Die Pflege in Deutschland ist in keiner guten Verfassung – und das seit vielen Jahren. Karl Lauterbach hat dazu in der Presse nun auch noch einen unerwartet hohen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen kundgetan:

„Es gibt zunächst einmal ein akutes Problem in der Pflegeversicherung. In den letzten Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen geradezu explosionsartig gestiegen. Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000. Eine so starke Zunahme in so kurzer Zeit muss uns zu denken geben. Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau.“

Fachleute haben diese Darstellung sofort kritisiert: Bereits in der Vergangenheit seien die Zahlen stärker gestiegen. Dem ist so. Nimmt man die Entwicklung der Daten seit der Veränderung des Pflegebegriffs 2017, so ist seitdem die Zahl der Pflegebedürftigen pro Jahr um ca. 340.000 angestiegen.

Die Lauterbachschen Zahlen sind zudem teilweise Dunkelziffern. Bisher sind die Daten der amtlichen Pflegestatistik 2023 noch nicht veröffentlicht, ebenso wenig wie die Geschäftsstatistiken der Pflegeversicherung. Lauterbach nennt zwar den Anstieg, aber keine Gesamtzahl, so dass man nicht weiß, auf welche Statistik er Bezug nimmt.*

Das Statistische Bundesamt hat im letzten Jahr eine Pflegevorausberechnung vorgenommen. Ausgehend vom letzten Stand der Pflegestatistik 2021 kam es dabei in der Prognosevariante mit leicht steigenden Pfleqequoten für das Jahr 2023 auf 5,44 Mio. Pflegebedürftige. Die Pflegestatistik 2023 wird in Kürze vorliegen, dann wird man sehen, wie hoch die tatsächliche Zahl ist.

Diese Pflegevorausberechnung stützt übrigens Lauterbachs Aussage, demografiebedingt sei nur mit 50.000 Fällen mehr zu rechnen gewesen. Das Statistische Bundesamt hat bei einer Prognosevariante mit konstanten Pflegequoten für 2023 eine Zahl von 5.070.000 zu erwartenden Pflegebedürftigen ermittelt, also gut 100.000 mehr als in der Pflegestatistik 2021, ein Anstieg von gemittelt 50.000 pro Jahr. Mehr kann man dazu erst sagen, wenn die Bevölkerungsstatistik 2023 nach Altersgruppen vorliegt, das soll nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes im nächsten Monat geschehen. Dann kann man ausgehend von den Pflegequoten 2021 die für 2023 demografisch erwarteten Fälle ermitteln.

Auch wenn die Feststellung eines „geradezu explosionsartigen“ Anstiegs der Fallzahlen aus der Gegenüberstellung des realen Anstiegs gegenüber einer bloßen demografischen Hochrechnung angesichts schon länger steigender Pflegequoten etwas konstruiert wirkt, in der Sache hat Lauterbach Recht: Die Entwicklung der Fallzahlen wird die Finanzlage der sozialen Pflegeversicherung verschärfen und sie wird auch den seit langem bestehenden Pflegenotstand samt Personalmangel weiter verschärfen. Dem BMG zufolge fielen zuletzt je 10.000 Leistungsempfänger:innen in der sozialen Pflegeversicherung Kosten von 93 Mio. Euro im ambulanten Bereich und 273 Mio. Euro im stationären Bereich an.

Lauterbach benennt einen einfachen Schritt, um die Finanzen der sozialen Pflegeversicherung etwas zu entlasten: die Klassenunterschiede zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung zu beseitigen und beide Zweige zu einer Pflege-Bürgerversicherung zusammenführen. Die Leistungsansprüche in beiden Versicherungszweigen sind gleich, sehr unterschiedlich ist dagegen die Finanzierungsbasis. Mehr Pflegekräfte gäbe es mit einer Pflege-Bürgerversicherung natürlich auch nicht.

Lauterbach will jedoch keine Finanzreform der Pflegeversicherung mehr angehen:

„Eine umfassende Finanzreform in der Pflege wird in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nicht mehr zu leisten sein.“

Das dürfte eine realistische Einschätzung sein. Da sich, trotz geplantem Pflegekompetenzgesetz, auch sonst bei der Pflege der Reformeifer in Grenzen hält, entsteht damit allerdings der Eindruck, dass Lauterbach bei der Pflege laut „Feuer“ ruft – und die Feuerwehr im Feuerwehrhaus lässt. Eine zumindest unglückliche politische Kommunikation. Mamihlapinatapai – man müsste etwas tun, aber wer soll es machen?

————-
* Nachtrag 29.5.2024: Im Beitrag steht, dass nicht klar ist, auf welche Statistik Lauterbach Bezug nimmt. Es sind wohl die Geschäftsstatistiken der Pflegeversicherung. Am 14.5.2024 sprach Gernot Kiefer vom GKV-Spitzenverband in einer PM von einem Zuwachs von 361.000 Fällen in 2023, das ist die Lauterbachsche Zahl, verglichen mit sonst im Schnitt 326.000. Damit wäre auch dieser Punkt geklärt.

Kommentare (26)

  1. #1 Tina
    28. Mai 2024

    Ich hatte schon gehofft, hier eine Einordnung und weitere Infos zu dem Thema zu lesen. Danke dafür.

    Gestern war dieser Artikel in der ZEIT erschienen:

    https://www.zeit.de/gesundheit/2024-05/bundesgesundheitsminister-karl-lauterbach-pflegefaelle

    In den bis jetzt schon mehr als 1000 Kommentaren unter dem Artikel geht es mal mehr und mal weniger fachkundig zu, auf jeden Fall finde ich es aber recht erhellend, was die Leute (also die, die kommentieren) darüber so denken. Es zeigt sich jedenfalls, dass das Thema viele Menschen bewegt, eben weil es existentiell wichtig ist.

    Lauterbachs Aussgen sorgten für einige Verwirrung, so auch diese:

    Als mutmaßliche Ursache für den “explosionsartigen” Anstieg nannte Lauterbach einen “Sandwicheffekt”. “Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kommen die ersten Babyboomer, die nun ebenfalls pflegebedürftig werden”, sagte der SPD-Politiker. Erstmals gebe es zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen seien: “die Babyboomer und deren Eltern”.

    Das dürfte so nicht stimmen. Wenn Lauterbach nicht weiß, woran der Anstieg liegt, wie kommt er dann dazu, sowas zu erzählen? Es könnten auch ganz andere Effekte eine Rolle spielen, Long Covid beispielsweise, ein verändertes Verhalten bei der Beantragung eines Pflegegrades, mehr Demenzkranke mit Anspruch oder was auch immer. Ohne dies untersucht zu haben, ist das doch nur ein Stochern im Nebel und die Aussage mit den Boomern finde ich sehr merkwürdig, mindestens.

    Hier Zahlen zu 2021:

    https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/pflegequote-alter.html

    • #2 Joseph Kuhn
      28. Mai 2024

      @ Tina:

      Das mit dem “Sandwicheffekt” habe ich auch nicht verstanden. Eine Zunahme von Pflegefällen durch die Babyboomer wäre ja ein klassischer demografischer Effekt. Davon abgesehen ist offen, ob schon so viele Babyboomer pflegebedürftig werden. Das kommt erst noch.

      Demenz: Demenzerkrankungen führen seit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz 2017 und dem damit erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Tat zu mehr Fällen, ebenso die veränderte Schematik der Pflegegrade statt der alten Pflegestufen. Siehe dazu z.B. Schwinger et al.: Epidemiologie der Pflege, Bundesgesundheitsblatt 5/2023. Das hat Karl Lauterbach vermutlich nicht gelesen 😉

  2. #3 Beobachter
    28. Mai 2024

    Als “pflegebedürftig” wird statistisch doch nur der erfasst, der einen (dann auch bewilligten) Antrag auf einen Pflegegrad gestellt hat.
    Es gibt eine Menge Pflegebedürftiger, die sich scheuen, einen solchen Antrag zu stellen, und die damit warten, bis es gar nicht mehr anders geht.
    Auf der anderen Seite gibt es keine so große Anzahl von Angehörigen mehr, die “so blöd” (O-Ton eines Jobcenter-Sachbearbeiters) sind, sich neben ihrer Berufstätigkeit um Pflegebedürftige in der Familie zu kümmern.
    Trotzdem werden immer noch ca. 80% der Pflegebedürftigen von Angehörigen häuslich gepflegt.
    Aber wie lange noch?!

    Die “Aussage mit den Boomern” (# 1) finde ich nicht so merkwürdig – mir erscheint sie eher logisch:
    Nur als Beispiel:
    Wenn Boomer mit Mitte 50 herzkrank werden oder Krebs bekommen oder durch Arthrose gehbehindert werden und gleichzeitig Eltern haben, die altersbedingt chronisch krank und bettlägerig sind – dann ist wirklich die K…. am Dampfen!
    Oder auch, wenn langjährig häuslich pflegende Boomer dann selber krank werden durch Überbelastung!.
    Das sind alles keine Einzelfälle!

    Stefan Sell hat kürzlich mal (bewusst zynisch) gesagt, die Boomer hätten ja von früher her alle WG-Erfahrung – darum sollten sie sich mal Gedanken über Alters-WGs und Nachbarschaftshilfe/rechtzeitige, gute Vernetzung machen – angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege und der Unbezahlbarkeit von Betreutem Wohnen und Pflegeheimen.
    Er hat völlig recht.

    • #4 Joseph Kuhn
      28. Mai 2024

      @ Beobachter:

      “Als “pflegebedürftig” wird statistisch doch nur der erfasst, der einen (dann auch bewilligten) Antrag auf einen Pflegegrad gestellt hat.”

      Das ist überall da so, wo es es um Routinedaten aus der Pflegestatistik geht. Studien liefern, wenn sie die gesundheitlichen Einschränkungen selbst erfassen, auch Daten über diese “administrative Prävalenz” hinaus.

      Zu Stefan Sells Bemerkung: Man muss aufpassen, dass man aus Frust über die Zustände nicht den Betroffenen die ganze Verantwortung zuschiebt. Natürlich können sich gutsutierte “Boomer” eigenverantwortlich um eine nette Alten-WG kümmern. Schon vor 20 Jahren hat Christine Brückner dazu einen Roman geschrieben (“Die letzte Strophe”). Aber eigentlich sollten nach Jahrzehnten der Diskussion um den demografischen Wandel auch mehr vorkonfektionierte Angebote da sein, die es älteren Menschen leichter machen, neu in solchen gemeinschaftlichen Wohnformen anzufangen.

  3. #5 Tina
    28. Mai 2024

    @Joseph

    Vielleicht wollte Lauterbach einfach nur medienwirksame Aussagen machen, was ihm dann ja gelungen wäre. Also nicht unbedingt inhaltlich, aber eben medienwirksam. Man weiß es nicht, auch nicht, was er gelesen hat. Auf mich wirkt er jedenfalls gelegentlich ungenau.

    @Beobachter

    Sicher wird es diese Fälle geben, wo in einer Familie Boomer und Hochbetagte gleichzeitig pflegebedürftig sind. Dass die Zahlen allerdings so hoch sind, dass sie den allgemeinen Anstieg erklären, möchte ich doch sehr bezweifeln. Und das war ja die Aussage von Lauterbach, was er mit dem “Sandwich-Effekt” meinte.

    • #6 Joseph Kuhn
      28. Mai 2024

      @ Tina:

      “Vielleicht wollte Lauterbach einfach nur medienwirksame Aussagen machen”

      Vermutlich hat er es gut gemeint, aber wie so oft nicht gut gemacht. Die Pflegemisere schreit ja wirklich zum Himmel. Aber man sollte nicht Alarm läuten und dann sagen, lassen wir es in dieser Legislaturperiode mal gut sein.

      “Auf mich wirkt er jedenfalls gelegentlich ungenau.”

      Oft genug liegt er schlicht falsch. Beispiele dafür gibt es hier im Blog einige.

  4. #7 Beobachter
    28. Mai 2024

    Kurzer Nachtrag:

    Ich beziehe meine langjährigen Erfahrungen mit Pflegebedürftigen aus der Zeit, als es noch die alten Pflegestufen gab.
    Man musste um die Pflegeeinstufung geradezu kämpfen – das ist sattsam bekannt gewesen und vielfach belegt.

    Bei der neuen Schematik der Pflegegrade kenne ich mich nicht aus.
    Vielleicht hat sich da etwas bei der Antragsbewilligung geändert, wie Joseph Kuhn vielleicht meinen könnte (in # 2).

  5. #8 Beobachter
    28. Mai 2024

    @ Joseph Kuhn, # 4:

    … zu “vorkonfektionierte Angebote”:

    Das fängt schon damit an, dass es kaum altersgerechte/behindertengerechte (Miet-) Wohnungen gibt:
    d. h. mit Fahrstuhl, barrierefrei, zentral gelegen mit guten Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf, gute ÖPNV-Anbindung, usw.

    Habe leider gerade zu wenig Zeit, um näher auf dieses wichtige Thema einzugehen …

  6. #9 PDP10
    28. Mai 2024

    Mamihlapinatapai

    Erst habe ich “Marsupilami” gelesen und dann musste ich das Wort noch dreimal lesen um die Vokale alle in die richtige Reihenfolge zu kriegen … Aber danke für den neuen Begriff, den ich noch nicht kannte 🙂

    Aber zu was ganz anderem:

    Die Pflegeversicherung existiert ja erst seit 1995. Viel zu kurz die Zeit um demographische Entwicklungen absehen zu können. Die Diskussion um mangelhafte Qualität im Pflegesystem aufgrund von Personalmangel und anderen Problemen gibt es fast eben so lange. Die Diskussion um falsche Anreize für Profite ebenso. Auch hier: Viel zu kurz die Zeit um wirklich was fundamental zu ändern. Das geht halt nicht von jetzt auf sofort. Wie könnte es auch. In so kurzer Zeit. Ich weiß, ich wiederhole mich.

    (Ja, das war Sarkasmus.)

  7. #10 Jolly
    29. Mai 2024

    Mamihlapinatapai

    Wieder was gelernt. Danke dafür.

  8. #11 Richard
    29. Mai 2024

    Babyboomer: #1,2 : “Davon abgesehen ist offen, ob schon so viele Babyboomer pflegebedürftig werden. Das kommt erst noch.” Dass diese Generation, die so bis ca. 70 Jahre alt ist, sich bereits jetzt so stark in der Pflegestatistik niederschlägt, bezweifle ich. Die Raten der Pflegebedürftigen steigen ja erst später deutlich, wie z.B. dem schönen kompakten Gesundheitsbericht des LGL zu entnehmen ist: Gesundheitsreport Bayern 02/2022 – Trends der Altenpflege (Download über https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/gesundheitsberichterstattung/themen/index.htm#alter)

    • #12 Joseph Kuhn
      29. Mai 2024

      😉

  9. #13 Richard
    29. Mai 2024

    #12: Sie dürfen und sollen doch ernten, was Sie gesät haben 🙂

  10. #14 Joseph Kuhn
    29. Mai 2024

    Zur Herkunft der Lauterbachschen 360.000 siehe oben den Nachtrag zum Blogbeitrag. Vermutlich war ihm dann auch der bisherige Trend in den Daten der Pflegeversicherung präsent, so dass seine Wertung vom “explosionsartigen” Anstieg samt Gegenüberstellung zu den 50.000 aus der nur demografiebedingten Vorausberechnung Teil einer bewussten politischen Dramaturgie gewesen sein könnte. Aber welcher Dramaturgie?

  11. #15 Dagmar Pattloch
    29. Mai 2024

    Ich habe 2010 zu Pflegebedürftigkeit (nach dem alten System mit 3 Pflegestufen) promoviert. Damals gab es eine steigende Lebenserwartung, deren Anstieg sich (wie ich heute weiß) gerade abschwächte. Die Pflegequoten stiegen damals NICHT an. Es würde mich nicht wundern, wenn bei stagnierender oder rückläufiger Lebenserwartung, wie wir sie heute haben, die Pflegequoten steigen. Long Covid als Volkskrankheit? Denkbar!
    Wenn ich etwas Zeit hätte, dann würde ich den Faden von damals aufnehmen und weiterspinnen.
    Möchte mir das jemand abnehmen? Ich verlinke hier mal auf meine Dissertation.
    https://d-nb.info/1011602695/34
    Auf die dort beschriebenen Methoden greife ich bis heute zurück. Zum Beispiel: Ich würde beim Rechnen prüfen, wie gut sich der amtliche Bevölkerungsstand als Nenner wirklich eignet. Es mag dort Fehler geben, und wir haben (außer den Privatversicherten) ja auch Menschen, die nicht versichert sind und daher keinen Pflegegrad erhalten können.

    • #16 Joseph Kuhn
      29. Mai 2024

      @ Dagmar Pattloch:

      Zwei Fragen sind auseinanderzuhalten:

      1. Wie gut bilden die verfügbaren Routinedaten Pflegebedürftigkeit ab?

      2. Wie entwickeln sich Zahlen in den Routinestatistiken?

  12. #17 Dagmar Pattloch
    29. Mai 2024

    @ Joseph Kuhn #16

    Unbedingt sind das verschiedene Fragen.
    Ich kam damals zu der Auffassung, dass die Routinedaten (amtliche Pflegestatistik) in gewissen Grenzen aussagekräftig sind für die Epidemiologie von Pflegebedürftigkeit. Ich meine damit, dass die Inanspruchnahme nur wenig überformt ist vom Antragsverhalten oder der Bewilligungspraxis. Das Antragsverfahren ist relativ standardisiert, niedrigschwellig, schnell usw. Einen Widerspruch einlegen, eine Höherstufung beantragen, das ist alles nicht so schwer. Man braucht keinen Anwalt dazu. Und Pflegegeld ist eine Leistung, die man wirklich haben will.
    Die amtliche Pflegestatistik zählt die Empfänger*innen der privaten und sozialen Pflegeversicherung zusammen (PPV+SPV). Daher ist der amtliche Bevölkerungsstand VIELLEICHT ein guter Nenner. Es wäre aber zu prüfen, ob die Summe der Versicherten der PPV und der SPV 100% der Bevölkerung ergibt. Um diese Abweichung ginge es auch. Wäre sie zu groß, sollte man ggf. besser mit den Geschäftsstatistiken der SPV rechnen (Zähler: Pflegebedürftige, Nenner: Versicherte).

  13. #18 Tina
    29. Mai 2024

    Ein lesenswerter Artikel, der die Diskussion ganz gut auf den Punkt bringt:

    https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-05/pflege-bedarf-karl-lauterbach-statistik-anstieg

    Pflegeforscher Rothgang hält den von Lauterbach angeführten Sandwich-Effekt mit Pflegebedürftigen in zwei Generationen für unplausibel. Zwar könne es einige Babyboomer geben, die bereits pflegebedürftig seien. Eine relevante Größenordnung gebe es in dieser Generation aber noch nicht. Sowohl er als auch Tucman gehen daher von einem politisch motivierten Alarm des Gesundheitsministers aus.

    Denn die Pflegeversicherungen sind am Limit, eine weitere Anhebung der Beiträge dringend nötig, um die steigenden Kosten in der Pflege – durch die demografische Alterung, aber auch den Fachkräftemangel und die Versuche, den Pflegeberuf durch Lohnsteigerungen attraktiver zu machen – zu refinanzieren. Schon heute ist der Eigenanteil für viele Menschen kaum noch zu bezahlen. Laut dem Verband der Ersatzkassen (Vdek) beträgt der privat zu zahlenden Anteil für einen Platz in einem Pflegeheim im Schnitt 2.576 Euro monatlich.

  14. #19 Joseph Kuhn
    29. Mai 2024

    @ Dagmar Pattloch:

    “Die amtliche Pflegestatistik zählt die Empfänger*innen der privaten und sozialen Pflegeversicherung zusammen (PPV+SPV)”

    Im Prinzip ja, aber es gibt ein paar Unterschiede zwischen der amtlichen Pflegestatistik und den Daten der Pflegeversicherungen, die Fallzahlen stimmen nicht überein. Kurze methodische Hinweise gibt das Statistische Bundesamt in den (inzwischen eingestellten) Berichten zur Pflegestatistik: https://www.statistischebibliothek.de/mir/receive/DESerie_mods_00000940

    “Es wäre aber zu prüfen, ob die Summe der Versicherten der PPV und der SPV 100% der Bevölkerung ergibt.”

    2022 gab das BMG 83,4 Mio. Versicherte in SPV+PPV an, die Bevölkerung lag bei 84,4 Mio. Ob das im Zusammenhang mit der Diskussion hier eine Rolle spielt? Dazu müsste man sich diese Differenz im Zeitverlauf anschauen. Aber der Zuwachs der Fallzahlen ist ja eigentlich ganz gut erklärbar, siehe z.B. den verlinkten Artikel von Schwinger et al.

    @ Tina:

    Ich glaube, zu den Fallzahlen ist inzwischen im Wesentlichen alles gesagt. Offen ist, was Karl Lauterbach mit dieser Intervention bezweckt hat.

  15. #20 wereatheist
    29. Mai 2024

    So gar einfach ist das nicht, einen Pflegegrad zu beantragen. speziell mit Migrationshintergrund.
    Leute lernen, z.B. lernen sie Apps zu benutzen.
    Ich denke, es gab sozusagen einen Rückstau an potenziellen Anträgen für meist niedrige Pflegegrade, und jetzt ist der Damm halt mal gebrochen.
    Nächstes Jahr wird es nur die demografisch erwartbare Antragszahl geben.

  16. #21 Joseph Kuhn
    30. Mai 2024
  17. #22 Joseph Kuhn
    31. Mai 2024

    Ruhrgebietskonferenz fordert Rücktritt Lauterbachs

    “Wenn aktuell verantwortliche Politiker nicht den Willen oder die Durchsetzungskraft für grundlegende Veränderungen haben, müssen sie halt zurücktreten.”

    https://www.carevor9.de/care-inside/ruhrgebietskonferenz-fordert-ruecktritt-von-karl-lauterbach

  18. #23 Richard
    31. Mai 2024
    • #24 Joseph Kuhn
      31. Mai 2024

      @ Richard:

      Peinlich für Lauterbach. Der scheint im Moment etwas kopflos zu agieren.

  19. #25 Beobachter
    1. Juni 2024

    Zwei interessante, erhellende Artikel zum Thema von Stefan Sell:

    https://aktuelle-sozialpolitik.de/2024/05/28/von-einem-gar-nicht-so-explosionsartigen-anstieg-und-wirklicher-dramatik/

    “Von einem gar nicht so „explosionsartigen“ Anstieg der neuen Pflegefälle (nach SGB XI) und der eigentlichen Dramatik hinter der primär haushaltspolitisch motivierten Dramatisierung
    … ”

    ” … Warum macht der Minister das? Und was ist die eigentliche Dramatik hinter den gar nicht so dramatischen Zahlen?
    … ”

    “»Eine umfassende Finanzreform in der Pflege wird in dieser Legislatur­periode wahrscheinlich nicht mehr zu leisten sein. Dafür liegen die Ansichten zu weit auseinander. Im Übrigen würde dafür auch die verbleibende Zeit nicht reichen. Die Arbeit der Arbeits­gruppe ist aber eine gute Grundlage für eine große Pflegereform in der nächsten Wahlperiode. Dann muss sie aber auch kommen.« ”
    (Karl Lauterbach)

    ” … Alles in allem: Ein politisches Armutszeugnis.”

    So das Fazit am Artikelende.

    “Die Pflege” ist eine Großbaustelle und ein Finanzproblem – und keiner will ran, und das schon seit vielen Jahren.
    Die Verantwortlichen in der Regierung “verweigern die Arbeit” und schieben die Probleme vor sich her (bzw. geben sie an die Beitragszahler und Betroffenen weiter) – statt sie zu lösen:

    https://aktuelle-sozialpolitik.de/2024/05/31/beitragssatztreppe-in-der-pflegeversicherung-wird-weiter-ausgebaut/

    “Finanzprobleme der Pflegeversicherung: Arbeitsverweigerung (ohne Sanktion)? Das Schulterzucken einer sich selbst blockierenden Regierung. Am Ende bleibt der Ausbau der Beitragssatztreppe. Nach oben
    … ”

    Ich denke, dass Lauterbach angesichts dieser aufregenden “Dramatik” uns schon mal auf saftige Beitragserhöhungen (bei vermutlich schlechter werdenden/r Leistungen/Qualität ! ) vorbereiten wollte !

    • #26 Joseph Kuhn
      1. Juni 2024

      @ Beobachter:

      “Arbeitsverweigerung”

      Wie schon gesagt, zum Zahlenwerk liegt inzwischen alles auf dem Tisch. Unklar bleibt nach wie vor Lauterbachs Motiv, sich jetzt in dieser Weise zu exponieren. Aber vielleicht ist ihm das selbst auch nicht ganz klar. “Arbeitsverweigerung” hätte er ja auch ohne Medienrummel praktizieren können. Vielleicht braucht es hier eher Psychoanalyse und weniger politische Hermeneutik? Am Ende hat Lauterbach einfach ein schlechtes Gewissen und wollte vor dem Bericht der Regierungskommission zur Pflegefinanzierung proaktiv zumindest auf der Seite derer stehen, die das Problem wenigstens benennen, wenn auch nicht lösen?