt eine Anwartschaft , aber nicht alle kommen in den Genuss der Leistungen. Wer vorzeitig stirbt, scheidet aus.
    Wer nie krank wird, scheidet aus, wer nie arbeitslos wird, scheidet aus, wer keinen Unfall hat, scheidet aus.
    So funktioniert das Solidaritätsprinzip. Einer für alle, alle für einen.

    Der zweite große Vorteil ist, dass dieses System unabhängig neben dem Steuersystem existiert, und wenn die Beiträge zu den Versicherungen richtig berechnet sind, muss der Staat keine Zuschüsse aus dem Finanzhaushalt dazu leisten.

    In einer überalterten Gesellschaft kommt dieses System an seine Grenze, wenn die Anwartschaft immer weiter verlängert werden muss, zur Zeit liegt der Renteneintritt bei 67 Jahren.

    Das ist die Schwachstelle, die man mit privaten Lebensversicherungen absichern kann, die privaten Lebensversicherer arbeiten nach dem Deckungsprinzip. Das heißt, sie legen die Beiträge als Kapitalanlage für jeden Versicherten an. Der erhält dann am Fälligkeitstag seine Leistungen unabhängig von seinem Alter. Nach Inflationen sind die Anlagen allerdings auch entwertet und der privat Versicherte geht leer aus.

    Fazit: die Solidarität in der Form der Sozialversicherung ist ein Optimum an Sicherheit. Sie stellt ein eigenständiges Wirtschaftssystem in einem Staat dar.
    Und dieses System ist vernünftig, nicht nur ethisch notwendig..

  5. #5 Joseph Kuhn
    17. Juli 2023

    @ Webbär:

    “‘Solidariät’ nimmt immer auch das Individuelle heraus, ist ein sozialistischer Kampfbegriff.”

    Was Sie nicht alles wissen. Lesen Sie mal nach, was alles Interessantes allein bei Wikipedia zum Begriff “Solidarität” steht.

    Sie scheinen außerdem die Kernthese des Buches von Reiners nicht verstanden zu haben: Es lohnt sich ökonomisch, bestimmte Lebensrisiken solidarisch abzusichern.

    @ Neumann:

    “Wer nie krank wird, scheidet aus, wer nie arbeitslos wird, scheidet aus, wer keinen Unfall hat, scheidet aus.”

    Nicht wirklich. Diese Systeme erbringen auch vielfältige präventive Leistungen und bei der Unfallversicherung machen diese einen relevanten Anteil der Gesamtausgaben aus. Die Unfallversicherung wird bei Reiners allerdings nicht behandelt, sie stellt eine Sonderform der Sozialversicherung dar, weil sie im Kern die Unternehmerhaftpflicht ablöst und die Beiträge daher allein von den Unternehmen getragen werden.

    “So funktioniert das Solidaritätsprinzip. Einer für alle, alle für einen.”

    Daher haben wir nur eingeschränkt solidarische Systeme. Es sind nicht alle dabei.

    “Der zweite große Vorteil ist, dass dieses System unabhängig neben dem Steuersystem existiert, und wenn die Beiträge zu den Versicherungen richtig berechnet sind, muss der Staat keine Zuschüsse aus dem Finanzhaushalt dazu leisten.”

    Im Prinzip ja, allerdings muss der Staat versicherungsfremde Leistungen ausgleichen, seine zugesagten Investitionskosten bei der stationären Versorgung tragen, damit diese nicht aus den kassenfinanzierten Betriebskosten genommen werden müssen, der Risikostrukturausgleich muss funktionieren usw. usw.

    “In einer überalterten Gesellschaft kommt dieses System an seine Grenze … Das ist die Schwachstelle, die man mit privaten Lebensversicherungen absichern kann”

    Wenn am internationalen Kapitalmarkt die nötigen Renditen ohne ausbeuterische Investments zu erwirtschaften sind. Ansonsten siehe oben das Stichwort Mackenroth-Axiom.

    Für Leute wie Sie wäre das Buch wirklich sehr zu empfehlen. Es hilft gegen Halbwissen und Gedankenlosigkeit.

  6. #6 Neumann
    17. Juli 2023

    Die Kunst des Kommentars besteht darin, sich kurz zu halten ohne etwas Falsches zu sagen.
    Das Buch ist ja ein Plädoyer für unser Sozialversicherungssystem, das kritisiert wird.

    Norbert Blüm war der letzte Minister, der sich zum Sozialsystem offen bekannt hat. “Die Rente ist sicher !”

    Was die versicherungsfremden Leistungen betrifft, da haben die Vorgängerregierungen gesündigt. Mit Hartz IV haben sie aus der Arbeitslosenversicherung eine von Steuern finanzierte Sozialleistung gemacht.
    Eine derartige Form von Sozialpolitik läuft in eine Sackgasse ,wenn die Steuereinnahmen nachlassen.

    Dann ist die Solidarität auf den “good will” der jeweilig Regierenden angewiesen.

