Vor gut zwei Jahren waren hier Informationslöcher rund um die Impfstoffbeschaffung schon einmal Thema, da ging es um die Haftungsregelungen. Inzwischen gibt es hunderte Klagen gegen die Impfstoffhersteller, zuweilen von recht dubiosen Anwälten begleitet.

Aktuell stehen bei den Medien die Impfstoffkosten auf der Agenda. Am Samstag hat die FAZ gefragt: „Was hat die EU-Impfkampagne gekostet?“ Die Antwort musste die FAZ allerdings mehr oder weniger schuldig bleiben: Weder der Europäische Rechnungshof noch die EU-Abgeordneten erhalten vollen Einblick in die Verträge. Die FAZ schreibt weiter, dass der Europäische Rechnungshof die Kosten im Sommer 2022 auf 71 Milliarden Euro geschätzt hat.

Wenn solchen Summen im Raum stehen, kostet Vertraulichkeit das Vertrauen der Bürger:innen. Umso mehr, wenn „von der Leyen offenbar Details der Bestellungen mit Pfizer-Chef Albert Bourla per Textnachricht austauschte“, so die FAZ – und die Textnachrichten gelöscht sind. Wer Verschwörungstheoretikern Wasser auf die Mühlen leiten will, muss genau so vorgehen.

Kommentare (14)

  1. #1 Staphylococcus rex
    19. Juli 2023

    Die 71 Milliarden Euro klingen plausibel. Gerade in der Anfangszeit wurden deutlich mehr Impfdosen bestellt als wirklich benötigt wurden. Der Preis je Impfdosis ist natürlich Verhandlungssache. Ich erinnere mich an Veröffentlichungen im Ärzteblatt aus dem ersten Halbjahr 2021, wo von Preisen zwischen 10 und 20€ je Dosis die Rede war. Bei einer engen Marktlage können aber auch Preise von 40€ real sein.

    Eine (sehr grobe) Überschlagsrechnung könnte in etwa so aussehen: Je EU-Bürger wurden 8 Impfdosen zu je 20€ bestellt und gekauft, das wären dann ca. 160€ Impfstoffkosten je EU-Bürger, wenn man dies auf ca. 450 Mio. EU-Bürger hochrechnet, landen wir bei ca. 72 Milliarden Euro.

    Angesichts der wirtschaftlichen Schäden der Corona-Pandemie sind dies immer noch moderate Zahlen.

    Einzelne Firmen haben sicher auch enorme Gewinne eingefahren. Andererseits gab es zu Beginn der Pandemie über 100 registrierte Projekte zur Impfstoffentwicklung, von denen nur ein geringer Teil auf den Markt kam. Wenn in einem Gedankenexperiment ein Wagniskapitalgeber in alle diese 100 Projekte investiert hätte, dann wäre es eine spannende Frage, ob die Gewinne der wenigen erfolgreichen Produzenten die Verluste der abgeschlagenen Teilnehmer kompensiert hätten. In der Frage der wirtschaftlichen Aufarbeitung der Impfkampagne wäre es deshalb auch interessant zu wissen, wie viele staatliche Zuschüsse es für die Entwicklung gegeben hat. (ich kann hier nur grob schätzen, aber um einen Impfstoff soweit zu bringen, dass die ersten Verträglichkeitsprüfungen am Menschen durchgeführt werden können, würde ich etwa 100 Mio.€ veranschlagen, das macht bei 100 Projekten einen Gesamtsumme von 10 Milliarden Entwicklungskosten).

    Der Forderung nach mehr Transparenz kann ich mich nur anschließen.

