Der Entwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“, der sich bis zum 2. Juli in der Verbändeanhörung befindet und anschließend am 17. Juli zur Beschlussfassung ins Kabinett soll, hat in letzter Sekunde noch einen richtigen Wermutstropfen mitbekommen. Zur Finanzierung der Mehrausgaben hieß es plötzlich:

„Mehrbedarfe im Bereich des Bundes sollen finanziell und (plan-)stellenmäßig im jeweiligen Einzelplan gegenfinanziert werden. Über die Einzelheiten zur Deckung der Mehrbedarfe wird im Rahmen kommender Haushaltsaufstellungsverfahren zu entscheiden sein.“

Es geht dabei um 19,3 Mio. Euro einmalige Investitionskosten und 30 Mio. Euro jährliche Kosten. Das sind, wie es in Finanzmagnatendeutsch so schön heißt, Peanuts. Die Regelung bedeutet, dass Christian Lindner aus dem Schneider ist und das Gesetz nicht blockieren wird und Karl Lauterbach die Mittel, zunächst die für 2025, aus dem eigenen Haushalt aufbringen muss. Womöglich durch Kürzungen beim RKI, das man aber eigentlich stärken wollte. Und was danach kommt, steht in den Sternen, sprich „im Rahmen kommender Haushaltsaufstellungen“.

Derzeit ist beispielsweise offen, ob die im Aufbau befindliche Mental Health-Surveillance am RKI eine solide Finanzierung für die nächsten Jahre bekommen wird. Obwohl doch die psychische Gesundheit der WHO zufolge „ganz oben auf der politischen Tagesordnung“ stehen sollte. Kurioserweise zweifelt Karl Lauterbach auch nicht daran, dass das Geld kostet – in der Ukraine:

„Putins mörderischer Angriffskrieg fordert nicht nur viele Menschenleben und unzählige Verletzte. Das andauernde Leid, der Verlust von Angehörigen und die dramatischen Erfahrungen traumatisieren ganze Generationen. Es gibt Kinder in der Ukraine, deren erste Erinnerung das Einschlagen von Bomben ist. Deshalb unterstützen wir als Bundesregierung das ukrainische Gesundheitswesen stark in allen Bereichen, aber insbesondere auch bei der mentalen Gesundheit.“

Dafür gibt es 100 Mio. Euro. Das ist sicher gut investiertes Geld. Das Land will schließlich eines Tages wieder aufgebaut werden und gesunde Menschen sind die besseren Arbeitskräfte. Nur, gilt das nicht auch in Deutschland? Interessanterweise wird die Prävention hierzulande, wie das Gesundheitswesen insgesamt, meist nicht unter Investitionsaspekten betrachtet. In den Medien liest man eher von der Kostenexplosion bei den Gesundheitsausgaben, die man sich nicht mehr leisten könne.

In Heft 4/2024 der Hauszeitschrift des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat dessen Präsident, Moritz Schularick, einen Artikel unter der Überschrift „Aufrüsten für den Wohlstand“ veröffentlicht. Er plädiert darin für höhere Rüstungsausgaben, um das Wirtschaftswachstum in Deutschland anzukurbeln. Der Ökonom Günther Grunert hat dazu in Makroskop gerade eine bissige Kritik veröffentlicht. Wer sich für die ökonomischen Argumente interessiert, mag es dort nachlesen. Nur nebenbei, eigentlich argumentiert Schularick wie Putin. Putin zufolge stärken die Rüstungsausgaben für den Ukrainekrieg die russische Wirtschaft und steigern den Wohlstand der Russen. Nun denn, dem widersprechen sonst westliche Ökonomen gerne.

Dagegen ist unstrittig, dass Gesundheitsausgaben, richtig eingesetzt natürlich, die Gesundheit und damit die Leistungsfähigkeit der Menschen erhalten, auch die der Beschäftigten. Das gilt ganz besonders für die Prävention.

Gestern ist bei der 10. kbo-Fachtagung in München eindrucksvoll herausgestellt worden, wie wichtig eine gute und umfassend angelegte Prävention psychischer Störungen wäre und wie erfolgreich Präventionsmaßnahmen z.B. zur Unterstützung belasteter Eltern durch die „Frühen Hilfen“ oder Projekte der gesunden Schule sind.

Sollten wir also nicht auch im Gesundheitsbereich „aufrüsten für den Wohlstand“? Zumal hier wirklich gesellschaftliche Werte geschaffen werden, volkswirtschaftlich sogar reproduktive, nämlich Humankapital. Es müssen ja nicht gleich 100 Mio. Euro für’s BIPAM sein, man könnte mit 50 Mio. anfangen und alles Weitere „im Rahmen kommender Haushaltsaufstellungsverfahren entscheiden“. Herr Schularick, was meinen Sie?

Kommentare (5)

  1. #1 RGS
    27. Juni 2024

    Zum Bipam:
    Mir fällt dazu nichts mehr ein. Wenn er die Peanuts von Lindner nicht bekommt und nicht einfordern will, aber das Geld, was bis zum letzten Entwurf drinstand, doch dafür will, muss er es irgendwo kürzen. Vielleicht verliert er aber auch noch ganz das Interesse am Bipam? Wer weiß?

    Zur Rüstungsfrage und dem Text von Schularick:
    Wie er schon schreibt, werden die USA vermutlich egal wer Präsident wird Schutz Europas vor Russland gegen Waffenkäufe „wünschen“. Und die USA wollen Europa auch militärisch an ihrer Seite gegen China.