    • #7 Joseph Kuhn
      18. Juli 2023

      @ Neumann:

      “Norbert Blüm war der letzte Minister, der sich zum Sozialsystem offen bekannt hat.”

      Für die Krankenversicherung war Blüm nicht zuständig. Vielleicht fallen Ihnen da beim Nachdenken noch andere Namen ein.

      Erratum 5.8.2023: In dem Punkt habe ich mich geirrt. Hartmut Reiners in einer Mail dazu: “Das GRG von 1988 und die Neufassung des Zweiten Buches der RVO (Krankenversicherung) im neuen SGB V lagen in seiner politischen Verantwortung. Das BMAS musste 1991 seine Zuständigkeit für die GKV an das BMG abgeben. Es behielt zunächst die Zuständigkeit für die Pflegeversicherung, die aber später auch dem BMG zufiel.”

      “Mit Hartz IV haben sie aus der Arbeitslosenversicherung eine von Steuern finanzierte Sozialleistung gemacht.”

      Nur die frühere Arbeitslosenhilfe ist Teil von Hartz IV. Und die galt zwar als Versicherungsleistung, weil sie von den Arbeitsämtern ausgezahlt wurde, wurde aber schon immer aus Steuermitteln finanziert. In der Bundesrepublik wurde das von Adenauer etabliert.

      “Eine derartige Form von Sozialpolitik läuft in eine Sackgasse ,wenn die Steuereinnahmen nachlassen.”

      Zumindest wird dann politisch darüber diskutiert, so wie bei den Versicherungsleistungen, wenn die sog. “Lohnzusatzkosten” steigen. Das wird dann sogar zum ethischen Thema, zumindest aus der Sicht der derzeitigen Vorsitzenden des Ethikrats, Alena Buyxs, die in einem Interview im SPIEGEL 27/2023 die steigenden Gesundheitskosten praktisch ausschließlich unter dem Blickwinkel der Möglichkeiten der Kostendämpfung betrachtet.

      “Die Kunst des Kommentars besteht darin, sich kurz zu halten ohne etwas Falsches zu sagen.”

      Dabei könnte Ihnen das Buch helfen.

  7. #8 Neumann
    18. Juli 2023

    Kommentare sollten auch provozierend sein. wir sind im Internet, Tausende können mitlesen ,
    Sie haben die Problematik erkannt unter dem Begriff “Lohnzusatzkosten”. Wenn die Löhne zu stark steigen, dann verlagern die Konzerne ihre Arbeitsplätze ins benachbarte Ausland. Bekanntestes Beispiel ist Polen.
    Sogar die Urlauber an der Ostsee machen jetzt Urlaub in Polen, weil die Hotelkosten in Deutschland zu hoch sind.
    Nur mal ein Beispiel von vergangener Woche. Unser Hotel im Pfinztal verlangte pro Person 150 € pro Tag bei Übernachtung mit Frühstück.
    Den Begriff “ökonomische Vernunft” behalten wir jetzt im Hinterkopf. “Solidarität” natürlich auch.
    Bei Familien mit Kindern und Durchschnittseinkommen sind solche Preise nicht mehr bezahlbar. Hier zeigt sich, dass wir schon eine Zweiklassengesellschaft haben.
    Nachtrag: In der Kostendämpfung steckt das Übel, wenn die ärztliche Versorgung gleichzeitig mit gedämpft wird.
    Ihnen empfehle ich das Buch Global Exit von Carl Amery, darin geht es um die Weltwirtschaft und die Rolle der Kirche darin. Eine Verbindung von Ökonomie und Ethik.

  8. #9 Frank Wappler
    https://tools.pdf24.org/de/ocr-pdf
    18. Juli 2023

    Joseph Kuhn schrieb (#5, 17. Juli 2023):
    > […] siehe oben das Stichwort Mackenroth-Axiom.

    Dieses Stichwort ist weiter oben als Kommentar #5 auf dieser Seite jedenfalls nicht unter Zuhilfenahme der Such-Funktion (“<Strg>F”) auffindbar.
    Aber immerhin weiter unten. …

    p.s. — Joseph Kuhn schrieb (16. Juli 2023):
    > […] Hartmut Reiners, Ökonom und über viele Jahre an den Gesundheitsreformen in Deutschland beteiligt, hat nun ein neues Buch […] veröffentlicht: „Die ökonomische Vernunft der Solidarität“, für 23 Euro in der Edition Makroskop bei ProMedia erschienen. Dazu hier wieder eine 7-Zeilen-Rezension […]

    ------- Beginn der Rezension -------

    Die Themen           Schlaglichter aus dem Buch

    Soziale Gerechtigkeit und ökonomische Effizienz

    Reiners will den Sozialstaat rechtfertigen, aber nicht moralisch, sondern ökonomisch. Er
    erinnert daran, dass auch Marx, anders als z.B. Rawls, keine Gerechtigkeitstheorie vorgelegt hat, sondern eine ökonomische Analyse des Kapitalismus. Reiners kommentiert
    aber durchaus auch moralische Ansprüche marktradikaler Autoren, etwa Hayeks
    Freiheitsverständnis. Dieses illustriert Reiners anhand ener wenig bekannten, aber
    kennzeichnenden Aussage Hayeks [S. 46] „I prefer a liberal dictator to democratic
    government lacking liberalism” – also Regierungen, die den Sozialstaat ausbauen wollen,
    den Hayek vor Wesen her als freiheitsfeindlich betrachtet.