  2. #2 Alisier
    19. Juli 2023

    Transparenz? Ja klar.
    Aber was heißt das genau in den jeweiligen konkreten Fällen?
    Selbst wenn man sich alle erdenkliche Mühe gibt Dinge haarklein zu erklären und aufzudröseln, ist genaues Zuhören der Betroffenen, Gemeinten und Involvierten nicht garantiert.
    Und auf das zu reagieren, was (oft aus egoistischem der Mehrheit nicht dienlichen Interesse) Nicht-Wohlgesinnte vorbringen kostet Nerven, Zeit und Kraft.
    Das Beispiel Tempolimit und die Versuche das Ansinnen zu diskreditieren trotz guter Datenlage und breiter Transparenz zeigt das Dilemma.
    Also: ich verstehe den Impuls bei einer akuten Notlage die Transparenz erst mal teilweise außen vor zu lassen. Vorausgesetzt sie wird dann später nachgereicht.
    Das sollte machbar und auch üblich sein.

  3. #3 RPGNo1
    19. Juli 2023

    Inzwischen gibt es hunderte Klagen gegen die Impfstoffhersteller, zuweilen von recht dubiosen Anwälten begleitet.

    Hier ist der Artikel ohne Bezahlschranke.
    https://www.spiegel.de/panorama/klagen-gegen-biontech-und-moderna-wie-ein-anwalt-von-mutmasslichen-impfopfern-verschwoerungserzaehlungen-verbreitet-a-310ebf00-515e-4456-b649-0cd28c464a01

    Einige Highlights:
    – Tobias Ulrich ist Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht (!) und wurde durch den VW-Dieselskandal bekannt, weil er 2016 einen Prozess für seinen Mandanten gewann. Ein Fachanwalt für Medizinrecht ist er jedenfalls nicht, auch wenn er dies auch seiner Homepage bewirbt.
    – Beim MWGFD ist Ulbrich auch bereits aufgetreten und bewegt sich auch sonst im Umkreis der Leerdenker.
    – Josef Holnburger bescheinigt Ulbrich ein “geschlossen verschwörungsideologisches Weltbild”.

    [Edit: Aus Urheberrechts- und Datenschutzgründen den archive.is-Link durch den Original Spiegel-Link ersetzt, JK]

  4. #4 Staphylococcus rex
    19. Juli 2023

    Dem Wunsch nach Transparenz steht der Wunsch der Herstellerfirmen entgegen, bei Großaufträgen Vertraulichkeit zu vereinbaren. Nach meiner persönlichen Meinung ist der Wunsch nach Vertraulichkeit aber nur für einen begrenzten Zeitraum nachvollziehbar, solange Verhandlungen mit anderen Interessenten laufen und es um aktuelle Geschäftsgeheimnisse geht.

    Da es hier um öffentliche Gelder geht, wiegt nach meiner Ansicht bei einer späteren Aufarbeitung das öffentliche Interesse an Transparenz schwerer als das Interesse der Firma am Schutz von (kurzfristig bedeutsamen) Geschäftsgeheimnissen. Wenn Frau von der Leyen sich in Schweigen übt, sollte das EU-Parlament Druck ausüben, um die Vertragsdetails zu publizieren.

  5. #5 Staphylococcus rex
    19. Juli 2023

    Ich bin kein Jurist, aber da es hier um öffentliche Gelder geht, sind der Vertragsfreiheit nach meiner Meinung Grenzen gesetzt. Das würde z.B. bedeuten, dass eine Vertraulichkeitserklärung zeitlich befristet werden muss (z.B. auf maximal 3 Jahre). Für derartige Situationen gibt es den etwas schwammigen Begriff “sittenwidrig”.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Sittenwidrigkeit_(Deutschland)

  6. #6 naja
    19. Juli 2023

    Aber Textnachrichten sind doch eigentlich nie wirklich gelöscht, oder?

