Die Bildzeitung, das medizinische Fachblatt für alle, denen eh egal ist, was stimmt, hat neuerdings einen Narren an der Homöopathiedebatte gefressen. Vor kurzem schon hat sie über die von Karl Lauterbach zu Jahresbeginn geplante Streichung der Homöopathie als Kassenleistung berichtet und nach zunächst homöopathiekritischer Kommentierung anschließend auch die Homöopathiefreunde bedient.

Am Montag hat sie nun eine „aktuelle Studie“ der Krankenkasse Securvita, der Krankenkasse für Globulifreunde, vorgestellt. In den üblichen Großbuchstaben wird der Homöopathie-Hammer angekündigt: „Aktuelle Studie: Überraschende Erkenntnisse im Globuli-Streit“.

Demnach habe sich gezeigt, dass Anwender von Homöopathie weniger Antibiotika brauchen, weniger Schmerzmittel bei Krebs und bei Depressionen seltener krankgeschrieben werden oder ins Krankenhaus müssen. Die Ergebnisse sehen richtig beeindruckend aus, hier zum Beispiel zum Antibiotika-Einsatz:

Eine wissenschaftliche Veröffentlichung zu dieser „Studie“ habe ich nicht gefunden, aber bei der Securvita ist eine pdf online mit einem Artikel „Securvita-Studie zur Homöopathie: Wirtschaftlich und wirksam“. Über die Methodik der Studie erfährt man leider nicht viel:

„Für diese Versorgungsstudie wurden erstmals die Daten von mehr als 15.700 Versicherten der SECURVITA, die mindestens drei Jahre lang regelmäßig in Behandlung bei homöopathischen Kassenärzten waren, mit einer gleich großen Kontrollgruppe ohne Homöopathiebehandlung verglichen.“

Die Gruppen waren also „gleich groß“. Das ist ein völlig irrelevantes Merkmal. Wenn eine Gruppe dreimal so groß wie die andere gewesen wäre, wäre es auch gut. Interessanter wäre, wie sich die Gruppen zusammengesetzt haben, z.B. nach Sozialstatus, Vorerkrankungen, Geschlecht, bei den Erwachsenen nach Alter usw. Und richtig aussagekräftig wäre die „Studie“ gewesen, wenn man die Zuweisung zu den Gruppen randomisiert und verblindet vorgenommen hätte. So vergleicht man vermutlich Versicherte, die Homöopathie anwenden, um auf die „Schulmedizin“ zu verzichten. Dass das in vielen Fälle geht, ohne dass man gleich tot umfällt, ist nicht weiter überraschend. Ob es langfristig und bei allen Versicherten gut geht, weiß man nicht. Die Fälle wurden nur über drei Jahre verfolgt und eine Differenzierung nach Schweregrad der Erkrankungen usw. wurde, wie gesagt, nicht vorgenommen, zumindest nicht beschrieben. Insofern ist die „Studie“ nicht mehr als Homöopathie-Werbung unter Irreführung der Leser:innen. Über die Wirksamkeit von Homöopathika sagt sie gar nichts aus.

Nichts Neues also, das kennt man von der Homöopathielobby. Aber: Auch die „Studie“ selbst ist nicht neu. Die pdf auf der Securvita-Seite fängt mit Seite 6 an und hat selbst kein Impressum und keine Zeitangabe. Da liegt es nahe, nach der Gesamtpublikation zu suchen. Und siehe da, der Beitrag ist aus der Zeitschrift „Securvital“ der Krankenkasse, und zwar der Ausgabe 4/2020. Auch Aktualität ist bei der Bildzeitung offensichtlich relativ – wobei sie unter die Grafiken immerhin “Stand 2020” dazuschreibt.

Was bleibt noch dazu zu sagen? Die ominöse „Studie“ ist 2021 in einer Kommentarspalte hier schon einmal auffällig geworden. Eine Veröffentlichung dazu wurde schon damals vermisst. Jetzt hat sie es, nach all den Jahren, immerhin in die Bildzeitung gebracht. Wenn die Bildzeitung nächste Woche die Erfindung der Glühbirne ankündigt, ist das dann wirklich Science of tomorrow.

Kommentare (12)

  1. #1 Ludger
    12. April 2024

    Dieses Studiendesign ist wegweisend. Als Beispiel nehme man folgende noch durchzuführende Studie mit einem gleichwertigen Design:

    „Für diese Versorgungsstudie werden die Daten von mehr als 15.700 Versicherten die eine Krankenhausbehandlung hatten, mit einer gleich großen Kontrollgruppe ohne Krankenhausbehandlung verglichen.“

    Oh, da kommt ja heraus, dass ein schwer kranker, krankenhauspflichtiger Mensch ein höheres Sterberisiko hat als ein ambulant behandelbarer Mensch. Ob das an der überlegenen ambulanten Therapie liegt?

    • #2 Joseph Kuhn
      12. April 2024

      @ Ludger:

      Ich fürchte, Ihr Vergleich hinkt. Beidseitig. Aber ich erkenne die gute Absicht 😉

      Was die Bildzeitung wohl mit ihrer Homöopathieberichterstattung erreichen will? Früher war sie klarer in der Richtung. Fehlt der spiritus homöopathicus?