    Arbeitslosen-
    Versicherung

    Die Arbeitslosenversicherung ist, so Reiners, ein Versicherungszweig, für den gar keine
    adäquate private Lösung auf dem Markt ist. Das Risiko des Arbeitsplatzverlustes lasse sich
    versicherungsmathematisch nicht kalkulieren, dagegen stünden unabsehbare
    Verwerfungen des Arbeitsmarktes wie Wirtschaftskrisen, Kriege usw. (S. 113). Zudem
    werde gerade an der Arbeitslosenversicherung sehr deutlich, dass es beim Sozialstaat
    längst nicht mehr nur um eine Umverteilung von Geld gehe, sondern um vielfältige
    Aspekte der Reproduktion des Systems, von der Verfügbarkeit gut ausgebildeter
    Arbeitskräfte bis hin zur Abmilderung regionaler Strukturkrisen (S. 114 f).

    Renten-
    versicherung

    Bei der Rentenversicherung macht Reiners auf falsche Versprechen kapitalgedeckter
    Systeme aufmerksam. Sie können beispielsweise demografische Risiken nicht besser
    absichern als das Umlageverfahren, weil volkswirtschaftlich gesehen die für Renten
    verfügbaren Mittel immer aktuell erwirtschaftet werden müssen (Mackenroth-Axiom)
    und nicht wie im privaten Haushalt „angespart” werden können (S. 163). Auch die
    Finanzkrise 2008 habe gezeigt, dass die Anlagen der Versicherungswirtschaft im Krisenfall
    nur über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt abzusichern
    sind (S. 167). Zu Recht bezeichnet er „Generationenbilanzen“ als unsinnig (S. 168f) — sie
    liefern keinerlei Gestaltungsoption für die soziale Absicherung.

    Kranken-
    versicherung

    Hier argumentiert Reiner, dass die PKV für gleiche Leistungen mehr ausgebe und auch
    insgesamt einen höheren Verwaltungsaufwand habe als die GKV. Sie sei ein ineffizientes
    System, auch wenn viele Facharztgruppen mehr Einkommen über die PKV als über die
    GKV erzielen und daher auf dieses System nicht verzichten wollen. Des Weiteren
    diskutiert Reiners den Reformbedarf im Krankenhausbereich und andere Baustellen im
    Gesundheitswesen. Das Grundmotiv des Buches wird auch in diesem Abschnitt deutlich:
    Das Gesundheitswesen ist ein Wirtschaftszweig, der die Gesellschaft funktionsfähig hält,
    kein ressourcenverzehrender Konsum, und sein Wachstum grundsätzlich positiver Natur:
    „Niemand kommt doch auf die Idee, Umsatzsteigerungen etwa von Smartphone-
    Herstellern als Kostenexplosion zu bewerten” (5, 205).

    Pflege-
    versicherung

    Auch die Pflegeversicherung ordnet Reiners als System ein, das familiäre Absicherungen
    und die damit verbundenen Einschränkungen der Familien (teilweise) abgelöst hat. Die
    Pflegeversicherung sieht Reiners vor der Herausforderung, die Trennung von privater und
    sozialer Pflegeversicherung zu überwinden. Beide Zweige finanzieren mehr oder weniger
    die gleichen Leistungen, es gebe aber eine starke Risikoselektion zugunsten der privaten
    Pflegeversicherung.

    Seine zentrale
    Botschaft

    „Der moderne Sozialstaat ist keine Institution zur Verteilung von Wohltaten, sondern wie
    das Bildungssystem und das Verkehrswesen eine unverzichtbare Grundlage der
    ökonomischen Reproduktion“ (S. 240). Steigende Anteile des Sozialstaats am BIP seien
    dabei aufgrund geringerer Rationalisierungspotentiale unvermeidbar, aber durchaus
    finanzierbar, wenn das Dogma, die Sozialabgaben dürften 40 % der Bruttolöhne nicht
    überschreiten, aufgegeben werde (5. 242).