    Außerdem haben wir die Abwehrraketensysteme „Iron Dome“ in Israel gekauft von Netanjahu.
    Scholz hat doch gerade wiederholt Macron eine Abfuhr erteilt was europäische Rüstungsprojekte angeht.

  2. #2 Joseph Kuhn
    27. Juni 2024

    Militärische Prävention ja, gesundheitliche Prävention nein?

    Moritz Schularick und Niall Fergussion spielen heute in der FAZ explizit Panzer gegen Butter aus. Daraus drei Schlüsselsätze:

    “Mittelfristig werden Ausgabenkürzungen im regulären Budget in zweistelliger Milliardenhöhe notwendig sein, um die Verteidigung dauerhaft solide zu finanzieren. Dies wird jedoch nur mit grundlegenden und komplexen Reformen der Renten- und Sozialversicherungssysteme möglich sein (…).”

    “Die Wahl zwischen „Kanonen und Butter“ ist real, aber der Übergang von Letzterem zu Ersterem muss schrittweise und einvernehmlich erfolgen, damit der Wandel nachhaltig ist.”

    “Leider haben deutsche Politiker seit der Einführung der Schuldenbremse die Priorität auf Konsum und Sozialausgaben gelegt, nicht auf Investitionen und insbesondere nicht auf Verteidigungsinvestitionen.”

    Die Autoren argumentieren nur scheinbar ökonomisch, eigentlich aber militärpolitisch, mit Argumenten, die nicht stimmen (z.B. dass Rüstungsausgaben überwiegend im Land bleiben) und begrifflichen Rosstäuschereien beim Thema Konsum und Investitionen.

    Immerhin macht der Artikel sehr deutlich, welche Auseinandersetzungen uns bevorstehen und mit welchen Argumenten sie geführt werden – und welchen Stellenwert manche Leute der (gesundheitlichen) Prävention zumessen.

  3. #3 Joseph Kuhn
    28. Juni 2024

    Konsum und Investition

    Ein Kollege hat mir zu der irritierenden Vereinseitigung der Verteidigungsausgaben als “Investition” und der Sozialausgaben als “Konsum” in Schularicks Essay ein schönes Zitat von Werner Hofmann geschickt, einem fast vergessenen Klassiker der Kritik der Neoklassik in der Ökonomie. Es geht dabei um den Mangel an einer Analyse, wie ökonomische Werte entstehen, insbesondere, was das mit Arbeit und ihrer Reproduktion zu tun hat:

    “Was anderen, der gesellschaftlichen Kampffront allerdings entrückten Wissenschaftsdisziplinen undenkbar wäre, tritt in der Ökonomie noch nicht einmal als Mangel ins Bewusstsein. Man kann sich wohl schwerlich eine Theorie der Mechanik ohne das Hebelgesetz, eine Astronomie ohne die Lehre von der Gravitation, eine Biologie ohne Einsicht in die Vorgänge der Zellvermehrung denken. In der Ökonomie aber gedeiht eine Produktionstheorie ohne Konzept von dem Prozess der Wertschöpfung, und sie befindet sich wohl dabei.”

    (Werner Hofmann, Das Elend der Nationalökonomie, Flugschrift, S. 12)

    Schularick plädiert zwar für einen stärkeren Staat und kritisiert das Festhalten an der Schuldenbremse, aber die Resilienz des Sozialen steht dabei nicht im Mittelpunkt. Dabei ist das gerade in diesen Zeiten unabdingbar, sonst bleibt die vielzitierte Verteidigung westlicher Werte eine ideologische Phrase.

    In seinem Buch “Der entzauberte Staat” hat Schularick das übrigens auch betont:

    “Wirtschaftshistoriker wissen, dass der Aufbau von Staatskapazität, der Fähigkeit des Staates, für Infrastruktur, öffentliche Güter und Planungssicherheit zu sorgen, die zentrale Voraussetzung für den Beginn modernen Wirtschaftswachstums in der industriellen Revolution war und ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist.”

  4. #4 Joseph Kuhn
    28. Juni 2024

    Ist die Prävention “systemrelevant”?

    Bei einem Fachgespräch des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am vergangenen Mittwoch scheint man das so gemeint zu haben, auch mit Blick auf das BIPAM.

    Sofern sich die Systemrelevanz am finanziellen Einsatz der Gesellschaft bemisst, kann es damit beim BIPAM und auch insgesamt bei der Prävention nicht weit her sein. Immerhin sind sie in guter Gesellschaft: Die Pflegekräfte wurden vor kurzem ja auch mit dem Etikett “systemrelevant” geehrt, ohne dass danach ein Pflegeruck durch die Gesellschaft gegangen wäre.

  5. #5 RGS
    28. Juni 2024

    Tja, ich weiß nicht vor welchen Karren sich Herr Schularick hier spannt. Es wirkt so als wolle er wem auch immer signalisieren, wir als IFW bieten „ökonomisches“ Framing für mehr Rüstungsausgaben.

    Die USA haben mit 3,5% des BIP und bald 1 Billion USD die höchsten Militärausgaben. Und sie haben den Anspruch des „guten Weltimperiums“. „Wir sind doch immer die Guten“.
    Deutschlands Rüstungsausgaben damit in Beziehung zu setzen finde ich voll daneben.

    Den FAZ Artikel konnte ich nicht lesen. Aber der andere Artikel ist doch Argumentativ sehr schwach.