Auch in Demokratien geht nicht alles so zu, wie es sollte. Diese Feststellung ist einerseits an Trivialität nicht zu übertreffen, andererseits eine deutlich weniger triviale Aufforderung, öffentliche Angelegenheiten als kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu verstehen. Und wer ein Faible für klandestine Dinge hat, kann das vor kurzem erschienene Buch „Deals mit Diktaturen“ von Frank Bösch lesen. Es beschreibt auf 622 Seiten quellenreich politische Hinterzimmergeschichten aus der Bundesrepublik Deutschland. Die gibt es, wie gesagt, auch in Demokratien zuhauf.

Verschwörungstheoretiker, Querdenker, Rechts- und Linkspopulisten und andere Fachleute für wahre Wahrheiten bemühen, manchmal aus Anlass echter Hinterzimmergeschichten, gerne das Narrativ vom „tiefen Staat“. Der steuere hinterrücks aus dem Dunkeln heraus die Geschehnisse in der Welt. Der „tiefe Staat“ fungiert dabei analog zu den „Eliten“, bevorzugt denen jüdischer Herkunft. Manchmal sind die „Eliten“ öffentliche markierte Symbole böser Mächte, manchmal wie der „tiefe Staat“ unsichtbar, ungreifbar. Der „tiefe Staat“ ist dem Bilde nach ein verborgenes Wurzelwerk von Strukturen und Entscheidungsprozessen, die man nicht sehen und nicht beeinflussen kann, die unfassbar mächtig sind und einen zum Opfer machen.

Donald Trump hat solche Feindbilder kunstfertigst bedient und zugleich erkennen lassen, was bei Leuten wie ihm das Motiv hinter dem Narrativ des „tiefen Staats“ ist: Der „tiefe Staat“ ist die Chiffre für das, was ihm, Trump, widersteht, was seine Macht einschränkt. Das gilt ihm per se als illegitim. Checks and Balances sind nicht seine Sache. Mit dem “tiefen Staat” verfremdet Trump begrifflich die Institutionen und Spielregeln der Demokratie, die er nicht akzeptiert, bis hin zur Weigerung, seine Abwahl regelkonform anzuerkennen.

Das Narrativ des „tiefen Staats“ ist vielseitig anschlussfähig, nicht nur für Trump-Fans. Übt nicht „das System“, die „Bürokratie“, eine unheimliche Macht aus? Sind die Entscheidungen von Behörden nicht oft unverständlich, als ob dahinter Absichten stehen, die man nicht kennt und nicht kennen soll? Und wie viel Einfluss hat man selbst noch auf seine Angelegenheiten, wenn man einmal ins Dickicht der Paragrafen und Formulare geraten ist? Da möchte man doch zu gerne einmal dreinhauen. Wie Trump. Ansagen, wo’s langgeht.

Abgesehen davon, dass es natürlich wirklich auch unnötige Bürokratie gibt, nicht zu wenig, kann man mit dem Narrativ von „tiefen Staat“ ganz wunderbar undemokratisch für mehr echte Freiheit eintreten, allein die eigene halt. So gesehen, ist Trump ein lupenreiner Demokrat.

Kommentare (8)

  1. #1 rolak
    13. Juli 2024

    Ein gewisser Anteil von ‘macht mal, ich will gar nicht genau wissen, wie’ ist kein AlleinstellungsMerkmal von Demokratie, sondern völlig üblich (‘normal’) bei der Delegation von Aufgaben. Ob dies nun die Klärung der Rechtsfragen zum letzten Verkehrsunfall durch die Anwaltschaft ist oder die Klärung der Situation des letzten Beinbruches durch die Ärzteschaft, ganz genau zu wissen, was passiert, liegt nicht in meinem Interessengebiet. Kann aber ggfs nachgefragt und muß in gewissen Grenzen (zB DSGVO) auch offengelegt werden können. [Und muß ‘notfalls’ durch ein KontrollGremium aufgeklärt werden können – ulkigerweise durchaus auch nichtöffentlich. Delegation benötigt Vertrauen]

    Imho ist der erste Fehlschritt bereits die Bezeichnung ‘klandestin’ oä, die bereits etwas Intentionelles, mich in meinen Rechten beschneiden Wollendes mitschwingen läßt. Allein dieses Mitschwingen verleitet wohl gemäß klassischer PseudoLogik zur PseudoHypothese einer darüber hinaus existierenden verborgenen LeitOrganisation.

