Gestern gab es bei der Bundesärztekammer eine Diskussion zur Zukunft des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Deutschland. Lange befand er sich in einem Dornröschenschlaf, oder besser gesagt, in einem Zustand organisierter Vernachlässigung. Das Personal wurde eher weniger als mehr, die Aufgaben wurden nach Bedarf zugewiesen, es gab kein Leitbild, kein gutes wissenschaftliches Netz und jenseits von Sonntagsreden auch wenig politische Wertschätzung.
Das hat sich mit den verschiedenen Krisen der letzten Jahre – EHEC, Flüchtlingskrise, Corona – spürbar geändert. Über den sog. „Pakt für den ÖGD“ zwischen Bund und Ländern werden bis 2026 vier Mrd. Euro investiert, vor allem in Personal und IT. An einigen Universitäten, Köln, Frankfurt, Düsseldorf, Leipzig und Dresden, gibt es inzwischen auch ÖGD-Professuren, so dass der Öffentliche Gesundheitsdienst endlich wieder eine universitäre Anbindung hat, wichtig z.B. für ÖGD-bezogenen Promotionen.
Die Frage ist, wie geht es nach 2026 weiter. Was die Gesundheitsämter angeht, also die untere Ebene der Gesundheitsbehörden, ist der ÖGD Ländersache. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte bereits bemängelt, dass der Bund nicht dauerhaft Aufgaben der Länder finanzieren könne. Zum ÖGD gehören aber auch Bundesbehörden wie das RKI oder die BZgA, und natürlich auch das Bundesgesundheitsministerium selbst als oberste Bundesgesundheitsbehörde. Des Weiteren kann man die Vernetzung im ÖGD, auch die zwischen den Bundesbehörden und den Gesundheitsämtern, oder ÖGD-bezogene Forschung, nicht einfach nur als Länderaufgabe ansehen. Aber die derzeitige Finanzlage des Bundes ist bekanntlich prekär und von daher waren die auch die Perspektiven für eine Fortschreibung des Paktes auf der Tagung gestern recht eingetrübt.
Den ÖGD nach der Coronakrise wieder zu vergessen, wäre ein fatales Signal, was die staatliche Verantwortung für die öffentliche Gesundheit angeht. Wenn es um sauberes Trinkwasser, die Hygieneüberwachung den Krankenhäusern, die Berücksichtigung gesundheitlicher Belange bei großen Infrastrukturvorhaben oder um die Schulgesundheit geht, kann man nicht an die Eigenverantwortung der Bürger:innen appellieren. Hier muss der Staat präsent sein, gesetzgeberisch, aber auch in der Überwachung und da und dort auch in der sozialkompensatorischen Versorgung. Von künftigen Krisen ganz abgesehen.
Dass der ÖGD nach wie vor nicht ganz aus dem Schatten getreten ist, mag eine kleine Beobachtung am Rande veranschaulichen. Bei der Tagung gestern war nämlich gar nicht so klar, worüber man spricht. Rudolf Henke beispielsweise hat die Krankenkassen und den MDK einfach zum Öffentlichen Gesundheitsdienst dazugezählt. Man unterscheidet aber gemeinhin das öffentliche Gesundheitswesen, da gehören die Krankenkassen dazu, und den Öffentlichen Gesundheitsdienst als spezifisch staatlichen bzw. kommunalen Arm des öffentlichen Gesundheitswesens. Behörden wie Landesgesundheitsämter oder das RKI wiederum sind ÖGD. Von der Sache und der Funktion her könnte man auch Arbeitsschutzbehörden oder Lebensmittelüberwachungsbehörden zum Öffentlichen Gesundheitsdienst zählen, aber mit ihrer historischen Verselbständigung hat man sie auch begrifflich davon unterschieden, so dass man mit „ÖGD“ auf der kommunalen (bzw. unteren staatlichen) Behördenebene heute in der Regel nur die Gesundheitsämter meint.
Und wenn man die zählt, wie viele Gesundheitsämter gibt es eigentlich in Deutschland? Bei der Tagung gestern wurde die Zahl 360 gehandelt. Wobei einer der Diskutanten, Thomas Altgeld, anmerkte, er habe die Zahl 375 im Kopf. Das war recht präzise. Es sind nach letzter Zählung 377 Gesundheitsämter.
Man könnte fragen, ob man nicht z.B. das Hafengesundheitsamt in Hamburg dazurechnen müsste. Das Hafengesundheitsamt Hamburg ist aber kein „normales“ Gesundheitsamt. Es führt weder Schuleingangsuntersuchungen durch noch registriert es, wie viele Hebammen in seinem Zuständigkeitsbereich gemeldet sind. Als hafenärztlicher Dienst in öffentlicher Verantwortung gehört es aber natürlich zum ÖGD, wie übrigens auch der hafenärztliche Dienst Emden, die Polizeiärztlichen Dienste oder die entsprechenden Einrichtungen der Bundeswehr.
Auch die Bundesregierung hat sich schon schwer damit getan, die Gesundheitsämter in Deutschland zu zählen. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP 2020 kam die Bundesregierung auf 383 Gesundheitsämter. Für Baden-Württemberg zählte sie 43 – vermutlich wurden die vier Regierungsbezirke und das Landesgesundheitsamt oder das Ministerium mitgezählt; in Brandenburg wurde bei den angeblich 19 Gesundheitsämtern wohl auch etwas auf Landesebene mitgezählt, dito bei den 77 in Bayern, wobei hier anders als in Baden-Württemberg nicht die Regierungsbezirke. Für Niedersachsen wurden dafür nur 43 Ämter angegeben, aber da gab es in den letzten Jahren etwas Hin und Her, aktuell weist das Landesgesundheitsamt Niedersachsen auf seiner Internetseite 44 Gesundheitsämter aus.
Vielleicht kann ja das RKI beim nächsten „Tag des Gesundheitsamtes“ am 19. März 2025 die Datenlage zu den Gesundheitsämtern und ihrem Personal einmal prominent in die Presse geben. Oder das BIPAM, falls das als neue ÖGD-Bundesbehörde dafür zuständig sein sollte.
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