    Fazit: Das Buch von Hartmut Reiners ist ein „Alterswerk” im besten Sinne: kenntnisreich und einordnend.
    Reiners erläutert jeweils die relevanten Strukturmerkmale der vier Versicherungszweige und diskutiert
    dann die titelgebende ökonomische Vernunft der sozialstaatlichen Ordnung gegenüber einer
    privatwirtschaftlichen Organisation. Hier kommen dem Buch Reiners langjährige gesundheitspolitische
    Erfahrungen zugute, er hat einfach viel Hintergrund einzubringen. Man muss nicht allem zustimmen, aber
    da, wo man eine andere Position vertritt, hat man auf jeden Fall einen Sparringspartner auf Augenhöhe.
    Ein „Lehrbuch“ für jedermann, informativ und allgemeinverständlich. Bei der verdienten zweiten Auflage
    sollten ein paar vermeidbare Schreibfehler beseitigt werden.

    ------- Ende der Rezension -------

  9. #10 Dr. Webbaer
    18. Juli 2023

    Werter Herr Dr. Joseph Kuhn, hierzu noch kurz, die Sprache ist wichtig :

    ‘Solidariät’ nimmt immer auch das Individuelle heraus, ist ein sozialistischer Kampfbegriff. [Dr. Webbaer]

    Was Sie nicht alles wissen. Lesen Sie mal nach, was alles Interessantes allein bei Wikipedia zum Begriff “Solidarität” steht.

    Sie scheinen außerdem die Kernthese des Buches von Reiners nicht verstanden zu haben: Es lohnt sich ökonomisch, bestimmte Lebensrisiken solidarisch abzusichern. [Ihre Nachricht im hiesigen Kommentariat]

    Dr. W prüft regelmäßig auch die bekannte Online-Enzyklopädie, nimmt auch ihre politische Lage zur Kenntnis.
    Zur Etymologie :
    -> https://www.etymonline.com/word/solidarity#etymonline_v_23854
    -> https://www.etymonline.com/word/solid?ref=etymonline_crossreference#etymonline_v_23853

    Es ging frühen Kollektivisten darum den Herrschenden eine Menge entgegen zu stellen, die “solid”, “solidarisch” war, nach außen wie eine feste Einheit ausschaute, die Einheit steckt im “Sol”.
    Randbemerkung :
    Die sozialistische “Linksjugend” (hoffentlich passt dieser Begriff, Dr. Webbaer kann sich nur schlecht merken wie der bundesdeutsche SED-Rechtsnachfolger aktuell firmiert) heißt denn auch “[‘solid]” (das mit den eckigen Klammern und dem anführenden Apostroph will Dr. Webbaer an dieser Stelle unkommentiert lassen).

    Ansonsten gab es da keine besonderen Meinungsunterschiede, auch zum von Ihnen Rezensierten nicht, außer dem, dass Dr. Webbaer statt von “Solidarität” von allgemeiner gesellschaftlicher Verantwortung redet.
    Der Staat, der liberaldemokratische Staat, ist eine Veranstaltung und Einrichtung, um wie gemeint in vielerlei Hinsicht gemeinsam abzusichern. [1]

    Mit freundlichen Grüßen und eine schöne Kalenderwoche 29 noch
    Dr. Webbaer

    [1]
    Maggie lag mit ihrer Einschätzung, dass es keine Gesellschaft gebe *, falsch, sie meinte abär wohl zuvörderst den Gag, dass die Gemeinschaft aus Individuen besteht und keine Gruppe, keine Gesellschaft ersetzend für die Einzelnen da steht.

    *
    Die Quelle gerne selbst heraus suchen, Dr. W hat so nähergehend geprüft.

  10. #11 Dr. Webbaer
    18. Juli 2023

    Gerne mal davon ablassen Nachricht in sogenannten Kacheln bereit zu stellen :

    -> https://scienceblogs.de/gesundheits-check/files/2023/07/Reiners_7-Zeilenrezension-373×590.png

    Alternativen gibt es, die durchsuchbar wären, auch von sog. Bots des Webs, Sie wollen sicherlich Reichweite generieren, werter Herr Dr. Joseph Kuhn, unabhängig vom sozusagen Abnibbeln der hiesigen einstmals breiten wissenschaftsnahen Web-Log-Veranstaltung mit dem Namen ‘ScienceBlogs.de’ .

    Ansonsten wäre Dr. Webbaer zitatitiv sozusagen näher eingegangen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  11. #12 DH
    18. Juli 2023

    Der Markt ist ein guter Diener, aber ein schlechter Herrscher, daß etwas nicht stimmen kann mit der reinen Lehre des homo economicus, zeigt schon der Umstand, daß jede Menge Menschen noch übrig sind, die ihn infrage stellen und nicht seinem Bild entsprechen.
    Wäre er “das Ende der Geschichte”, hätte er längst alle anderen “Lebensformen” verdrängt oder stark marginalisiert und es spricht nichts dafür warum das jetzt erst beginnen sollte.
    Der Begriff ist womöglich nicht zufällig gewählt und klingt ganz gerne wie “homo sapiens”, da schwingt auch was sozialdarwinistisches mit.