    Nur weil Klempner Kowalski jetzt die Sache mit meinem tropfenden BadewannenHahn jetzt schon zum zweiten Male verschoben hat, läßt dies keinen Schluß auf eine mir übelwollende, seit Jahrhunderten klandestin agierende KlempnerGeheimElite zu. Selbst wenn ich nie erfahren werde, warum genau Nachbar Nureddin vorgezogen wurde.

    Doch so absurd dies auch klingen mag – in gewissen Bereichen des Lebens wird exakt dieselbe Schlußfolgerung mit ‘genau so isses’ bis ‘kann gar nicht anders sein’ abgenickt.

  2. #2 naja
    14. Juli 2024

    Es gibt bürokratische Entscheidungen, durch die Menschen anderen Menschen vorgezogen werden, die mehr Konsequenzen haben, als der tropfende Badewannenhahn.
    Vielleicht führt auch der Versuch zu verstehen, warum man selbst “benachteiligt” wird, obwohl man doch alle Anforderungen erfüllt und alles richtig gemacht hat, oft zu der falschen Schlussfolgerung, es müsse mit Absicht geschehen sein.
    Es herrscht wohl auch noch ein veraltetes Bild der deutschen Behörden vor. Vielleicht waren die auch noch nie so funktional, wie ich dachte.

  3. #3 Spritkopf
    14. Juli 2024

    Interessanterweise (oder auch nicht) sind diejenigen, die vom “Deep State” faseln, mit denen identisch, die den demokratischen Prozess abschaffen möchten. Frei nach dem Motto: “Alles, was ich denk’ und tu’, traue ich auch anderen zu.”

    • #4 Joseph Kuhn
      14. Juli 2024

      @ Spritkopf:

      “Interessanterweise (oder auch nicht) sind diejenigen, die vom “Deep State” faseln, mit denen identisch, die den demokratischen Prozess abschaffen möchten.”

      Das ist die These des Blogbeitrags 😉

      Volkstribunen aller Coleur ist das Palaver in Gremien und Parlamenten zuwider. Sie wollen direkt herrschen und wenn “von Gottees Gnaden” nicht mehr trägt, und der “wissenschaftliche Sozialismus”, der den Lauf der Geschichte zu kennen glaubte, hat auch abgedankt, dann eben populistisch, mit dem “Volkswillen”.

      Das Attentat gegen Trump wird von manchen auch schon als langer Arm des deep state ausgegeben: “Some social media accounts said that a gunman with ties to the “deep state” had opened fire and shot Mr. Trump.” Auch in deutschsprachigen asozialen Medien kursieren solche Behauptungen.

  4. #5 uwe hauptschueler
    14. Juli 2024

    “Volkswillen”

    Wie wären denn die Befürworter von Volksabstimmungen einzuordnen?

    • #6 Joseph Kuhn
      14. Juli 2024

      … kommt darauf an. Man kann das nicht so allgemein fragen. Alles zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen, würde absehbar die Menschen schon rein zeitlich überfordern und vermutlich auch schnell abstumpfen lassen. Sie über nichts abstimmen zu lassen und nur auf die repräsentative Demokratie zu setzen, wäre auch nicht gut. Sie mit sehr speziellen Fragestellungen zu beschäftigen, wäre heikel. Sie als Akklamationsvieh von Autokraten zu missbrauchen, wäre noch heikler …

  5. #7 hto
    Wo "gesundes" Konkurrenzdenken ...
    14. Juli 2024

    @uwe hauptschueler: “Wie wären denn die Befürworter von Volksabstimmungen einzuordnen?”

    Ganz einfach: In die ANGST den Menschen könnte das gefallen und es weiter zur zweifelsfrei-eindeutigen Vernunft zu führen – Die Angst der stets instinktiv-gepflegten Bewusstseinsschwäche von Angst, Gewalt und egozentriertem “Individualbewusstsein”.

  6. #8 RGS
    15. Juli 2024

    Ich denke, die Schweiz zeigt wie Volksabstimmungen gut gemacht werden.
    Mir scheint aber, dass sich damit in den deutschen Parlamenten und Regierungen der Kommunen, der Bundesländer und des Bundes niemand wirklich ernsthaft befasst. Das könnte ja ihre Macht beschneiden.

    Zürich hat beispielsweise mit Volksentscheiden in den 70er Jahren die Gigantomanie eines U-Bahnbaus verhindert, der für so eine kleine Stadt völlig überdimensioniert und teuer gewesen wäre.

    Stuttgart 21 wäre vermutlich auch verhindert worden von den Bewohner:innen per Volksabstimmungen. Aber Frau Merkel sagte damals sinngemäß: Sowas wie Stuttgart 21 müsse Deutschland bauen können. Sie litt halt auch an Megalomanie.