  2. #3 Ludger
    12. April 2024

    @JK. bzgl. “hinkt”
    Was ich sagen wollte:
    Das Einordnen in die Gruppen Homöopathie ja/nein oder in meinem Vergleich Krankenhausbehandlung ja/nein ist kein Matching sondern eine Auslese, die Einfluss auf das Endergebnis hat, also ein Bias. So kann man Ergebnisse schon vor Studienbeginn planen.

    • #4 Joseph Kuhn
      12. April 2024

      @ Ludger:

      Was bei der “Studie” gemacht wurde, was da eigentlich miteinander verglichen wurde, weiß man einfach nicht. Sie zeigt nichts.

  3. #5 rolak
    12. April 2024

    hat neuerdings einen Narren an der Homöopathiedebatte gefressen

    ob nun an HD oder an pommes de terre glacées – sie hat eben nicht, sondern läßt ihn offensichtlich weiter für sich schreiberlingen.

  4. #6 PDP10
    12. April 2024

    Günter Wallraff hat mal (nachdem er unter falschem Namen mal eine Zeit lang als Redakteur bei der “Bild” gearbeitet hat) sinngemäß gesagt:

    “Das so viele Leute die “Bild” lesen ist nicht das Problem. Das Problem ist das die meisten nichts anderes lesen.”

    Und ich bin sicher, die Leute von der “Bild” wissen das ganz genau. Der Zynismus dabei ist schwer zu überbieten.

    Zu diesem Zynismus gehört auch: Die “Bild”, WELT und andere Publikationen des Axel-Springer-Verlags sind immer ganz vorne mit dabei anderen Medien – den Öffentlich-Rechtlichen insbesondere, aber auch anderen Zeitungen – Agenda-Journalismus vor zu werfen.
    Agenda-Journalismus ist allerdings etwas, dass die Publikationen des Axel-Springer-Verlags erfunden haben und seit den 60er Jahren betreiben.

  5. #7 rolak
    13. April 2024

    Breaking News

    Gestern ganz vergessen: Auch bei mir steigt bei solchen ‘Nachrichten’ der Brechreiz…

  6. #8 Nicker
    13. April 2024

    PDP 10
    “Das Problem ist das die meisten nichts anderes lesen.”
    Für Herrn Kuhn ist die HP ein Irrtum der europäischen Medizin. Wenn er das jetzt noch in “Bildzeitungkürze” an den Mann/Frau bringen könnte, dann wäre das vielleicht gut.
    Aber wir leben in einer nichthomogenen Gesellschaft mit Meinungsfreiheit/Glaubensfreiheit, und deswegen gibt auch noch die HP.
    Und das zweite Problem ist , dass eine Mehrheit zu wenig Ahnung hat von Statistik, weil eben der begründete Zweifel an der Wirksamkeit von HP mit dem Verständnis für Statistiken zusammenhängt.
    Die Kreolen haben ihr Voodoo wir haben die HP.
    Wäre interessan zu wissen in wieviel Fällen Voodoo wirksam ist. Das wäre doch mal ein Aufreißer für die Bildzeitung.

  7. #9 knorke
    13. April 2024

    Ist ja möglicherweise auch noch viel Rosinengepicke dabei. Wer sagt denn zum Beispiel, dass die Hospitalisierungsquote beider Gruppen beispielsweise oder andere dutzende mögliche AV die nicht reported wurden nicht das gegenteilige Ergebnis ergeben haben? Die BLÖD erweist der Welt mal wieder einen Bärendienst und nur sich selbst einen Nutzen.

  8. #10 Udo Endruscheit
    Essen
    14. April 2024

    Was die BIld hier präsentiert, ist sozusagen druckfrisches Altpapier. Das INH zur “Securvita-Studie” schon am 5. November 2020:

    https://netzwerk-homoeopathie.info/neue-securvita-studie-in-sachen-homoeopathie-spektakulaer-oder-business-as-usual/

    Hat sich immer noch nicht bei der BILD rumgesprochen, dass man erstmal auf den INH-Seiten nachschaut, bevor mal mal wieder als Propagandaorgan für irrelevanten Blödsinn in die Manege tritt?

    • #11 Joseph Kuhn
      14. April 2024

      @ Udo Endruscheit:

      Danke für den Link. Den hat mir google leider nicht geliefert und ich muss gestehen, auf die Idee, mal direkt bei INH nachzuschauen, bin ich nicht gekommen.

      Gut gefällt mir mit Blick auf die Pseudoempirie der “Studie”, mit der die Behandlungspräferenz als kausaler Effekt verkauft wird, dieser Satz: “Ein vergleichbares Ergebnis wäre etwa, dass alte Menschen durchweg ein höheres Lebensalter aufweisen als junge.”

      Was die Securvita gemacht hat, könnte man übrigens auch als Verletzung von § 1 SGB V, dort der Verpflichtung zur Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten, sehen. Irreführung und Eigenkompetenz schließen sich aus.

  9. #12 Udo Endruscheit
    Essen
    14. April 2024

    Was von Statements der notorisch homöopathiefreundlichen Securvita zu halten ist, zeigt auch dieser Artikel. Ein klassisches Beispiel für das Unterschieben einer Aussage, die die Adressaten nie gemacht haben und gegen die dann ein Scheinangriff geführt wird;

    https://scienceandsenseblog.wordpress.com/2020/01/10/immer-langsam-securvita/