  12. #13 Frank Wappler
    19. Juli 2023

    Dr. Webbaer (#10, 18. Juli 2023):
    > […] Maggie […] mit ihrer Einschätzung, dass es keine Gesellschaft gebe […]

    Es wundert und amüsiert mich, dass unser Kommentatorfreund Dr. Webbaer das letzte Wort aus diesem Zitat nicht stattdessen als »gäbe« geäußert hat. …

    > Die Quelle gerne selbst heraus suchen, Dr. W hat so nähergehend geprüft.

    Hab ich (auch) so gemacht, und fand den damit verbundenen (an sich unsolidarisch wirkenden) Aufwand doch (auch) recht lohnend;
    insbesondere, weil sich “die Quelle” (bzw., ohne allzu sehr spoilern zu wollen, die sorgfältig archivierte Dokumentation “der Quelle”) schließlich online finden lässt.

    p.s.
    > […] Zur Etymologie […] “solid”

    Bei diesem Stichwort denke ich zuerst an ein Projekt, das mal von Sir Berners Lee angestoßen wurde.
    (Um diese Gedanken ausführlicher öffentlich auffindbar mitzuteilen, oder wenigstens zu archivieren, wäre es hilfreich gewesen, wenn dieses Projekt schon über das bloße Projekt-Stadium hinaus geführt bzw. mit gewissen anderen Projekten integriert worden wäre … &)

  13. #14 Dr. Webbaer
    20. Juli 2023

    OCR halt, hoffentlich lesbar, sonst kachelt Dr. Webbaer gerne noch mal nach :

    Die Themen______Schlaglichter aus dem Buch

    Soziale_________Reiners will den Sozialstaat rechtfertigen, aber nicht moralisch, sondern ökonomisch. Er
    Gerechtigkeit___erinnert daran, dass auch Marx, anders als 2.8. Rawls, keine Gerechtigkeitstheorie
    und_____________vorgelegt hat, sondern eine ökonomische Analyse des Kapitalismus. Reiners kommentiert
    ökonomische_____aber durchaus auch moralische Ansprüche marktradikaler Autoren, etwa Hayeks
    Effizienz_______Freiheitsverständnis. Dieses illustriert Reiners anhand einer wenig bekannten, aber
    ________________kennzeichnenden Aussage Hayeks (S. 46): „| prefer a liberal dictator to democratic
    ________________government lacking liberalism” — also Regierungen, die den Sozialstaat ausbauen wollen,
    ________________den Havek vom Wesen her als freiheitsfeindlich betrachtet.

    Arbeitslosen-___Reiners will den Sozialstaat rechttertigen, aber nicht moralisch, sondern ökonomisch. Er
    versicherung____erinnert daran, dass auch Marx, anders als 2.8. Rawls, keine Gerechtigkeitstheorie
    ________________vorgelegt hat, sondern eine ökonomische Analyse des Kapitalismus. Reiners kommentiert
    ________________aber durchaus auch moralische Ansprüche marktradikaler Autoren, etwa Hayeks
    ________________Freiheitsverständnis. Dieses illustriert Reiners anhand einer wenig bekannten, aber
    ________________kennzeichnenden Aussage Hayeks (S. 46): „| prefer a liberal dictator to democratic
    ________________government lacking liberalism” — also Regierungen, die den Sozialstaat ausbauen wollen,
    ________________den Hayek vom Wesen her als freiheitsfeindlich betrachtet.

    Renten-_________Die Arbeitslosenversicherung ist, so Reiners, ein Versicherungszweig, für den gar keine
    versicherung____adäquate private Lösung auf dem Markt ist. Das Risiko des Arbeitsplatzverlustes lasse sich
    ________________versicherungsmathematisch nicht kalkulieren, dagegen stünden unabsehbare
    ________________Verwerfungen des Arbeitsmarktes wie Wirtschaftskrisen, Kriege usw. (5. 113). Zudem
    ________________werde gerade an der Arbeitslosenversicherung sehr deutlich, dass es beim Sozialstaat
    ________________längst nicht mehr nur um eine Umverteilung von Geld gehe, sondern um vielfältige
    ________________Aspekte der Reproduktion des Systems, von der Verfügbarkeit gut ausgebildeter
    ________________Arbeitskräfte bis hin zur Abmilderungßgionaler Strukturkrisen (S. 114 f).

    Kanken-_________Bei der Rentenversicherung macht Reiners auf falsche Versprechen kapitalgedeckter
    versicherung____ysteme aufmerksam. Sie können beispielsweise demografische Risiken nicht besser
    ________________absichern als das Umlageverfahren, weil volkswirtschaftlich gesehen die für Renten
    ________________verfügbaren Mittel immer aktuell erwirtschaftet werden müssen (Mackenroth-Axiom)
    ________________und nicht wie im privaten Haushalt „angespart” werden können (5. 163). Auch die
    ________________Finanzkrise 2008 habe gezeigt, dass die Anlagen der Versicherungswirtschaft im Krisenfall
    ________________nur über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt abzusichern
    ________________sind (5. 167). Zu Recht bezeichnet er „Generationenbilanzen” als unsinnig (S. 168f) — sie
    ________________liefern keinerlei Gestaltungsoption für die soziale Absicherung.