  7. #7 Bert
    19. Juli 2023

    Der kroatische EU-Abgeordnete Mislav Kolakušić meint, die EU hätte 4,5 Milliarden Impfdosen gekauft; also pro Nase ca. 10.
    Einerseits kann ich mir nicht vorstellen, dass so einer vor der Kamera lügt. Andererseits habe ich keine Bestätigung gefunden.
    Weiß jemand mehr?

    https://twitter.com/mislavkolakusic/status/1580132343758540800

  8. #8 PDP10
    19. Juli 2023

    @Bert:

    Das stimmt zwar ungefähr, aber die waren nicht nur für Europa gedacht, sondern auch für Partnerländer als Teil einer Weltweiten Impfkampagne.

    https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/coronavirus-response/safe-covid-19-vaccines-europeans_de

    Dass die Verträge mit den Herstellern der Impfstoffe zu großen Teilen unter Verschluss sind, finde ich auch ausgesprochen ärgerlich – u.a. aus von Joseph Kuhn oben genannten Gründen. Aber was ansonsten allerlei Zahlen zu so ziemlich allem was in der EU so vor sich geht, angeht, kann man denen wirklich keine Intransparenz vorwerfen. Die Web-Seiten der EU sind da sehr ausführlich. Man muss sie nur mal lesen.

    • #9 Joseph Kuhn
      20. Juli 2023

      @ PDP10:

      “Aber was ansonsten allerlei Zahlen zu so ziemlich allem was in der EU so vor sich geht, angeht, kann man denen wirklich keine Intransparenz vorwerfen.”

      Naja, da ist schon noch Luft nach oben, siehe z.B. hier, oder hier, oder hier

  9. #10 PDP10
    19. Juli 2023

    @naja:

    Aber Textnachrichten sind doch eigentlich nie wirklich gelöscht, oder?

    Kommt drauf an. Wenn das SMS waren. Doch. Dafür die Nachrichten auf irgendwelchen Servern zu speichern, war SMS nie gemacht und ist es auch heute nicht.
    Bei den handelsüblichen Messangern wie WhatsApp ist das allerdings wieder was ganz anderes.
    Hängt davon ab.

    • #11 Joseph Kuhn
      20. Juli 2023

      @ PDP 10:

      “Wenn das SMS waren. Doch.”

      Ja, waren es wohl. Und von der Leyen hat da schon aus ihrer Zeit als Verteidigungsministerin einschlägige Erfahrungen. Sie nimmt Datenschutz eben ernst 😉

  10. #12 Uli Schoppe
    20. Juli 2023

    Das Nutzen von SMS dient an dieser Stelle einfach der Intransparenz. Man muss nun wirklich nicht Verschwörungstheoretiker sein um da drauf zu kommen. Wenn Transparenz an der Stelle den Politikern und Politikerinnen mehr Arbeit macht ist das nicht wirklich mein Problem. Dein Job deine Probleme. Mich fragt da auch keiner. Willkommen in der marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft. Offenbar wollen das ja alle so (wenn es andere trifft). Rücksicht und Fürsorge war gestern.

  11. #13 Dr. Webbaer
    26. Juli 2023

    Ergänzend :

    -> https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/von-der-leyen-nervoes-eu-staatsanwalt-ermittelt-wegen-pfizer-deal-li.281403 (‘Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hatte den Deal mit Pfizer-Chef Albert Bourla an sich gezogen. Das Volumen soll laut MDR etwa 35 Milliarden Euro betragen haben.’)

    Leider kann bis will die EU keine Auskunft zu den genauen Vertragsbedingungen geben.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  12. #14 Dr. Webbaer
    26. Juli 2023

    Verglichen werden darf möglicherweise auch so :

    -> https://www.tagesschau.de/inland/handy-von-der-leyen-101.html

    Transparenz ist von Mandatsträgern grundsätzlich von den Mandatierenden zu erwarten; wird hier quergeschossen, wird sich ausgeredet und auf Geheimhaltung verwiesen, müsste etwas faul sein.

    Dr. W kann sich Kommentatorenfreund ‘Staphylococcus rex’ nur anschließen.

    Sind denn die grundsätzlichen Vertragsdaten mittlerweile bekannt?
    (Ursula von der Leyen mag hier Nebenverabredungen getroffen haben, rechtsgültig bleibt der Vertragstext.)

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer