Im Gefolge von Krisen steigen gewöhnlich die Suizidzahlen. Das war in vielen Ländern z.B. nach der Finanzkrise 2008 der Fall, ebenso nach der Coronakrise. Mit der Finanzkrise ging damals der lange Trend zum Rückgang der Suizidzahlen in Deutschland zu Ende.

Im Gefolge der Coronakrise haben die Suizidzahlen in Deutschland erst 2022 etwas zugenommen, d.h. die Coronakrise hat sich hierzulande verzögert und nicht sehr ausgeprägt gezeigt, vielleicht auch aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Ausgleichsmaßnahmen.

Die Frage ist, wie geht es nun weiter. Zur Coronakrise kamen weitere Krisen hinzu: der Ukrainekrieg, der immer mehr auch im Alltag spürbare Klimawandel, der sich zuspitzende Wohnungsmangel, die gesellschaftlichen Spaltungen. Im Grunde wäre es nicht verwunderlich, wenn die Suizidzahlen weiter steigen.

In Bayern erfasst die Polizei die Suizide und einen Teil der Suizidversuche (soweit sie der Polizei bekannt werden) in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Die zeigt nun interessanterweise für 2023 keinen weiteren Anstieg der Suizide, sondern sogar einen ganz leichten Rückgang. Gleiches gilt für die Suizidversuche.

Demnächst wird auch die Todesursachenstatistik für Deutschland vorliegen, dann kann man diese Zahlen besser einordnen. Zwar gibt es zwischen den Suiziden in der Polizeilichen Kriminalstatistik und denen in der Todesursachenstatistik normalerweise keine großen Differenzen – beide Statistiken sind durch die verpflichtenden polizeilichen Ermittlungen im Falle des Verdachts auf eine unnatürliche Todesursache eng miteinander verbunden, aber bei so kleinen Veränderungen könnte es natürlich trotzdem sein, dass die Todesursachenstatistik ein anderes Bild liefert. Außerdem hat man dann auch die Entwicklung in Deutschland insgesamt. Grundsätzlich könnte es ja in Bayern 2023 einen Rückgang gegeben haben, während die Zahlen in Deutschland insgesamt weiter zunehmen.

Vorerst ist also etwas Geduld angesagt. Wenn in Deutschland der gleiche Rückgang wie in der Polizeilichen Kriminalstatistik in Bayern zu beobachten sein sollte, würde die Zahl der Suizide in Deutschland von 10.119 im Jahr 2022 auf etwa 9.900 im Jahr 2023 zurückgehen.

Wie dem auch sei, das vom Bundesgesundheitsministerium Anfang Mai angekündigte Nationale Suizidpräventionsprogramm samt einer Verbesserung der Datenlage bleibt auf jeden Fall dringend notwendig.

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Wenn Sie Suizidgedanken haben, können Sie sich in Bayern rund um die Uhr unter der kostenlosen Rufnummer 0800-655 3000 an die bezirklichen Krisendienste wenden, und bundesweit unter den kostenlosen Rufnummern 0800-1110111 oder 0800-1110222 oder 116 123 an die Telefonseelsorge.

Kommentare (3)

  1. #1 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    7. Juni 2024

    Fällt Sterbehilfe “assistierter Suizid” auch in die Statistik?

    • #2 Joseph Kuhn
      8. Juni 2024

      @ Omnivor:

      Ja, assistierter Suizid ist Suizid und geht daher in die Statistik* ein. Auf der Todesbescheinigung wird das auch vermerkt, d.h. es könnte im Grunde auch codiert und statistisch ausgewiesen werden. Zur Validierung wären u.a. auch Abgleiche mit den Daten der Sterbehilfevereine sinnvoll.

      Um Missverständnisse zu vermeiden: Der Begriff “Sterbehilfe” ist etwas schillernd. Die sog. “aktive Sterbehilfe”, bei der jemand anders das Medikament verabreicht, ist als Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB oder ggf. auch als Totschlag nach § 212 StGB kein Suizid und verboten. Diese Fälle werden, wenn sie erkannt werden, auch in der Statistik nicht unter den Suiziden erfasst, sondern bei den Tötungsdelikten.

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      Nachtrag 10.6.2024: Das gilt für Todesursachenstatistik und PKS gleichermaßen.

  2. #3 zimtspinne
    14. Juni 2024