    Pflege-_________Auch die Pflegeversicherung ordnet Reiners als System ein, das familiäre Absicherungen
    versicherung____und die damit verbundenen Einschränkungen der Familien (teilweise) abgelöst hat. Die
    ________________Pf‌legeversicherung sieht Reiners vor der Herausforderung, die Trennung von privater und
    ________________sozialer Pflegeversicherung zu überwinden. Beide Zweige f‌inanzieren mehr oder weniger
    ________________die gleichen Leistungen, es gebe aber eine starke Risikoselektion zugunsten der privaten
    ________________Pflegeversicherung.

    Seine zentrale__„Der moaerne Sozialstaat Ist keine institution zur verteuung von wonnaren, sondern wue
    Botschaft_______das Bildungssystem und das Verkehrswesen eine unverzichtbare Grundlage der
    ________________ökonomischen Reproduktion” (S. 240). Steigende Anteile des Sozialstaats am BIP seien
    ________________dabei aufgrund geringerer Rationalisierungspotentiale unvermeidbar, aber durchaus
    ________________f‌inanzierbar, wenn das Dogma, die Sozialabgaben dürften 40 % der Bruttolöhne nicht
    ________________überschreiten, aufgegeben werde (5. 242).Fazit: Das Buch von Hartmut Reiners ist ein „Alterswerk” im besten Sinne: kenntnisreich und einordnend.

    Fazit: Das Buch von Hartmut Reiners ist ein „Alterswerk” im besten Sinne: kenntnisreich und einordnend.
    Reiners erläutertjeweils die relevanten Strukturmerkmale der vier Versicherungszweige und diskutiert
    dann die titelgebende ökonomische Vernunft der sozialstaatlichen Ordnung gegenüber einer
    privatwirtschaftlichen Organisation. Hier kommen dem Buch Reiners’ langjährige gesundheitspolitische
    Erfahrungen zugute, er hat einfach viel Hintergrund einzubringen. Man muss nicht allem zustimmen, aber
    da, wo man eine andere Position vertritt, hat man auf jeden Fall einen Sparringspartner auf Augenhöhe.
    Ein „Lehrbuch“ fürjedermann, informativ und allgemeinverständlich. Bei der verdienten zweiten Auf‌lage
    sollten ein paar vermeidbare Schreibfehler beseitigt werden.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  14. #15 Dr. Webbaer
    20. Juli 2023

    Dr. W gibt an, dass ‘gäbe’ besser wäre und Maggie hat einst so verlautbart :

    -> https://www.margaretthatcher.org/document/106689 (‘If children have a problem, it is society that is at fault. There is no such thing as society. [end p30] There is living tapestry of men and women and people and the beauty of that tapestry and the quality of our lives will depend upon how much each of us is prepared to take responsibility for ourselves and each of us prepared to turn round and help by our own efforts those who are unfortunate.’)

    Sicherlich ist Gesellschaft ein sinnhaft gebildetes Konstrukt wie von Maggie fest gestellter Abfolge, sog.. Tapestry. [1]
    Ihre Nichtexistenz liegt nicht vor.

    Sozietät entsteht aber durch Einzelne, die sich zusammen tun, nicht durch Obere, die (gar : gehöriges) Zusammentun von oben bestimmen.


    Gesellschaft ist eng verbunden mit der Bildung der Polis, der Stadt, das Nomandenhafte aufgebend, um dann in einem funktionierenden Verbund, der u.a. auch Wehrmauern, ein Rechtswesen und Aufgabenverteilung kannte, sogenanntes Ständeswesen.
    Insofern heißt es ja auch Gesell(en)schaft und nicht Meisterschaft.


    Maggie hat hier bildhaft geredet, sie wusste auch ansonsten mit Metaphern umzugehen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Opa spielt hier versöhnerisch wie folgt ein :
    -> https://en.wikipedia.org/wiki/Tapestry_(Carole_King_album)
    -> https://www.youtube.com/watch?v=aR5TO2YdjeY
    -> https://genius.com/Carole-king-tapestry-lyrics

  15. #16 Frank Wappler
    21. Juli 2023

    Dr. Webbaer schrieb (#14, 20. Juli 2023):
    > OCR halt, […]

    Ja, sicher.
    Hinsichtlich “understatement” vergleichbar mit Äußerungen wie

    PAV halt.

    oder

    »Diskutier das doch (bitte, lieber) in deinem ScienceBlog.«

    .

    p.s.
    > hoffentlich lesbar, sonst kachelt Dr. Webbaer gerne noch mal nach

    So wenig mich “mein” (#9)

    » ener «

    nachträglich gefreut hat,
    so bemerkenswert finde ich, dass #14 nur wenige Fehler aufweist, obwohl doch anscheinend gar keine Dr.-Webbaer-manuelle-tatzige Korrektur erfolgte!
    (Von

    » Havek «

    wäre dort doch sonst sicherlich nicht zu lesen.)

    Wie heißt es doch so treffend:

    Gib den Lesern von J. Kuhns ScienceBlog die les- und durchsuchbare OCR-Übertragung einer “Kachel” — und sie können (wahlweise) den Inhalt deren Inhalt mit vernünftigem Aufwand lesen, durchsuchen und zitieren.

    Stelle ScienceBlog-Lesern (als auch -Verfassern) mit vernünftigem Aufwand nutzbare OCR-Mittel zur eigenen Verfügung — und sie wollen sich mit eigenen ScienceBlog-Beiträgen beteiligen!

    p.p.s. — Parole des (gestrigen) Tages
    (betreffend unsere epistemologische Dauerdebatte):

    I’d be be curious on Peter’s take on “either you should have a clear physical model in mind or rigorous mathematical basis.”

  16. #17 Dr. Webbaer
    23. Juli 2023

    Dr. W hätte so schon gerne, Kommentarorenfreund Dr. Frank Wappler :

    Hier kommen dem Buch Reiners langjährige gesundheitspolitische
    Erfahrungen zugute, er hat einfach viel Hintergrund einzubringen. Man muss nicht allem zustimmen, aber
    da, wo man eine andere Position vertritt, hat man auf jeden Fall einen Sparringspartner auf Augenhöhe.
    Ein „Lehrbuch“ für jedermann, informativ und allgemeinverständlich. Bei der verdienten zweiten Auflage
    sollten ein paar vermeidbare Schreibfehler beseitigt werden.

    Wir machen auch “Looky” hier :

    -> https://makroskop.eu/22-2023/edition-makroskop-oekonomische-vernunft-der-solidaritaet/ (‘Viele Ökonomen sehen im Sozialstaat nur einen Kostenfaktor. Die Sozialpolitik, obwohl ihr Budget in Deutschland fast ein Drittel des BIP umfasst, spielt nur eine Nebenrolle. Die ökonomischen Eigenarten des Sozialstaats passen nicht in die Welt des Neoliberalismus, der alle sozialen und ökonomischen Beziehungen in seine Kosten-Nutzen-Relationen presst.’)

    Denn genau so ist aus ordoliberaler Sicht unrichtig.

    Es ist so, dass Ordoliberale, wie zum Beispiel Walter Eucken so geredet haben, dass es passt.

    ‘Soildarität’ bleibt halt ein Wort für die Anderen, es geht um gesellschaftliche Verantwortung, auch jedes Einzelnen, die nicht dazu führen muss bis darf, dass Bedürftige sich privaten Wohlfahrtsorganisationen anzuvertrauen hätten, um “über die Runden” zu kommen.

    Auch sind aus diesseitiger Sicht “Man-Sätze” zu meiden, wenn doch klar Meinungsträger und Meinung genannt werden könnten.

    Der Szialstaat passt in die zeitgenösissche Entwicklung der Marktwirtschaft, mit oder ohne Attribut, Václav Klaus, denn diese Welt, dieser Staat zumindest, die meisten Staaten, die sog. liberale Demokratie betreiben, sind in der Lage Bedürftigkeit angemessen abzudecken.


    Wobei es neuerdings einen sozusagen pervertierten Neolibalismus gibt, der aber nicht Euckie und anderen Denkern des Sozialiberalismus passt.

    Dr. W nennt hier einige aktuelle Beispiele, den bundesdeutschen Medien eben aktuell entnommen :

    -> https://www.dw.com/de/arbeiten-bis-70-bald-ganz-normal/a-6110567

    -> https://www.br.de/nachrichten/bayern/ehegattensplitting-abschaffen-die-folgen-laut-ifo-studie,TkRJtSS (K-Probe : ‘Ifo-Institut: Abschaffung könnte Fachkräftemangel lösen’)

    -> https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/steuern-bundesfinanzminister-scholz-will-steuererhoehungen-fuer-besserverdienende/26950138.html


    Dr. W will einmal erklären, wie es in Bälde ausschaut :
    Zeitgenössische AI wird ca. 50 % der Arbeitsplätze, die den kommunikativen Bereich meinen, ersetzen.
    Robotik wird weitere Arbeitsplätze ersetzen :

    -> https://bostondynamics.com/


    Und Arbeit, Dr. W hofft sich hier klar ausgedrückt zu haben, wird sogenannte NPCs weitgehend ersetzen und wie gemeinte Fachkräfte werden absehbarerweise den sogenannten High End Bereich durchsetzen.

    Es wird sich i.p. Arbeit alsbald Alles ändern.

    Sozialstaat muss umgedacht werden, aber nicht so wie weiter oben zitiert.
    Von sozialistischen Bemühungen hat Dr. Webbaer abzuraten, wobei es so kommen könnte, einige scheinen bereits darauf zu setzen.
    Vermutlich unwissentlich, zeitgenössische AI mit ihren Wirkfolgen verkennend.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der also insgesamt zu neuen wirtschaftstheoretischen Ideen und Ideologien anrät, hier besteht auch einem gewisse Zeitnot)

  17. #18 Frank Wappler
    24. Juli 2023

    Dr. Webbaer schrieb (#17, 23. Juli 2023):
    > Dr. W hätte so schon gerne, Kommentarorenfreund Dr. Frank Wappler : […]

    Da ich mich durch Kommentar #17 zwar namentlich deutlich angesprochen sehe, inhaltlich aber womöglich weit weniger, möchte ich im (auch höflicher Weise zu leistenden) Gegenzug hiermit wenigstens meine Verwunderung äußern, dass die (doch recht bekannt und aus meiner Sicht in vielfacher Weise relevante) Phrase
    »warm, satt, sauber«
    in der bereitgestellten Suchfunktion dieses ScienceBlogs offenbar (noch) gar nicht auffindbar ist (wobei ich nicht ausschließe, dass sie doch in irgendwelchen “Kacheln” verborgen wäre); und auch darüberhinaus in diesem ScienceBlog offenbar (noch) nicht gebraucht wurde.

  18. #19 Joseph Kuhn
    5. August 2023

    Rainer Schlegel sieht alles anders:

    In der Süddeutschen ist heute ein Interview mit dem Präsidenten des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel. Er fordert eine Begrenzung der Sozialausgaben auf 30 % des BIP. Begründung: “um den immer weiteren Anstieg zu verhindern.”

    Was ist das für eine Begründung? Schlegel ist Jurist. Eine juristische Begründung ist es aber nicht. Eine sozialpolitische auch nicht. Eine wirtschaftspolitische? Dagegen spricht die Argumentation von Hartmut Reiners.

    Ergo: Schlegel gibt hier eher das ideologische Alltagsbewusstsein der Privilegierten wieder, dass vom Kuchen der Volkswirtschaft nicht zu viel für Soziales ausgegeben werden soll. Ich plädiere ja dafür, dass die Ausgaben für Erdbeereis begrenzt werden müssen. Begründung: “um den immer weiteren Anstieg zu verhindern.”

    Das Interview ist auch sonst aufschlussreich. Schlegel schließt sich beispielsweise der altbackenen Kritik am relativen Armutsbegriff an, weil 1.000 Euro mehr für jeden an der so gefassten Armutsquote nichts ändern würden. Das stimmt, aber der relative Armutsbegriff will darauf aufmerksam machen, dass die soziale Ungleichheit im Land nicht zu groß werden soll, er zielt nicht darauf ab, wie groß der caritative Bedarf an Mildtätigkeit für Hungernde ist.

    Der Wind im Land dreht sich sichtlich wieder in Richtung, dass die kleinen Leute den Gürtel wieder enger schnallen sollen. Corona, Klimawandel und Putin, die drei apokalyptischen Reiter unserer Zeit, fordern ihren Tribut.

  19. #20 Staphylococcus rex
    7. August 2023

    Noch eine kleine Ergänzung zu absoluter und relativer Armut: Menschen haben nun einmal Grundbedürfnisse, die befriedigt werden müssen. Vereinfachend gesagt, absolute Armut erzeugt Aufruhr, relative Armut (=Ausschluss von der gesellschaftlichen Teilhabe) erzeugt Illoyalität. Die Illoyalität mag bei ruhigen äußeren Bedingungen nicht so sehr auffallen, aber wenn eine Gesellschaft sich in einer Krisensituation befindet, dann kann die Loyalität oder Illoyalität relevanter Bevölkerungsschichten der Faktor sein, ob eine Gesellschaft diese Krise meistert oder nicht.

    In meiner Wahrnehmung sind z.B. die französischen Vorstädte Bereiche mit einer hohen Quote an relativer Armut. Wer illoyal gegenüber dem Staat ist, ist auch eher bereit, sich gewaltsamen Protesten anzuschließen, was dort auch regelmäßig passiert.

    Die Grenze von 30% BIP für Sozialausgaben ist aus meiner Sicht nicht in Stein gemeißelt. Eine Gesellschaft braucht Unternehmerpersönlichkeiten, die neue Firmen und Geschäftszweige aufbauen, eine Gesellschaft braucht aber auch ihren sozialen Frieden. Wenn die Arbeitsproduktivität steigt, dann dürfen es ggf. auch mehr als 30% sein.

  20. #21 Stefan Zander
    OBERKIRCH
    21. August 2023

    #19 soll die beste Antwort sein ? Really? Die Wahrheit sieht wohl anders aus.

    • #22 Joseph Kuhn
      21. August 2023

      @ Stefan Zander:

      Leider ist der Kryptologe Klaus Schmeh auf den Scienceblogs nicht mehr aktiv. Daher wird man nur erfahren, was Sie sagen wollten, wenn Sie sagen, was Sie sagen wollten.